Entnazifizierung, swingend

Fritz Rau werden wir nicht zu widersprechen wagen - zumal wenn er in Hörweite sich befindet. Mon dieu, über das dann aufbrausende Temperament sind, hinsichtlich seiner Voltzahlen, gerade dieser Tage alle Scherze verboten.
Das Schicksal eines Mick Jagger sollte uns Warnung sein: "Mick Jagger hat mich als Arschloch erlebt. Ich mußte ihn leider aus dem Backstage-Bereich schmeißen."
Mit gut 75 hat Deutschland´s bekanntester Tourneeveranstalter so etwas wie seine Memoiren vorgelegt: "50 Jahre Backstage" (Palmyra-Verlag, 19.90 Euro). Die Episode mit Mick Jagger, oder die mit Marlene Dietrich oder die mit Sonny Boy Williamson ("..wollte in seinem Hotelzimmer ein Kaninchen grillen.") müssen wir gar nicht dort nachschlagen, sie werden uns doppelseiteig in der
WamS (6.11.05) geliefert.
Wie gesagt, Rau hat seinen 75. bereits hinter sich, er hat also die Nazizeit miterlebt und bekanntlich mit Jazz- & Blues-Grössen sein Geschäft begonnen. Aus beiden Phänomenen nun formt er ein formidables Bekenntnis, im Grunde eine weitere Variante der endlosen "
Jazz is the Teacher"-Geschichten.
"Der Jazz hat aus mir, dem Hitlerjungen, einen Demokraten gemacht. Ich wurde an Körper, Geist und Seele durch den Jazz, den Blues und den Swing entnazifiziert."
Bevor wir nun feixend in den Protokollen der Nürnberger Prozesse nachschlagen, ob diese Methode der Entnazifizierung auch andernorts anerkannt war, sollten wir dem alten Fritz gratulieren: schöner als mit diesem hochkonzentrierten Feuilletonismus kann man sich nicht unangreifbar machen; noch dazu in so jungem Alter!


©Michael Rüsenberg, 2005. Alle Rechte vorbehalten