Herbert hat den Blues

Das SZ-Magazin wollen wir loben. Ehrlich. Es hat jüngst "bei sieben Nominierungen in sechs Kategorien vier erste Preise" gewonnen, und wir lassen uns jeden Freitag aufs Neue überraschen.
Das SZ-Magazin hat aber auch verloren, und zwar jene Erkenntnis von
Robert Gernhardt, wonach es "einen ironischen Orgasmus" nicht geben kann.
Sie fiel uns ein, als wir das jüngste SZ-Magazin (Nr 9/07) aufschlugen, wo SZ-Autor Johannes Waechter unter der für einen
Popstar grotesken Prämisse "Jeder kann seine Texte singen, doch kaum jemand versteht seine Musik" z.B. auf "Grönemeyers ehrlich arbeitende Stimmbänder“ zu sprechen kommt - und wir für einen Moment die wundervollen Klänge zu erahnen meinten, die entstünden, würden diese Werkzeuge ihren Dienst mal scherzeshalber im "unehrlichen" Modus verrichten.
Wo aber kommt der Jazz ins Spiel?
Hier, in diesen Waechter-Sätzen: "Die angloamerikanische Jazz- und Pop-Musik wurzelt generell im Blues; die verschlungene Intonation, der gefühlvolle, unpräzise und zutiefst individuelle Ausdruck der Bluessänger prägen bis heute sämtliche nachfolgenden Stile. Doch in Deutschland gibt es keinen
Blues."
Offenkundig findet sich in den Redaktionsstuben des "Klavier Kaiser" keiner mehr, der - wie weiland Baldur Bockhoff - dem mittelalten Kollegen Waechter diesen blühenden Unsinn gestrichen hätte.
Viel doller ist der Original-Herbert, auf den seine Sätze zulaufen: "Diese Zeit (Anmerkung: die Blues-Zeit) ist aus unserer musikalischen Sozialisation ausgeklammert. Da haben wir Krieg geführt und uns danach wieder spießig zusammengesammelt."
Bis jetzt kannten wir nur die Entschuldigungs-Mantra, die deutsche Volksmusik-Tradition sei wegen der Nazis "verschüttet". Offenbar lag auch der Blues unter dem Geröll.
Komisch nur, dass Grönemeyer "als Dylan- und Doors-Fan" trotzdem "frühzeitig mit dem Blues in Kontakt" kam (SZ).

©Michael Rüsenberg, 2007. Alle Rechte vorbehalten