XL Visual ******

1. 6/4 (Saari), 2. Kärlekstörst (Takalo), 3. Rip (Saari), 4. Summer Song (Takalo), 5. Le Baiser sous la Pluie, 6. Glam (Saari), 7. Kobolt, 8. All Ways and For Ever (Takalo), 9. Always and Forever, 10. Amor (Saari), 11. Mrs (Takalo)

Arttu Takalo
- vib, mar, p, ep, sampler, perc; Jarmo Saari - g, progr, synth, per, bg, voc; Tuure Koski - b, bg, perc, perc; Tomi Salesvuo - dr, perc; DJ Bunuel - effects, voc, perc; Laura Hynninen - harp, Alexandra Grimal, Jussi Chydenius, Lolo Krusius-Ahrenberg - voc, Kari Vehmanen - bassoon, contrabasson; Pekka Kuusisto, Eriikka Maalismaa - v, Riikka Repo - va, Timo-Veikko Valve- cello

rec 05/2003

Pohjola Records PELPCD 15
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XL, das ist die britischste Versuchung, seit des art rock in Finnland gibt. Die Vorläufer Wigwam, in den 70ern, waren schon heftig gen Südwest orientiert, XL, deren Debut "Jukola" 1998 erschienen ist, setzen nicht nur einen mehr drauf: Gong, Canterbury Scene im Allgemeinen, nun auch Glam Rock und Hank B. Marvin heissen die Impulsfelder des Quintetts.
Wie Wigwam verfügt auch XL mit seinem beiden Hauptkomponisten um Erzmelodiker. Davon profitiert noch ein jedes XL-Album, so auch - wenngleich es nichts prinzipiell Neues mehr anfügt - "Visual", das fünfte.
Das Album beginnt - nomen est omen - so, wie es beziffert ist, mit einem Stück im
6/4-Takt, das nach und nach die XL-Welt entfaltet. Süffige Melodie, erst vom Vibraphon vorgetragen, dann auf andere Instrumente übertragen, z.B. das Streichquartett, Gitarre und später auch Fagott. Das Ganze ist nicht revolutionär, sondern so gesetzt, wie Absolventen der Sibelius Akademie ihr Handwerk erlernt haben. Nur dass sie wissen, was rock-riffs sind - und "wall of sound", mehr noch in "Summer Song", über einem HipHop-Beat, schränken sie sie Klangpracht ein, um sie hernach in vollem Ornat aufblühen zu lassen.
Eine solche Klangpracht aus vielen kleinen Partikeln ist eminent unterhaltsam, zumal Arttu Takalo und Jarmo Saari keine Hemmungen vor Melodien haben und Tomi Salesvuo immer schöne offbeats einfallen.
Nicht nur im Auftakt, insgesamt haben XL es diesmal gerne triolisch: "Glam Rock" (wer denkt da nicht an Gary Glitter oder Slade?), ist eine Art
Marsch-Shuffle, mit swing-Passage mittendrin. "Kobolt" läuft über 12/8 mit Gitarrenbehandlung und Thema a la Hank B. Marvin; man darf auch an "When my guitar gently weeps" denken. Gar nicht Shadows- oder George Harrison-like sind freilich Ambient-Schnipsel und eine Dub-Coda.
Es gibt ein Solo-Stück für Harfe ("All Ways and For Ever"), eines für Vibraphon ("Mrs"), und mit "Amor" ist Jarmo Saari eine skurrile Hommage an den Namensgeber des Labels, den Wigwam-Bassisten
Pekka Pohjola, ihm gewidmet und von ihm inspiriert. Ein kleines Kompendium, das auch an der Pop-Akademie Mannheim Studienobjekt sein könnte - der Einsatz allerlei kontrapunktischer Mittel im Rahmen der Rockmusik, ohne jeden Ehrgeiz zur Innovation.
Der berühmt-berüchtigte Standardvorwurf, dass das Streichquartett hier nicht über
Bartok hinausreicht, ginge völlig an der Sache vorbei. "Amor" ist und bleibt eine verschämte Polka über einem Ska-Beat, der hinterfotzig synkopisch angelegt ist - hier darf ausnahmsweise mal der sonst unzutreffende Begriff Anwendung finden.

©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten