FLORIAN ROSS Eight Ball & White Horse ********

01. Cry out Loud (Florian Ross), 02. Wollongong Sketch, 03. Rest, my Simple Mind, 04. Sorry, I can´t do that, 05. Cull or keep, 06. Egberto, 07. Minor Mischief, 08. White Horse, 09. Run, 10. Aspects of..., 11. Quahog Wayland

Florian Ross
- p, ep; Dietmar Fuhr - b, Jonas Burgwinkel - dr, Frank Vaganeé - ss, as, fl; Felix Wahnschaffe - ss, as; Jasper Blom, Wolfgang Fuhr - ts, cl; Niels Klein - bars, bcl

rec 06.-08.11.2006
Intuition INT 3408 2; LC-Nr 08399

Florian Ross hat früher für Blechbläser geschrieben, hier konzentriert er sich ausschließlich auf Holzbläser. Eine Big Band verfügt über beide Sektionen.
"Die logische Schlußfolgerung bestünde für mich darin, dass ich irgendwann eine Big Band-Platte schreibe."
Der Konjunktiv in diesem Zitat (aus dem Pressematerial für diese Produktion) verwundert: wenige Tage vor dieser Studiositzung hat der
WDR-Jazzpreis-Träger 2006, Florian Ross, die WDR Big Band dirigiert - die seine Partituren auf den Pulten hatte!
Vielleicht meint der schlaue Florian ja, dass als nächster Schritt ein physikalischer Tonträger mit seinen Kompositionen für Big Band vorliegen sollte, und eben nicht nur im Archiv des WDR.
Wohlan, wer die WDR Big Band-Aufnahmen kennt, weiß, dass Ross die entsprechenden Voraussetzungen mitbringt. Die große Mehrheit, die nicht über dieses Geheimwissen verfügt (weil sie vielleicht außerhalb des WDR-Sendebereiches lebt), wird zum gleichen Urteil durch das Studium dieser Produktion gelangen - sie ist, obwohl lediglich von eine Oktett ausgeführt, in weiten Teilen von Big Band-Anmutung geprägt.
Florian Ross - diese Aussage wird langsam zum Klischee, gleichwohl trifft sie zu - ist gegenwärtig derjenige unter den deutschen Jazz-Komponisten, der die farbenprächtigste Musik präsentiert. Im Vergleich zu seinen Trio-Alben (beispielsweise dem letzten, "Big Fish & Small Pond") blüht er ab Quintett-Stärke geradezu auf. Sein strukturelles Denken, der formale Reichtum seines Gestaltungswillens beginnt überproportional sich zu entfalten.
Das bedeutet, z.B. rein quantitativ, dass "Eight Ball & White Horse" vom kurzen, einminütigen Einwurf ("Cull or Keep", "Aspects of...") bis zur Suite ("Minor Mischief") dauern kann, vom Latin-Beeinflußten ("Wollongong Sketch") bis zur Gospel-gesättigten Kollektiv-Improvisation ("Quahog Wayland"), vom Hymnus ("Rest, my Simple Mind") bis zum Schachtel-Ostinato ("Egberto").
Und dies alles dargeboten mit einer freundlichen
Eleganz, wie sie für den deutschen Jazz nicht eben tongebend ist. Mag sein, dass hier - ohne daß man es "Einfluß" nennen dürfte - die "britischen“"Lehrjahre bei Django Bates und John Taylor nachklingen. Es könnte aber ebensogut auch der Schatten von Jim McNeely in New York sein, den Florian Ross auf die Tasten hat schauen lassen.
Die Fülle der strukturellen Vorgabe in seinen Stücken, vulgo: der komponierte Anteil, verleitet dazu, in ihm eine Art deutschen
Don Grolnick zu sehen - ohne dass FR auch nur mit einer Note an DG erinnerte. Wohlgemerkt, hier ist an ganz formale, strukturelle Ähnlichkeiten gedacht.
Die sich erstaunlicherweise auf einem anderen Feld fortsetzen, nämlich der stupenden Auswahl der
Solisten. Keiner der Beteiligten erfreut sich eines Namens, der rein schon von der Papierform her aufhorchen ließe. Und auch wer noch nie der vulgären Jazz-Ideologie verfallen war, wonach der Solist im Solo seine Persönlichkeit offenbare, muß mit Erstaunen registrieren, auf welchem Niveau hier die Solisten agieren, alle.
Keiner ragt heraus, alle werden unterschiedlos promoviert durch die große Rahmen-Erzählung. Es will was heißen, dass hier die Bariton-Stimme so federleicht erklingt wie das Alt oder das Tenor.
Egal, wer es gerade bedient, die Improvisation fällt niemals ab gegenüber der Komposition und umgekehrt - ein Glücksfall im deutschen Jazz.
Gelegentlich streut Florian Ross akustische Atmos aus
Pool-Hallen ein (früher Billard) genannt. Das erscheint episodisch und inkonsequent - ein Strukturmeister wie er könnte noch viel mehr daraus holen.

erstellt: 02.10.07

©Michael Rüsenberg, 2007, Alle Rechte vorbehalten