WOLFGANG REISINGER Refusion *******

01. Play Up (Reisinger), 02. Urgence (Marc Ducret), 03.Silence (Reisinger), 04. For Dave (Miles Davis, Dave Liebman), 05. Off and off (Liebman), 06. Refusion (Reisinger), 07. Pastorale (Liebman), 08. Don´t touch it (Mitterer

Dave Liebman
- ss, ts, fl; Marc Ducret - g, Matthew Garrison - bg, Jean Paul Celea - b, Wolfgang Mitterer - electronics, Wolfgang Reisinger - dr, perc


rec 09.2004
Universal/Emarcy 0602517170322; LC-Nr 00699

Was haben wir nicht an Versuchen über uns ergehen lassen müssen, das Erbe des
Miles Davis mit der Gegenwart kurzuschließen! (Auch Dave Liebman ist daran nicht ganz unschuldig.) Diese Produktion, obwohl gar nichts dergleichen draufsteht, kommt einer Lösung am nächsten. Dabei glaubt man ihre Ziele zu kennen, obgleich sie sie doch hinter einem Kunstwort versteckt, das auch wissen.de nicht kennt: Refusion.
Das Jazzverständnis weiß hier mehr; Refusion, das läßt an "fusion" denken, an Jazzrock, und erweitert um diese Vorsilbe könnte es sich um den Versuch handeln, erneut Jazzrock zu spielen.
Eben, das ist es! Auch wenn der dominante Rhythmus nicht durchgänig binär ist, weder rockig noch funky, sondern eher ternär, aber eben auch nicht durchgängig. Denn dieses Ensemble wird geleitet von einem der Meister des
gebrochenen swing in Europa, Wolfgang Reisinger, Jahrgang 1955, geboren in Wien, einst Mitglied der Wiener Sängerknaben.
Der mitunter erregende Charakter dieser Musik ergibt sich daraus, dass sie rhythmisch nichts eindeutig tut, jedenfalls nicht über einen längeren Zeitraum. Dass sie immer wieder aus der
time aussteigt, sie abstrahiert, nur noch im Kopf weiterlaufen läßt. Und das gelingt insbesondere, wenn sie aus einem swingenden, ternären Muster wegbricht. Natürlich kennt sie auch das rubato, in zwei Balladen, "Silence" und "Pastorale".
Das alles ist gut ausgeführt, aber nicht neu; erfrischend aber, dass die Band einen Keyboarder hat, der nicht als Pianist auftritt, sondern als Elekroniker. Einer, der
klangfarblich denkt und handelt. Und das ist Wolfgang Mitterer; zu ihm hält Reisinger die älteste Partnerschaft, seit 1986, seit den Tagen der Pat Brothers.
Viel von dessen Klangewusel, aber auch scharfen Einwürfen und Interventionen ist hier erhalten und lädt die Musik auf.
Mit Celea arbeitet Reisinger seit 1989 zusammen (seit 200 auch bei Joachim Kühn), mit Liebman seit 1996. Und selbst jener, dessen Intonation insbesondere auf dem Altsaxophon in den letzten Jahren immer wieder als gewöhnungsbedürftig aufiel, gibt sich hier manierlich.
Ja, er hat sogar das wunderbar ver
monkte "Off and Off" geschrieben, dazu aus seinen 18 Monaten bei Miles Davis (1973/74) offenbar "For Dave" mitgebracht, in welchem Marc Ducret brilliert (auch in "Don´t touch it" splittert es nur so aus den Saiten). Und das ist schlichtweg die Stimme für diese Art von Jazzrock, der die alten Muster nicht wiederkauen mag, sondern eine enorme Spannung aus dem immer neu changierenden Kontrast zwischen Abstraktion und Konkretem bezieht.
Der Kunstgriff, zwei Bassisten zu verpflichten, schält sich demgegenüber weniger spektakulär heraus. Das eindeutige Prä dieser Musik ist und bleibt ihr Reichtum an rhythmischer Variation - und daraus entwickelt: Interaktion.
PS: Ein Live-Mitschnitt aus dem "Porgy & Bess" in Wien, auch wenn man keine Beifallshand hört.

erstellt: 31.01.07

©Michael Rüsenberg, 2007, Nachdruck verboten