VICTOR WOOTEN Palmystery *******

01. 2 Timers (Victor Wooten), 02. Cambo (Victor Wooten, Amir Ali), 03. I saw God ((Victor Wooten), 04. The Lesson, 05. Left, Right & Center, 06. Sifu, 07. Miss U, 08. Flex, 09. The Gospel (Victor Wooten, Joseph Wooten), 10. Song for my Father (Horace Silver), 11. Happy Song (Victor Wooten), 12. US 2

Victor Wooten - bg, voc, progr; Derico Watson, JD Blair, Dennis Chambers, Will Kennedy, Earl Walker - dr, Joseph Wooten, Dane Bryant - keyb, Howard Levy - harm, Jeff Coffin - ts, bars; Rod McGaha - tp, Barry Green - tb, Eric Silver - v, mand; Amor Ali - lute, darbouka, voc, v; Anthony Wellington, Alvin Cordy, Steve Bailey - bg, Richard Bona - voc, perc; Sandra Williams, Chuck Rainey, Adam Wooten, Holly Wooten, Amir Ali, Kaila Wooten, Daniel Hunt, Dereck Lee, Keith Lee - voc, Mike Stern, Alvin Lee, Regi Wooten - g, Neal Evans - org, Roy Wooten - cajun, Thunder Wallace - as, Darrell Tibbs, James Jackson - per, Karl Denson - ts, Keb´Mo´- slide g

rec 2004-2007
in-akustik/Heads Up HUCD 3135

In der August-Ausgabe 2008 von down beat werden Christian McBride anonym diverse Aufnahme zur Beurteilung vorgespielt ("blindfold test"); da McBride Bassist ist, überwiegend Aufnahmen von Kollegen, darunter auch "The Lesson" von diesem Album.
Christian McBride identifiziert den Autor sofort:
Victor Wooten.
"Victor ist heute ähnlich Standard für elektrische Bassisten, wie es seinerzeit als hip galt, so zu klingen wie
Jaco Pastorius."
McBride vergibt für diese Aufnahme die höchste Wertung, 5 Punkte, nicht ohne darauf zu verweisen, dass - nachdem Victor Wooten mit Leuten wie Mike Stern und Chick Corea gearbeitet habe - "seine Musikalität fast den Level seiner Technik erreicht hat".
Das ist eine kluge Anmerkung. Sie zollt dem Umstand Respekt, dass mit "Palmystery" geradezu der
Angriff eines Superhandwerkers erfolgt, dessen technischen Tricks nicht mehr als solche isoliert und abgetan werden können, sondern ästhetische Qualitäten beanspruchen können.
Victor Wooten ist mitnichten die Baß-Ausgabe eines Al Di Meola, der ohne Sinne und Verstand losrast, ohne Bezug zur Rhythmik beispielweise. Er ist das, was der liebreizende
Jamaladeen Tacuma immer behauptet, aber nie eingelöst hat - Victor Wooten ist the boss of the bass. Gut vorstellbar, dass etliche Instrumenal-Kollegen das Trommelfeuer an Baß-Techniken gar nicht ertragen, mit dem sie hier konfrontiert werden, den slap-Attacken beispielweise.
Aber auch unsereins, der das so genau gar nicht vermessen will, wird in einer
musikalischen Wundertüte hin- und hergeschüttelt. Schon der Auftakt "2 Timers" ist stilistisch, handwerklich und konzeptionell ein Monster! Es beginnt mit einem Baßgitarren-Solo über einem 4/4 swing-Rhythmus, das Thema klingt nach Bluegrass (der Vergangenheit Wootens bei Bela Fleck & The Flecktones), es steht mit scharfen off beat Akzenten in "graden" Achteln, der B-Teil swingt aber schon wieder, in dem kurzen keyboard-Solo deutet sich ein poly-rhythmischer Reigen an, der später in reihum gehenden Kurz-Soli in einer verblüffenden Abfolge von 3/4 und 4/4 immer wieder neu aufgefächert wird.
(Wooten gibt dankenswerterweise einen kleinen Hinweis, indem er die Funktion der beiden Schlagzeuger dieses Stückes so notiert: "Derico Watson - Drums 3/4, JD Blair - Drums (4/4)").
In "Left, Right & Center" kommt´s noch doller, da hat er um JD Blair keine Geringeren als
Dennis Chambers und Will Kennedy gruppiert. Das Stück selbst ist ein kleines Jazzrock-Alphabet mit Groove Switching zwischen Rock- und Funk-Feeling, Ruf-Antwort-Jagden zwischen Victor Wooten und Mike Stern, die schließlich in doppeltem Tempo und in halsbrecherischem unisono ein weiteres Thema heraushauen. Die Yellowjackets sprachen jüngst von den besonderen Herausforderungen an die Gastrolle Mike Sterns auf ihrem Album "Lifecycle". Hier sind diese Ansprüche noch potenziert - und Stern wird ihnen absolut gerecht. Es spricht überhaupt nichts dagegen, den expressiven Gestus von "Left, Right & Center" als Jazzrock-Äquivalent zu hitzigen Bebop-Momenten zu sehen. Freilich, viele werden dies gar nicht erkennen (wollen), weil sie die Gattung unter Quarantäne gestellt haben.
Nicht alles auf "Palmystery" ist Jazzrock alter Schule. "Cambo" führt mit einem unerwarteten "indischen" Thema in den Ethno-Jazz, auch "I saw Good" mit seinem
High Life-Groove gehört hierher.
"The Lesson", was man Christian McBride vorgelegt hat, ist zugleich Hommage an
Jaco Pastorius und Fortführung eniger seiner Techniken, mit Anklängen an den "spanischen" slap von Stanley Clarke. (Bloß, Victor Wooten verfügt über ein Optimum an Groove und das weitaus bessere timing.)
Vieles, wie nicht anders zu erwarten, führt in den
Rhythm & Blues, beispielsweise "The Gospel" und "Happy Song", letztlich auch das durchaus Country-durchsetzte "Miss U", wo Alvin Lee ("Ten Years After") erneut zu Ehren kommt, wohingegen "Flex" eine stilistische Brücke zum virutosen Bluegrass von Bela Fleck baut; man kann durchaus aber auch eine Verbindung zu den pfeil-schnellen Themen des Mahavishnu Orchstra darin erkennen.
Stilistisch ist
Victor Wooten ein Eklektiker, einer, der mit großer Kenntnis und Können Steine aus verschiedenen Steinbrüchen heranzieht. Dass sie aufeinander passen, dass sie zu tragfähige Konstruktionen taugen, ist seinem unglaublichen Geschick geschuldet. Victor Wooten denkt zusagen alles von der instrumentalen Praxis her, er ist ein Handwerker, kein Konzeptkünstler - und "Palmystery" gehört zu den Beispielen, wo diese beiden Eigenschaften aufhören, Gegensätze zu sein.

erstellt: 10.08.08

©Michael Rüsenberg, 2008, Alle Rechte vorbehalten