TØRN crespect ********

01. Batterie (Carla Bley), 02. Weep (Tørn), 03. The Flaps, 04. Prag (Tang), 05. HK 3 (Tørn), 06. The Grips, 07. Subminis (Zoubek), 08. Crespect (Hertenstein), 09. In Flight (Tørn), 10. Pol (Tang), 11. Farago (Tørn), 12. And now, the Queen (Carla Bley)

Joe Hertenstein - dr, Achim Tang - b, Philip Zoubek - p

rec. ?/2009
2nd Floor 014; LC-Nr 6143

Nicht überall, wo „Skandinavien“ draufsteht, ist auch Skandinavien drin. Das „Schauspiel Køln“ agiert nach wie vor am Rhein, es ist dem nordic chic so erlegen wie flußabwärts das „Mœrs“ Festival - und hier Tørn, gleichfalls aus Köln, wenngleich keine Gruppierung aus Kölnern.
Wir befinden uns im Jazz, und da sollten wir einer solchen Namensgebung erfahrungsgemäß keine besondere Bedeutung beimessen. Der Name "Tørn", so hören wir denn auch vom Produzenten dieses Albums, Dietmar Hagen Horn, sei „lautmalerisch aus Assoziationen wie ´die Musik dreht und wendet sich´, ´wie ein Rad´ ... (to turn), die Musik ´turned´ (im Sinne von Rausch) oder ist wie ein (Segel)-Törn. Dem allen liegt zugrunde, dass sich die drei Musiker Zoubek, Tang und Hertenstein selbst von dieser Musik bewegt fühlen und es Ihrem Trio eine Bewegungsrichtung verliehen hat, diesen emblematischen Namen zu führen“. Die skandinavische Darstellung Tørn solle diese Bedeutungen auffangen und zugleich kaschieren, „da es von der Schreibweise von allen Assoziationen abweicht diese aber lautmalerisch korrekt wider gibt“.
trn-coverWie gesagt, wir befinden uns im Jazz - und dies ist jetzt deskriptiv im Hinblick auf die Musik gemeint. „crespect“ lässt sich vollständig mit dem Besteck unserer schönen Gattung beschreiben, und dazu gehört auch der Rahmen - nämlich zwei Stücke aus den „short early pieces 1958-64“ von Carla Bley
Das ist klug gewählt, denn die Kürzelmelodik dieser wenig bekannten Bley-Stücke kommt dem dramaturgischen Gestus dieses Trios sehr entgegen: es hält sich nirgends lange auf.
In diesem Zusammenhang mag man auf „The Grips“ verweisen, das mit 0:55 kürzeste von fünf kurzen Stücken des Albums, die wunderbare Preziosen sind, gestaltete Scharniere zwischen dem Davor & Danach. Man kann aber auch auf das mit 8:58 längste Stück, das Titelstück „Crespect“, verweisen: die Musik dieses Trios wechselt permanent die Aggregatszustände.
„Crespect“ beginnt rubato mit einem schwer fassbaren Thema im Piano, man könnte dies durchaus eine „skandinavische Anmutung nennen“, solche Momente kennt man auch vom Bobo Stenson Trio, das Stück kommt frei-metrisch in Fahrt, kehrt immer wieder auf seine Themen-Partikel zurück, und nach gut 3 Minuten nimmt es sehr frei flottierende Rock-Akzente an Bord.
Apropos Bobo Stenson, ein so wunderbar fließendes, frei-tonales Stück wie „Farago“ könnte man sich auch dort denken. Aber das wär´s dann auch mit den nordischen Referenzen. Das so pausenreich durchsiebte staccato von „Pol“ wäre wohl eher im deutschen Expressionismus zu Hause.
Jawohl, dieses Album enthält mehr oder minder FreeJazz - aber so gut hat FreeJazz selten geklungen. Das mag an der hochkonzentrierten Aufnahmesitzung liegen, vier Stunden im Loft in Köln, nur ein Schnitt, die gute Mikrofonierung von Stefan Deistler und nicht zuletzt das Mastering durch Markus Schmickler, der nun gar nicht im Jazz, sondern in der Elektro-Akustischen Musik zu Hause ist.
Selten z.B. klingt ein Kontrabass so kontrabassig wie hier, so hölzern, kräftig, sehnig, mit so wenig „Bauch“. Das liegt an der Handhabung durch Achim Tang, geboren 1958 in Berlin, nach einer Ausbildungschleife in Graz/Österreich seit 2006 in Köln ansässig.
Nicht nur Tang, sondern die Interaktion des ganzen Trios - mit dem 1978 in Niederösterreich geborenen, jetzt gleichfalls in Köln lebenden Philip Zoubek und dem 1977 im Schwarzwald geborenen, in New York lebenden Joe Hertenstein - beschert dem technischen Stab reichlich Futter.
Dazu gehören insbesondere zwei „Klangstücke“ (tracks 3 und 5), die in konzentrierter Form darbieten, was in Besetzungen wie dieser als Abfall, als akustische Suchbewegung zwischen zwei rhythmisch-melodischen Inseln, häufig unter den Tisch fällt. Hier erstrahlen sie in zwei sehr eigenen Dramaturgien, insbesondere der „maritimen“ Stimmung von „The Flaps“, wo der Pianist Zoubek auch den Resonanzraum seines Instrumentes zum Partner macht.
Oder nehmen wir den dezent eingesetzten Schellenring in der Ballade „Prag“, es sind immer wieder solche Kleinigkeiten, die - neben den strukturellen Errungenschaften, wo die Musiker auf der Höhe ihrer Zeit sind - den Charme dieses Albums ausmachen.
Achim Tang ist improviser in residence in Moers 2011. In dieser Eigenschaft steht ihm ein Platz im Hauptprogramm des Festivals zu - mit Tørn wäre dieser glänzend besetzt.

erstellt: 01.03.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten