SCHNEEWEISS UND ROSENROT Pretty Frank ********

01. Pretty Frank (T + M: Cadotsch), 02. Ping Pong Love Song (T: Cadotsch, M: Lohr), 03. Daddy Longleg (T: Cadotsch, M: Eldh), 04. Newman´s Housecat (T + M: Cadotsch), 05. Coast Starlight Express (T + M: Borchert), 06. This is the Day, 07. The End, 08. Trippin´ Airplane, 09. Splendid 33 (T: Cadotsch, M: Cadotsch, Eldh), 10. Fresh Prince (T: Cadotsch, M: Eldh), 11. Days (T + M:Borchert)

Lucia Cagotsch - voc, Johanna Borchert - p, Petter Eldh - b, Marc Lohr - dr, electronics
Jean-Luc Jossa - bata drum (6), Morten Blue - perc (7), Markus Pesonen - g (10), Kristina Tuomi, Javier Reyes, Sergio Gómez, Marc Neyen - choir (6,8)

rec ?/2010
enja yellowbird enja 9706 2; LC 18386

Wer den Sturmlauf dieses Quartett über deutsche Jazzfestivalbühnen 2010 miterlebt hat, von Bremen, Moers, bis zu WDR 3 jazz.cologne, dem wird vieles aus dem Repertoire bekannt vorkommen. Es ist das zweite Album des Quartetts - und ein Riesensprung.
Ein Ensemble mit Namen wie aus dem Märchen auf deutschen Jazzfestivals? Yes, folks - und das, obwohl man hier Jazzformen vergeblich sucht.
Schneeweiss Und Rosenrot machen Pop, an diesem Begriff führt kein Weg vorbei. Nicht mal Pop-Jazz käme in die Nähe; bestenfalls Art Rock käme noch in Frage. Die älteren Kader werden sich gerne an Henry Cow & Art Bears erinnert fühlen, ganz am Rande vielleicht auch an Goebbels & Harth (aber vermutlich ist dies, wie im Falle Troyka, lediglich eine historische Hörhaltung, die an vertraute Partikel im Strom der Gegenwart sich klammert.)
cover-pretty frankPop, zweifelsohne. Aber wer genau hinhört, wer fragt: wo kommen denn die Techniken her? - der entdeckt Jazz-Techniken en masse. Schneeweiss und Rosenrot spielen Pop, wie ihn nur Jazzmusiker zu Wege bringen.
Die Mitglieder des Quartetts residieren in Berlin, alle haben in Kopenhagen gelebt, drei haben am Rytmisk Musik Konservatorium studiert. Johanna Borchert wurde dort von Django Bates unterrichtet, Petter Eldh spielt in dessen Trio Beloved Bird.
Yes, folks, jetzt ahnen wir, wo die sauberen Kontrabaß-Läufe herkommen, die angeshuffelten snare patterns, die absaufenden Tonhöhen (fünf Stücke verwenden kalkuliertes detuning), die Tempowechsel, die Stil-Sprünge. Good Old Django dürfte begeistert sein, ohne auch nur ein auf ihn weisenden Zitat zu entdecken.
Die beiden ersten Stücke mit ihrem Spät-Teenie-Charme sind total Pop, ein Drehmaus-Piano wie in „The End“ auch und „Splendid 33“ mit seiner fallenden Linie ganz großes Kino! Und die Stimme von Lucia Cadotsch sowieso, dieses Sprechen, Schreien, mädchenhafte Singen, das Flüstern und Hauchen; manchmal wechselt sie in einem Song das Mikrofon, um ihrer Stimme klangfarblich noch einen anderen Dreh zu geben.
Ein schönes Beispiel dafür ist Ballade „Coast Starlight Express“, die in der absoluten Gegenwelt der mit dem Titel induzierten Geschwindigkeit residiert, dermaßen down tempo, dass sie aus der Zeit zu fallen scheint. In der Coda eine vor sich hin trödelnde snare drum, die dramaturgisch den Auftakt bildet zu dem trimphalen Shuffle-Marsch von „This is the Day“.
Die Dramaturgie von „Pretty Frank“ ist betörend wie der melodische Duktus, nichts entfernt sich von der Nachvollziehbarkeit guter Popsongs, mindestens einem halben Dutzend hier kann diesen Status zubilligen - popsongs with a (jazz) difference.

erstellt: 26.03.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten