ULI RENNERT Project S *******

Seven superfluous Serenades (Rennert)
01. Prolog: Vacuum, 02. Synergy-Synthesis-Synopsis, 03. Sur-South-Sud, 04. Soft-Strong-Substance, 05. Surabaya-Siam-Subconcious, 06. Intersection, 07. Schnaut-Singular-Signature,  08. Stream-Spam-Superman,  09. Sun-Sound-Soul, 10. Epilog, 11. A Nightingale sang in Berkeley Square (Sherwin), 12. Scherzo (Rennert), 13. Stella by Starlight (Victor Young)

Peter Kunsek - cl, bcl, Peter Herbert - b, Uli Rennert - synth, lap-steel-guitar, electronics
Linus Ensemble: Reka Nagy, Szonja Szebeny - v, Christine Pawlik, Alexander J. Eberhard - va, Andrea Molnar, Thomas Platzgummer (cond) - vc

rec. 11/2011
Pan Tau-X, pt-x 106

Alle sprechen vom „europäischen Jazz“. Aber wenn man einmal ganz genau bestimmen will: wo ist er lokalisiert, wo ist der europäische Jazz am meisten „europäisch“? Mit anderen Worten: wo unterscheidet er sich am meisten vom amerikanischen? - dann wird man vor allem Österreich nennen müssen.
Der österreichische Jazz verfügt über zwei Komponenten, die den Amerikanern weitgehend fremd sind: einmal eine Spaß-Fraktion, Stichwort „Alpenjazz“, und am ganz anderen Ende eine sehr „ernste“ Abteilung, mit engen Verbindungen zur Klassischen Moderne, Stichwort Third Stream.
Hier wäre Franz Koglmann zu nennen, aber auch ein Österreicher, der gar keiner ist, sondern nur lange schon in Graz lebt, aber 1960 in Frankfurt am Main geboren wurde: Uli Rennert.
Er ist Pianist und keyboarder, auf seiner neuen Produktion stellt er z.B. den Synthesizer in altertümlichen Klangfarben einem Streichersextett entgegen. Es ist der Abschluss einer Trilogie, „Project S“, eine Melange aus Jazz, freier Improvisation und neuer Kammermusik.
cover-project-sIch möchte nicht behaupten, dass ich jeden Winkelzug des Komponisten Rennert nachvollziehen kann, aber ich bewundere doch Mut, Aufwand und Witz des Unternehmens. Z.B. den auch durch Charles Minugs bekannten Standard „A Nightingale sang in Berkeley Square“ in so ein Thirdstream-Gewand zu stecken. Das Intro wird von einem Synthie markiert, dem jede moderne Sampling-Rafinesse abgeht, sondern der im Wortsinn „synthetisch“ eine Streicherfigur spielt. In hoher Lage fließt diese nahtlos in den Vortrag des Streichsextetts unter Leitung von Thomas Platzgummer.
Weiter - und das auch noch mehrstimmig - kann man sich von den bisherigen Lesarten dieses Standards von Manning Sherwin aus dem Jahre 1940 nicht entfernen. Nachdem Peter Kunsek das Thema vorgestellt hat, tut Rennerts Synthie später nämliches und verwebt sich erneut mit den Streichern - Erik Satie hätte hier vielleicht den Soundtrack für ein Wiener Caféhaus des späten 20. Jahrhunderts erkennt.
Auf „Stella by Starlight“, der anderen Übernahme aus dem Standard-Repertoire, erscheint die Zeit noch mehr gedehnt, auch hier übernimmt der Synthesizer, zudem mit seinen Möglichkeiten der Tonbeugung, die Rolle eines solistischen 7. Streichers.
Dominiert wird diese Produktion von den „Seven superfluous Serenades“, die sich über 10 CD-tracks erstrecken.
Besonders gelungen erscheint hier der Mittelteil, der durch track 5 eingeleitet wird, einen düster-flirrenden Flächenklang, der an einigen Stellen durch wechselnde solistische Injektionen aufbricht. Track 6 ist quasi eine „Engführung“ nur für Streicher, reine Kammermusik.
Die Sieben bringt erstmals so etwas wie einen „Groove“ ins Spiel, das Stück durchzieht ein Streicher-staccato, das immer wieder solistisch unterbrochen wird - einer der Thirdstream-Kernpunkte dieser Produktion, worin auch die beiden „Jazz“-Stimmen schon konstrastiert sind: die traditionelle Klarinette und der Synthie mit allen Möglichkeiten der Tonbeugung des guten alten Mini Moog.
Der Track schließt (und ist durchzogen) von einem Textfragment von Stanislaw Lem („Solaris“).
In Track 8 kommt eine ganz ähnliche Konstellation geradezu poppig daher: der treibende Streicher-Groove zeigt Verwandtschaften zu einer anderen Thirdstream-Produktion dieses Jahres: „Monosuite“ von Jürgen Friedrich. Der vielstimmig vorgetragene Text, dramaturgisch geschickt eingesetzt, ist nahezu ohne Bedeutung, es sind Fetzen aus e-mail spam.
Rennert plustert die Nullsemantik instrumental auf, als enthalte sie wichtige Botschaften.
Wie gesagt, „Project S“ steckt voller Kunstgriffe dieser Art; es braucht freilich mehr Hingabe als bei den anderen Teilen dieser Trilogie, sich darauf einzulassen.

erstellt: 28.12.12
©Michael Rüsenberg, 2012. Alle Rechte vorbehalten