PABLO HELD Music ********

01. Encore (Held), 02. I have a dream (Hancock), 03. Desire (Held), 04. Moon 44, 05. A Sacrum Convivium (Messiaen), 06. Nearness (Held), 07. Log Lady, 08. Music, 09. Klartraum, 10. Arista

Pablo Held - p, Robert Landfermann - b, Jonas Burgwinkel - dr

rec. 12.+13.11.09
Pirouet PIT 3045; LC-Nr 12741

Wer auch immer den Jazz-Nachwuchs mit dem Piano Trio-Virus infiziert haben mag; Brad Mehldau, Esbjörn Svensson oder vielleicht doch eher eine anonyme sozio-kulturelle Konstellation - der Trend streckt sich wie breit-getretener Quark. Man nimmt selten eine Erhebung wahr, und selbst wenn die Piano-Figuren prononcierter klingen, finden sie nur selten den Widerhall einer adäquaten Rhythmusgruppe.
Obwohl es die akademischen Eierschalen noch nicht vollständig abgeworfen hat (Pablo Held, 23, studiert noch an der Jazzabteilung der Musikhochschule Köln), übertrifft es die meisten Mitbewerber. Während man von denen kaum je eine komplette CD durchhören mag, geschieht dies hier mit Genuß und stets weiterem Entdecken von Details (sodass die Wertung schließlich noch einen Punkt höher gerutscht ist).
 Man möchte sich kaum ausmalen, wie viele andere eine Vorlage wie Herbie Hancocks „I have a dream“ (aus „The Prisoner“, April 1969) umgesetzt hätten, im Original in Noctett-Besetzung, das hier - man glaubt es kaum - rhythmisch weitaus subtiler erklingt. Saß es damals auf dem einfachen backbeat von Albert „Tootie“ Heath, so erstrahlt es nun dank der modernen Verwandlungstechniken des broken swing in einem ganz anderen Licht. „I have a dream“ mag vielleicht nicht den größten aller Hancock-Prägestempel tragen, aber wann hat man je registrieren können, dass jemand ein Original von Onkel Herbie noch zu polieren vermag?
Pablo Held kennt Herbie Hancock sehr genau, auch unterhalb der plakativen Oberfläche („Nearness“), und man glaubt seinem Jazzhistorie-Dozenten an der Musikhochschule gerne, dass er eine exzellente Seminararbeit über HH vorgelegt hat.
Dies ist das zweite Album dieses Trios (nach „Forest of Oblivion“, 2007), und auf dem Wege dorthin wurde die Rhythmusgruppe Robert Landfermann und Jonas Burgwinkel mit dem WDR Jazzpreis 2009 ausgezeichnet. Es wäre in der Tat fraglich, ob der - ebenso preiswürdige - Pianist Held in anderer Umgebung sich so entfalten könnte.
Dieses Trio mag über den führenden Pianisten seiner Generation verfügen, seine eigentliche Qualität aber erwächst aus seiner Arbeit als Gruppe. Wie der Pianist eingebettet wird, in welche Vielfalt der Formen - das dürfte in der Generation der Zwanzigjährigen hierzulande beispiellos sein. Man würde sich durchaus nicht scheuen, dieses Trio an das von Gwilym Simcock heranzurücken - würde es denn mal dem Faktor „Expression“ mehr Aufmerksamkeit schenken.
Die wahnsinnig stimmige Architektur ihrer Arbeit, ihre nochmalige Verfeinerung hat nämlich durchaus etwas Altkluges; was wollen die machen, wenn sie 10, 20 Jahre älter sind?
Es mag anmaßend klingen, aber vielleicht könnte ein anderer „Onkel Herbie“ (Herbert Wehner) sie irjenswie inspirieren mit seinem Satz, wer später eine guter Sozialdemokrat sein wolle, müsse in seiner Jugend Kommunist gewesen sein.


erstellt: 08.02.10

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