HELENA GOUGH Mikroklimata *********

01.Tephra, 02. Cloister, 03. Spores, 04. Protonema


Helena Gough - electronics

rec. 2009 (?)
entracte E91

Die discographischen Angaben vermitteln auf den ersten Blick nicht den Eindruck eines Jazz-Albums. In der Tat, diese Produktion hat nichts, aber auch gar nichts mit Jazz zu tun. Nicht mal der Umstand, dass hier auch improvisiert wird, stellt eine Verbindung her.
Und doch sieht JNE sich legitimiert, diesen Ausflug in soundart oder elektro-akustische Musik dringend anzuempfehlen: a) weil es sich um große Musik handelt (und nach wie vor der adaptierte Hanns Eisler gilt: „Wer nur was von Jazz versteht, versteht auch von Jazz nichts.“), und b) weil „Jazz“ hier doch vorhanden ist, in homöeopathischer Dosierung. Es ist der Ton eines jazzman in diesen vier Klangballen vorhanden, der Ton von Peter Evans´ Trompete.
Helena Gough Moers Festival 2010Im Dezember 2007 hatte Helena Gough ihn beim London Musicians Collective Festival of Experimental Music kennengelernt und später ein paar Tonproben von ihm aufgezeichnet, in Berlin, wo sie seit ein paar Jahren lebt.
Aber, keine Chance, irgendeine Spur von Evans´ Trompete hier aufzuschnappen. Die Vorsilbe des Albumtitels verrät schon vieles: „Mikroklimata“ dokumentiert ein tiefes Eintauchen (manche sprechen heute gerne auch von „Zooming In“) in das Innen-“leben“ der Klänge, wo sie völlig ausgewaschen sind von allen Referenzen auf ihre Herkünfte. Wo Klang nur noch Klang ist. Wo unsere Sprache vollends versagt, sie verbal einzufangen und wir uns mit Eindrücken wie Prasseln, Knacken, Fauchen, Schimmern, Kleckern, Zischeln, Rauschen, Ballern etc begnügen müssen.
In manchem wird man an die dynamischen Klang-Architekturen eines Gilles Gobeil (Montreal) erinnert, allerdings setzt Gough keine synthetisch erzeugten Klänge ein (außer einem alten Analog-Synthie am Rande); ihre Klänge sind "dreckiger", sie stammen fast ausnahmslos aus field recordings, aus der Welt außerhalb des Studios.
Man hört nichts als Klangkontexte, Strukturen, die vorbeifliegen, Flächen und Punkte. Selbst die Krücke „Kino für die Ohren“, die gar manchem hilft, in dieser Welt nicht völlig unterzugehen, sie hilft nicht weiter - hier gibt es nix mehr zum Sehen. Sondern nur Hören, Hören, Hören!
Dies allein ist nicht das Verdienst von Helena Gough. Sie steht inmitten ihrer Gattung, und es sprich einiges dafür, sie der soundart/Klangkunst zuzuordnen, allein schon ihres dezidiert anti-akademischen Ansatzes wegen, der sie deutlich von der Elektro-Akustischen Musik der etablierten Studios scheidet. Sie kennt genug davon, um sich davon abzuheben, denn sie ist an der University of Birmingham promoviert.
Ihr Verdienst ist, wie sie all das, was die Gattung bereitstellt, drones, clicks & cuts, glitches, handhabt; virtuos geradezu, wenn man mal davon absieht, dass bei dieser Produktion wahrscheinlich weitaus weniger improvisiert wurde als bei ihren Live-Auftritten.
Sie, die sich weniger als „Konzeptionalistin“ sieht und ihr „intuitives“ Vorgehen betont, hat hier sozusagen Intuition in eminent hoch-verdichteter Form konserviert.
Helena Gough, 29, gilt völlig zu recht als eine der größten Entdeckungen der internationalen soundart der letzten Jahre. Nicht auszudenken, was für ein Höllenfeuer sich uns böte, wenn sie mit Peter Evans als Peter Evans ins Studio ginge.
Es brächte Jazz & Elektronik weiter als alles bisher Dagewesene.
Wer „Mikroklimata“ mit Jazz-Ohren hört, kriegt ein Gespür für die Mängel auf diesem Sektor.

erstellt: 09.07.10

©Michael Rüsenberg, 2010, Alle Rechte vorbehalten