liner notes to end all liner notes

Liner notes (Deutsch: booklet-Texte) sind bezahlte Lobeshymnen. Weil sie ihr Publikum gewöhnlich erst nach dem Kaufakt finden, ist ihr werblicher Effekt begrenzt. Die eigentliche Funktion dieser Art von Werbeprosa besteht darin, den Kauf nachträglich zu legitimieren, häufig auch - auf gut Deutsch - emporzujazzen, er, der Käufer, habe da ein ganz dolles Ding in Händen.
Liner notes können nützlich sein. Und manchmal sind die schlichtesten die besten, z.B. die vom Label
Criss Cross Jazz, die von den Intentionen der Künstler berichten und knapp die Formen der Kompositionen beschreiben.
Beliebt sind
approval sets: bekannte Jazzmusiker bestätigen unbekannten Kollegen, dass sie zum Besten gehören, was sie, die bekannten, seit langem gehört haben. Oft betätigen sich die Autoren von liner notes als Jubel-Perser.
Aus Schwabstedt in Schleswig-Holstein nun kommt das Grösste auf diesem Sektor, sozusagen
liner notes to end all liner notes: der Autor spricht mehr von sich als von den Künstlern, die er zu empfehlen hat, nämlich Heinz Sauer und Michael Wollny mit ihrem zweiten Album "Certain Beauty" (ACT).
In Schwabstedt residiert
Michael Naura, 71, ehedem Leiter der NDR-Jazzredaktion und - was noch immer gilt - das einzige literarische Talent unter den deutschen Jazzpublizisten. Schon im zweiten Satz seiner liner notes zu "Certain Beauty" verweist er darauf: "Was ich einst in einem meiner Bücher geschrieben habe..."
Es folgt ein schönes Selbstzitat über Jazz ohne Schlagzeug, das Naura über die Zwischenstufe "Das hat mir der berühmte Stan Getz verraten." in das nächste Zitat überführt, eben eines von
Stan Getz.
(Das Verb in diesem Satz, lieber Michael, hat noch Luft: "offenbaren" wäre entschieden stärker gewesen.)
Noch ist der Naura-Akkord nicht vollständig, es folgt seine ultimative Färbung: "Wer wie ich seinerzeit
Ben Webster mit Oscar Peterson produziert hat, der...“
Stimmt, wir sind gar nicht darauf eingegangen,
was Naura zu Sauer & Wollny mitzuteilen hat (z.B. seine höchst bestreitenswerte These "Das Duo-Spiel ist am ehesten vergleichbar mit den inneren Welten von Liebes- oder sonstigen Ehepaaren.") und was er nicht dazu sagt, nämlich rein gar nichts über die Musik von Sauer & Wollny.
Macht nix. Naura verrät, nein offenbart eine unschlagbare Lösung:
"Ein Rat zum Schuss: Man sollte diese wunderbare Musik nicht zerquatschen. Ich empfehle: Hinlegen, Augen schließen, Ohren öffnen, schweigen, das reicht. Die Aura dieser Musik wirkt."
Aber, lieber Michael, warum dann Dein Text?
Dann braucht ihn doch gar niemand
!


©Michael Rüsenberg, 2006. Nachdruck verboten