MILES DAVIS & ROBERT GLASPER Everything´s Beautiful **

01. Talking Shit (Miles Davis, Glasper, Jews, Zawinul), 02. Ghetto Walkin´ (Bilal Oliver, Glasper, Davis), 03. They can´t hold me down (Illa J, Glasper, Davis), 04. Maiysha (Badu, Davis, Glasper), 05. Violets (Phonte Coleman, Glasper, Davis), 06. Little Church (Davis, Pacoal), 07. Silence is the Way (Mvula, Zawinul, Davis), 08. Song for Selim (Strother, Bias), 09. Milestones (Davis), 10. I´m leaving you (Anibade Young, Glasper, Davis), 11. Right on Brotha (Vincent Williams, Chris Robinson, Davis, Shorter)

Bilal - voc (2), Illa J - voc (3), Erykah Badu - voc (4), Phonte - voc (5), Hiatus Kaiyote - voc (6), Laura Mvula - voc (7), King (Amber Strother, Anita Bias, Paris Strother) - voc (8), Georgia Anne Muldrow -voc (9), Ledisi - voc (10), John Scofield - g (10), Stevie Wonder - harm (11), Robert Glasper - keyb, Derrick Hodge - bg (1,3)), Burniss Earl Travis - bg (5,10)

rec. 2015 (?)
Sony Legacy Blue Note 88875157812

Miles Ahead. Original Motion Picture Soundtrack *********

01. Miles Ahead, 03. So What, 04. Taylor Made, 06. Solea, 07. Seven Steps to Heaven, 09. Nefertiti, 10. Frelon Brun, 12. Duran, 14. Go ahead John, 15., Black Satin, 17. Prelude 'II, 19. Junior´s Jam (Glasper), 20. Francessence (Glasper), 21. Back Seat Betty, 23. What´s wong with that? (Glasper, Cheadle, Strickland), 24. Gone 1015

Columbia Legacy 88985306672

Am 26. Mai 2016 wurde Miles Davis (1928-1991) 90 Jahre alt.
Es wird viele Memorials, Verneigungen, Hommages geben. Aber keine dürfte sich offiziöser, nein offizieller ausnehmen als dieses Projekt.
Es erscheint nicht nur bei Davis´ langjährigem Vertragspartner, der Jubilar selbst wird als Autor genannt; an seiner Seite, namentlich gleichberechtigt, ein Künstler, der zu dessen Todeszeitpunkt ganze 13 Jahre alt war.
Es gibt gute Gründe, diese Kombination für einleuchtend, ja vielversprechend zu halten, gute Gründe auch für die Fantasie, Miles hätte an Glasper heute sein Wohlgefallen.
Der Pianist aus Houston/TX erfüllt seine Bedingung Nr. 1: er ist ein Groove-Mann, wahrscheinlich der beste derzeit. Bedingung Nr. 2 (könnte auch an erster Stelle stehen): er hat Zugang zur afro-amerikanischen Hörerschaft („viel mehr als ich je hatte“, hören wir Miles auf Wolke 7 heiser nuscheln).
Und, Robert Glasper ist stilistisch dem Humus des Pianisten entwachsen, mit dem Miles seine größten Entwicklungsschübe vollzogen hat: Herbie Hancock.
Zugegeben, der Maßstab scheint auf Grund der unterschiedlichen Lebensspannen noch nicht ganz stimmig zu sein, aber mit Hancock teilt Glasper doch die Eigenschaft als Frühvollendeter. Gegenüber ersterem ist das im Falle des letzteren diskographisch kaum nachzuweisen, man muss stattdessen Konzerte und vor allem ein Youtube-Video heranziehen (immer und immer wieder Paris La Villete, 2010),
Aber dieses Muster eint beide: Erfolge feiert Glasper im populären Fach, der Rückweg in den „Jazz“ geschieht auf einem schmalen Pfad, lieblos bepflanzt, ganz ähnlich wie beim späten Hancock.
Als Maulheld hingegen schlägt Robert den eher onkelhaften Herbie um Längen. Auch jetzt ist sein Köcher wieder prallvoll:
„Die Idee hinter Everything´s Beautiful war es zu zeigen, wie Miles die Menschen dazu inspirierte, neue, eigene Kunstformen zu erschaffen.“
Weiß der Mann, wovon er spricht?
cover davis glasper„Mit Everything´s Beautiful handle ich ganz im Sinne von Miles. Denn ich dokumentiere die Zeit, in der ich lebe. Ich dokumentiere, was um mich herum vorgeht, wer ich gerade in diesem Moment bin und den aktuellen Stand der Musik.“
Das ist das übliche Jazz-Gelabere, linkes Ohr ´rein, rechts wieder ´raus. Wer den Satz zwei-, dreimal liest und darüber nachdenkt, der kann die Gleichsetzung von persönlicher Identität mit „dem aktuellen Stand der Musik“ nur für Größenwahn halten.
Das akustische Kondensat dieser „Überlegungen“ beschränkt sich auf R&B-Songs, mit ein wenig zeitgemäßer loop-Ästhetik, gefüttert mit Schnipseln aus dem Miles-Imperium.

Das muss man sich mal vorstellen: Robert Glasper hatte Zugang zu vielen Aufzeichnungen der historischen Sessions, die er hier hineinraspelt.
Dass er die Chance, die daraus erwächst, versemmelt, ist noch ein mildes Urteil, vor allem gemessen an dem Maulhelden-Anspruch dieser Produktion - im Grunde ist sie nichts weiter als eine Fortschreibung seiner „Black Radio“-Alben (2011 und 2013).
„Der aktuelle Stand der Musik“?
Glasper reicht mit einem einzigen Stück an die Hammer-Grooves von „Black Radio“ heran; das ist track 7, wo in einem Londoner Studio Laura Mvula über einem loop aus „In a silent Way“ singt. Der Produzent Jules legt ein drum computer-pattern darüber. Nicht übel, aber zum Schreien komisch, wenn man bedenkt, dass Glasper früher einen Chris Dave an seiner Seite hatte.
(Die Stimmung im „La Villete“-Video birst aus der Spannung zwischen Glasper & Dave, das ist Groove-Historie!) An „Everything´s beautiful“ ist nun überhaupt kein Live-Drummer beteiligt.
Ist das „Der aktuelle Stand der Musik“?
Der Album schließt mit einer happy-go-lucky Disco-Soul-Nummer a la Stevie Wonder, „Right on Brotha“, wo dieser das Thema von Wayne Shorters „Nefertiti“ auf der Mundharmonika spielt. Anachronistischer geht´s nicht.
Ja, ein Original-Miles-Man ist auch dabei: John Scofield. In „I´m leaving you“ darf er ein paar dreckige Gitarren-Voicings beisteuern, in einer Nebenrolle, im Hauptfach agiert irgend ein Soul-Stimmchen aus Robert Glaspers Telefonbuch, Ledisi. Miles selbst krächzt halb-taktig, in Scratch-Länge. („Waitaminute. Waitaminute“).
Im opener, über einem loop von Zawinul´s e-piano, können wir ihn auch verstehen. Er quasselt.

Miles quasselt!
Bislang galt er als Wortkarger, der, wenn er denn was sagt, die Dinge auf den Punkt bringt wie kein zweiter.  Hier hört man ihn unentwegt auf Zawinul einreden, mit Wortschnipseln aus „Jack Johnson“, „Nefertiti“ und „In a silent Way“.

cover miles ahead„Miles Ahead“ beginnt mit „Miles Ahead“, der historischen Aufnahme. Aber es ist nicht die aus dem gleichnamigen Meisterwerk von 1957, sondern aus dem Album „Blue Haze“ von 1954.
Mit diesem „Miles Ahead“ startet der soundtrack zum gleichnamigen Film, den in vollständiger Länge anzuschauen sich die Jazzpolizei nach dem vulgären Trailer geschenkt hat.
„Miles Ahead“ schlägt einen leidlich repräsentativen Bogen über fast drei Jahrzehnte Miles, vom Hardbop der 50er bis zum stolzen Jazzfunk von „The Man with the Horn“, 1981, meist in edits, d.h. gekürzten Fassungen.
Dazwischen zwei Stil-Rekonstruktionen von Robert Glasper: „Junior´Jam“, das eher dem Mittsiebziger „Headhunters“-Funk von Herbie Hancock nachschmeckt sowie die Ballade „Francessence“, gleichfalls tief Hancock-geladen, allerdings eher aus dessen Sextett-Zeit, Anfang der 70er.
In track 23, „What´s wrong with that“ tritt dann Miles´ prominentester Pianist selbst noch mal an, in einer aktuellen All-Star-Besetzung, die sich in einem Allerwelts-70er-Funk gegenseitig auf die Füsse tritt.
Wer zwei tracks zurückfährt, zu Nr 21, einem edit aus „Back Seat Betty“, der vernimmt ein funk-pattern wie von einem anderen Stern: Marcus Miller, Mr. Slap himself und ein ebenso reduziert wie klug spielender Al Foster. Den ersten Durchgang spielt er mit snare-Akzenten und einer geschlossenen hi-hat; nach zwei Power-Akkorden von Barry Finnerty gibt Miller zwei Takte vor und Foster öffnet die hi-hat: Herrschaften, das groovt!
Allerdings, in „Gone 2015“ gelingt Robert Glasper doch etwas, was man als Umsetzung von Miles´ Willen verstehen kann. Miles krächzt:
„Can you play a bop-aaa, bop-aaa, bop-aaa,- that goes on all the time!“ Er gibt damit einen scotch snap vor (kurz - lang).
Glasper greift das pattern im Piano auf, es folgen Bläser und ein Rapper (eine Referenz an Miles´ „Doo Bop“, 1991) - und ein Shuffle, der herrlich verdreht ist. Justin Tyson spielt abschnittweise, als wisse er nicht, wo die Glocken hängen, aber er macht nichts weiter als kunstvoll die Phrasen zu wechseln. Und mit Druck!

Fraglich ist, wem eine solche Compilation nützt, wo doch so viele Miles-Compilations vorliegen. Vielleicht zieht hier wieder das Standard-Argument: es werden dem Jazz - vielleicht -neue Hörer zugeführt!

erstellt: 13.05.16/03.06.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten