MILES DAVIS QUINTET Freedom Jazz Dance - The Bootleg Series Vol. 5 (**********)

CD 1
01. Freedom Jazz Dance (Session Reel), 02. Freedom Jazz Dance (Master Take), 03.    Circle (Session Reel), 04. Circle (Take 5), 05.    Circle (Take 6), 06. Dolores (Session Reel), 07. Dolores (Master Take)

CD 2
01. Orbits (Session Reel), 02. Orbits (Master Take), 03. Footprint (Session Reel), 04. Footprints (Master Take), 05. Gingerbread Boy (Session Reel), 06. Gingerbread Boy (Master Take), 07. Nefertiti (Session Reel), 08. Nefertiti (Master Take)

CD 3
 01.    Fall (Session Reel), 02. Fall (Master Take), 03. Water Babies (Session Reel), 04. Water Babies (Master Take), 05. Masqualero (Alt. Take 3), 06. Country Son (Trio Rehearsal), 07.  Blues in F (My Ding), 08. Play Us Your Eight (Miles Speaks) 


Miles Davis - tp, p (CD 3/7), Wayne Shorter - ts, Herbie Hancock - p, Ron Carter - b, Tony Williams - dr


Circle, Orbits, Dolores, Freedom Jazz Dance - rec. 24.10.1966
Gingerbread Boy, Fooprints - rec. 25.10.1966

Masqualero - rec. 17.05.1967
Water Babies, Nefertiti - rec. 07.06.1967
Fall - rec. 19.07.1967
Country Son - rec. 15.05.1968
Blues in F - rec. ?/1967

Sony/Columbia Legacy 88985357372

Wer die ersten 23 Minuten dieser 3-CD-Box ertragen, durchstehen, vielleicht sogar genießen kann, Glückwünsch!, für den ist diese Veröffentlichung gedacht: er/sie ist ein echter Miles-Davis-buff, vielleicht aus der Musikwissenschaft, aus dem Archivwesen. Oder ein großer hardcore-Sammler, unter Vollständigkeitswahn.
Alle anderen dürfen dieses Zeitfenster mit guten Gründen als Zeitverschwendung, als Verkürzung ihrer Lebenszeit, kurzum: für eine Zumutung halten.
In diesen 23 Minuten werden sie alle Zeuge, wie eine der größten Jazzcombos aller Zeiten - das zweite Miles Davis Quintett - mit Wasser kocht!
Ron Carter fummelt sich durch die changes, irgendjemand zählt an - nichts passiert, Carter ist keinen Schritt weiter, Miles singt ihm die Phrase vor, Carter greift sie auf, variiert sie, immer noch nicht zu aller Zufriedenheit, viel Gerede, man erkennt Herbie Hancock, auch Tony Williams … wer hält das durch?
cover miles bootleg 5Man springt weiter, track 2, zum mastertake von „Freedom Jazz Dance“, dem alten Schlachtross von Eddie Harris (1934-1996), mit einem hyperaktiven Tony Williams, der kaum den Funk-Charakter des Grundbeats verhüllt.
Es wiederholt sich die frühere Erfahrung  von Miles-Archivmaterial: die veröffentlichten Fassungen, die mastertakes, sind und bleiben unerreicht, alle second takes oder alternate takes reichen nicht an sie heran.
Die Entscheidungskompetenz von Miles Davis und seines Produzenten Teo Macero war bestechend.
Hier aber, auf drei CDs wird nicht nur musikalischer Ausschuß veröffentlicht, sondern das ganze Drum & Dran, „jeder erdenkliche Aufwand wurde getrieben“, so liest man erstaunt, „um die Studio-Dialoge so gut hörbar wie nur möglich zu machen“.
Höhepunkt dieses Doku-Irrsinns ist ein Monolog, track 7 auf CD 3: Miles Davis demonstriert in seiner Wohnung in Manhattan Wayne Shorter, wie er sich ein neues Bluesstück vorstellt, auf einem ordentlich verstimmten Klavier!
Wer will so etwas hören?
Es wird sogar eine Webseite genannt, wo man den ganzen Müll in transkribierter Form verfolgen kann.
Warum diese Veröffentlichung? (Die, wie die gesamte Reihe, den Begriff „bootleg“ im Sinne von „illegaler“, „am-Künstler-vorbei“-Veröffentlichung vollends auflöst.)
Die auch, wenn man das alte Argument aus der Improvisierten Musik auspackt, „der Weg ist das Ziel“, keinen Sinn macht. Die Spielzüge, die Spielprozesse dieses historischen Ensembles sind fraglos interessant, ja sie machen den Kern der Bewunderung aus. Anderseits ist diese Ästhetik aber auf die Vervollkommnung der Form ausgerichtet, vulgo: auf Stücke mit Anfang und Ende.
Und die liegen allesamt in Best-Einspielungen vor.
Die meisten Stücke hier stammen aus dem Album „Miles smiles“, das vor 50 Jahren produziert wurde. Das ist der Anlass zu diseser Veröffentlichung.
Wer das besitzt, erhält keinerlei musikalischen Mehrwert. Und wer über die Nachfolgealben „The Sorcerer“, „Nefertiti“ und „Water Babies“ verfügt, kennt auch die offiziellen Aufnahmen jenseits von „Miles smiles“, mit denen die Produzenten die Angelegenheit auf 3 CDs aufbrezeln.
Vielleicht zielen sie auf das anlaufende Weihnachtsgeschäft, auf Verwandte & Freunde, die ihren Liebsten eine gut verpackte Freude machen wollen.
Obacht! Es dürfte kaum eine Miles-Fan geben, dessen Entzücken daran, wie sagt man so schön „nachhaltig“ wäre. Weil er eh alles schon kennt.

erstellt: 20.11.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten