MARCIN WASILEWSKI TRIO Live ********

01. Spark of Life/Sudovian Dance (Wasilewski), 02. Message in a Bottle (Sting), 03. Three Reflections (Wasilewski), 04. Night Train to you, 05. Austin, 06. Actual Proof (Hancock)

Marcin Wasilewski - p, Slawomir Kurkiewicz - b, Michal Miskiewicz - dr

rec. 212.08.2016

ECM 2592

Dem Königreich Belgien gebührt ab 2018 ein Platz in der Liste magischer Produktionsorte des Jazz. In diesem Jahr werden zwei Orte & Zeiten bekannt, zu denen (Achtung Verschwörungstheoretiker!) zwei Pianisten mit ihren Trios herausragende Konzerte gaben - ohne zu wissen, dass diese mitgeschnitten werden.
Egal, was man von dieser Form der Ahnungslosigkeit hält; zum bisherigen Datum 24.11.2017 im Studio 4 im Flagey Building Brüssel, wo dem Fred Hersch Trio ein großer Wurf gelang, kommt jetzt das Festival Jazz-Middelheim, am 12. August 2016 in Antwerpen, hinzu.
Das Marcin Wasilewski Trio aus Polen, seit 1990 beisammen und lange Jahre Begleitband von Thomasz Stanko spielt vor 4.000 Festivalbesuchern.
„(Vor einem Publikum dieser Größe) ändert man weder sein Spiel noch sein Handwerk, aber man bringt schon mehr Energie auf“, erklärt Wasilewski. „Und das kann man an dieser Aufnahme hören.“
Er hat recht.
Bis auf „Night Train to you“ (aus „Faithful“, 2010) stammen alle Stücke in Antwerpen aus „Spark of Life“, dem 2014 mit dem norwegischen Saxophonisten Joakim Milder eingespielten Album.
Das war eine Liaison, deren Sinn sich nicht recht erschließen wollte. Zum Glück hielten sich die drei Polen während der Produktion aber mehrere Türchen offen: Stücke ohne den zaghaften norwegischen Gast.
cover Wasilewski liveUnd diese nähren sie nun prächtig.
Lediglich die Doppel-Eröffnung „Spark of Life/Sudovian Dance“ stammt aus dem Bestand mit Milder, den großen Rest haben sie damal schon im Trio angepackt.
Und man wüsste auch gar nicht, welcher Platz Milder bliebe z.B. in „Message in a Bottle“ von Sting, ganz zu schweigen von „Actual Proof“, einer der dichtesten uptempo Funk-Signaturen aller Zeiten.
Rhythmusgruppe in beiden Aufnahmen von Herbie Hancock (Studio, „Thrust“, 1974“ und live, „Flood“, 1975) waren Paul Jackson, bg, und Mike Clark, dr.
Und obenauf: Hancock himself.
Ein solcher Energielevel ist kaum je wieder zu erreichen - schon gar nicht mit einem Kontrabass. Der niemals den knochen-trockenen punch einer Baßgitarre a la Paul Jackson erreichen kann. Nicht zuletzt sieht die Jazz-Ästhetik ein solches Reproduktions-
verfahren auch gar nicht vor.
Die Rhythmusgruppe mit Slawomir Kurkiewicz und Michal Miskiewicz legt ein nicht weniger vitales pattern vor, funky auf ihre Art, nicht so tight, „offener“.
Wasilewski streut ein paar Akkorde in den voicings darüber, die klarmachen: jetzt gilt das Vokabular von Onkel Herbie mehr als je zuvor (mehr auch als in „Night Train to you“).
Er hält sich deutlich an die thematischen Vorgaben, in der Mitte des Stückes trommelt Miskiewicz gegen die typischen Folgen aus drei, fünf und sieben Tönen an, das Stück wird gewissermaßen skeletiert.
Ab 7:35 lässt Marcin Wasilewski alle Vorgaben hinter sich, er tritt in einen Dialog mit sich selbst. Und was sich nun linke und rechte Spielhand zu sagen haben, türmt sich zu den aufregendsten zwei Minuten des Konzertes.
Die Form von „Actual Proof“ ist vergessen, einzig das Tempo bleibt; Wasilewski schlägt Hancock mit seinen eigenen Mitteln, es ist eine Hommage im Konjunktiv: Wasilewski spielt Motive, die von Hancock stammen könnten - die jener aber vielleicht niemals selbst verwendet hat.
Was für ein Niveau!
Man möchte das Stück als Elchtest verwenden für etliche hochgelobte europäische Piano-Trios.
Wasilewski & Co kommen nicht per Zufall dorthin. Zwei Stücke zuvor, in ihrem eigenen „Night Train to you“, streifen sie bereits diesen Level.
Hancock´isch im Geiste, aber ohne direkte Zitate, bedienen sie sich über einem 6/8-vamp aller Zutaten, die Interaktion zum Leuchten bringt. Die Coda ist hier klar erkennbar an einer Wiederholung des Themas in sehr reduziertem Tempo.
Nicht zu vergessen, das in thematischen Variationen angelegte Baß-Solo von Slawomir Kurkiewicz. In „The Reflections“ folgt er einem ähnlichen Konzept.

erstellt: 22.11.18
©Michael Rüsenberg, 2018. Alle Rechte vorbehalten