CHICK COREA The Musician *****

CD 1
01. Captain Marvel (Corea), 02. Light as a Feather (Stanley Clarke, Flora Purim), 03. I hear a Rhapsody (Fragos, Baker, Gasparri), 04. Spirit Rides (Corea), 05. Special Beings, 06. I´ve got the World on a String (Arlen, Koehler), 07. Spain (Corea)
CD 2
01. Overture (Corea), 02. Your Eyes speak to me (Moran), 03. If I were a Bell (Loesser), 04. Nefertiti (Wayne Shorter), 05. Zyryab (Francisco Sanchez Gomez, Mles, Garzon), 06. Mi Niña Lola
CD 3
01. CC´s Birthday Blues (Corea), 02. Caravan (Tirol, Ellington), 03. Hot House (Dameron), 04. Dolphin Dance (Hancock), 04. Cantaloupe Island, 05. Ritual (Corea), 06. Silver Temple

Return To Forever Unplugged (CD1, 1-2)
Chick Corea - p, Stanley Clarke - b, Lenny White - dr, Frank Gambale - g
Chick Corea Trio (CD1, 3)
Chick Corea - p, Gary Peacock - b, Brian Blade - dr
Five Peace Band (CD 1, 4-5)
Chick Corea - p, ep, Kenny Garrett - as, John Patitucci - b, bg, Brian Blade - dr
Chick Corea & Bobby McFerrin Duet (CD1, 6-7)
Chick Corea - p, Bobby McFerrin - voc

Chick Corea & Gary Burton (CD2, 1-2)
Chick Corea - p, Gary Burton - vib, The Harlem String Quartet,, Gayle Moran - voc (2)
From Miles (CD 2, 3-4)
Chick Corea - p, Wallace Roney - tp, Gary Bartz - as, Eddie Gomez - b, Jack DeJohnette - dr
Flamenco Heart (CD 2, 5-6)
Chick Corea - p, Concha Buka - voc (6), Carles Benavent - bg, Jorge Pardo - as, fl, Jeff Ballard - dr, Niño Josele - g

Chick Corea & Marcus Roberts Duet (CD 3, 1-2)
Chick Corea - p, Marcus Roberts - p, Wynton Marsalis - tp (CD 3, 2)
Chick Corea & Hernie Hancock Duet (CD 3, 3-5)
Chick Corea - p, Herbie Hancock - p
The Chick Corea Elektric Band (CD 3, 6-7)
Chick Corea - keyb, Frank Gambale - g, Eric Marienthal - as, John Patitucci - bg, Dave Weckl - dr

rec. ?.2011
Concord Jazz 0888072026490

 Am 12. Juni 2011 wird Chick Corea 70.
Im November jenes Jahres belegt er das „Blue Note“ in New York City für einen ganzen Monat, gibt 48 verschiedene Konzerte mit 10 verschiedenen Bands und insgesamt 27 Musikern.
Er folgt einem von ihm selbst etablierten Muster: die Mitschnitte zu seinem Sechzigsten (2001), gleichfalls aus dem Blue Note, resultierten in einer Doppel-CD („Rendezvous in New York“), veröffentlicht im Abstand von 18 Monaten zum Anlass, im Mai 2013.
Es ist ein Rätsel, warum beim Siebzigsten der Abstand nun auf mehr als 5 Jahre angewachsen ist: inzwischen hat der ewige Jubilar seinen Sechsundsiebzigsten hinter sich und hatte, selbstverständlich, im Herbst 2016 zu seinem Fünfundsiebzigsten ins „Blue Note“ eingeladen;  mit sehr ähnlichem Personal, aber auch einer Überraschung aus Europa, der „Chick Corea Big Band“, die in personae identisch ist mit dem Trondheim Jazz Orchestra.
Eine erneute Geburtstagsfeier also, „The Musician“, Chick Corea zum Siebzigsten. Der Erwartungsrahmen ist damit klar gezogen; es soll hochleben ein Musiker von jazzhistorischer Bedeutung, in seiner Vielfalt, die auch in 10 verschiedenen Besetzungen nicht repräsentativ abgebildet werden kann.
Noch dazu nicht in der Qualität der „Originale“, auf die sie sich jeweils beziehen.
Einen typischen Eindruck bietet der Einstieg „Captain Marvel“. Chick Corea hat das nach einer Comic-Figur benannte Stück 1973 für das zweite Album seiner Gruppe Return To Forever geschrieben, kurz danach mit Stan Getz (und Tony Williams!) und 2009 bei einem RTF-come back noch einmal aufgegriffen.
cover corea musicianDie Rhythmusgruppe Stanley Clarke/Lenny White ist schlicht nicht auf der Höhe des Jobs; der Drummer lässt - wie es Volker Kriegel (1943-2003) beschrieben hätte - „heisse Kartoffeln fallen“.
Und man fragt sich, warum alle anderen Schlagzeuger dieses Projektes nicht nur viel besser spielen, sondern auch viel besser klingen, zumal es mit Bernie Kirsh kaum einen mehr vertrauten Tonmeister mit dem Werk von Chick Corea gibt.
Grotesk auch der verhallte Trompeten-Ton, mit dem Wynton Marsalis zum Auftakt von CD3 offenbar als Überraschungsgast dem Piano-Duo Corea/Marcus Roberts sich zugesellt.
Absoluter Tiefpunkt der wochenlangen Feiern der Moment, als Corea seine Ehefrau Gayle Moran ans Mikrofon bittet, zu einem von ihr geschriebenen Schmachtfetzen („Your Eyes speak to me“) - das muss wohl Liebe sein…
Schwach und nicht eben von großer Gestaltungskraft geprägt das eher nach Durcheinander klingende Gipfeltreffen von Corea & Hancock; das andere „große“ Duo, das mit Bobby McFerrin, erwartungsgemäss transparenter, zeigt in „Spain“ gelegentlich Intonationsschwächen des Sängers.
„Spain“, ursprünglich wie „Captain Marvel“ aus dem Album „Light as a Feather“ (1973), bleibt nicht die einzige iberische Verneigung des Italo-Amerikaners Corea, völlig verzückt reagiert das Publikum auf die 1972 in Palma de Mallorca geborene Sängerin Concha Buika (CD2/6), eine unerhört starke Stimme.
Die Jazz-Combos agieren passabel. From Miles mit Miles-Davis-Repertoire, worin Wallace Roney keine so gute, aber Gary Bartz auf dem gekurvten Sopransaxophon eine passabel Figur macht. Brian Blade ist zweimal dabei, auffällig dass die Five Peace Band, ursprünglich dem Jazzrock zugeneigt, hier überwiegend swing spielt, das beste Solo darin vom Jubilar auf dem Flügel in „Spirit Rides“.
Der Gewinn der ganzen Feier aber ist John Patitucci. Wer ihn neulich mit seiner eigenen Band gesehen hat, weiss: der Mann ist ungeheuer gut drauf. Und er war es auch 2011 im „Blue Note“: in der Five Peace Band spielt er einen sehr gruppen-dienlichen Kontrabass, in der Elektric Band eine ebensolche 6-saitige Baßgitarre.
Das letzte Stück dieser Band, „Silver Temple“, wenn der Saxophonist Eric Marienthal nur im Thema mitspielt, ist der Knaller der ganzen 3-CD-Box. Es dauert eine Viertelstunde; nach fünfeinhalb Minuten, nach einem 6/8-Vorspiel in RTF-Tradition, bricht mit einem Fanfarenstoß ein regelrechter call & response-Sturm aus: Frank Gambale feuert, der Jubilär hält mit auf dem e-piano, an ein paar Stellen mit Tonbeugungen (pitch bendings).
Und darunter pulsiert ein unfassbar gute Rhythmusgruppe, John Patitucci/Dave Weckl. Warum dieses Team mühelos an seine „Original“-Zeiten anschließen kann? Die Chick Corea Elektric Band in dieser Besetzung hat nie aufgehört zu arbeiten, „on and off“, sagt John Patitucci, sei er immer noch dabei. Eine Erfahrung, die sich hörbar auszahlt.

 

erstellt: 30.06.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten