JONAS BURGWINKEL Medusa Beats ********

01. For W. (Burgwinkel), 02. Caligula, 03. Bruun (Eldh), 04. Soon I will be done with the Troubles of this World (trad), 05. Eclectic (Burgwinkel), 06. Spa, 07. The Loop of Chicago (Delbecq), 08. Broken World, 09. Circle and Calligrams, 10. Stingaloon (Burgwinkel), 11. Riddles (Delbecq), 12. Anamorphoses

Benoit Delbecq - p, snyth, Petter Eldh - b, Jonas Burgwinkel - dr

rec. 13- 15.05.2017

Jazzwerkstatt 179

THE RECYCLERS Davout ******

01. Whammy (Steve Argüelles), 02. Nouvettes, 03. Caboose, 04. Kitchen, 05. Minaret, 06. +X

Steve Argüelles - dr, perc, Benoit Delbecq - p, Christophe Mink - bg, synth, ngoni, harp, Antonin Tri-Hoang - ts (6)

rec. ?

DStream 104

Die Premiere von Medusa Beats war im November 2015 im Loft, Köln, beim Festival Vive le Jazz!.
Ihr vorauf ging, im gleichen Rahmen 2014, freilich im Institute Francais, dieselbe Rhythmusgruppe mit einem anderen französischen frontman, mit Emile Parisien - ein Projekt, das Projekt blieb und sich - leider! - nicht zu einer Band verstetigen konnte.
Das Griechische an Medusa Beats liegt lediglich im Namen; kein Hellene gehört diesem Trio an, sondern ein Deutscher (Jonas Burgwinkel), ein Schwede (Petter Eldh) und ein Franzose (Benoit Delbecq).
An Medusa, einer der drei Gorgonen aus der griechischen Mythologie, interessiert die Band lediglich deren schlangenhafte Haarpracht. Sie ist auf dem Cover auf eine Doppelbelichtung des Bandleaders geschrumpft und soll sinnbildlich stehen für die verschlungenen Linien und Rhythmen - also Beats -, die in der Tat den Bereich der Polyrhythmik im zeitgenössischen Jazz um ein neues Kapitel erweitern.
Cover Burgwinkel MedusaDie beiden ersten Stücke des Albums sind in dieser Hinsicht nur Vorspiele, der Parcours wird richtig eröffnet durch Petter Eldh´s Hommage an seinen Schlagzeug spielenden Partner Peter „Bruun“ (aus Django Bates´ Beloved Trio). Ein Motiv wird in den ersten 10 Takten vorgestellt, es ist eher ein Motivknäuel, denn schon auf dieser kurzen Distanz variieren Tempo und Dynamik erheblich.
Mit dem Spiritual „Soon I will be done with the Troubles of this World“ legt das Trio eine Verschnaufpause ein, bevor es dann in „Eclectic“ das volle Besteck entfaltet.
Jonas Burgwinkel hat dieses Stück erstmals 2009 auf seinem Debüt „Source Direct“ veröffentlicht, hier schüttet es wie ein Füllhorn rhythmische Aggregate aus, als da sind: walking bass, double time, accelerado, ritardando, groove switching generell, also ein beinahe permanentes Wechselbad der rhythmischen Formen, nicht zuletzt cluster-Akkorde im Piano, als es in die Schlusskurve strebt.
Das klingt nach großer Dramatik, wird aber eher im Stile des Neo Cool aufgefangen, wie er von den Dreien insbesondere von Benoit Delbecq vertreten wird.
In „Spa“ gibt er ein anderes Markenzeichen zu erkennen, das präparierte Piano. Es geht, weil eine Technink des Saiten-Dämpfens, eher mit einer perkussiven Anmutung einher (was das Trio in einer früheren Phase weitaus mehr gepflegt hat). Am ehesten schließt noch „Anamorphoses“ daran an, nämlich an den Eindruck eines Ensembles aus drei Perkussionsinstrumenten; ebenso „Circles and Calligrams“ (wie Burgwinkel liebt es auch Delbecq, immer wieder auf ältere Kompositionen zurückzugreifen.)
„Circles and Calligrams“ aus dem Jahre 2009 ist ein Paradestück aus Delbecq´s Satie-meets-Afro-meets-Jazz-Ästhetik, die polyrhythmische Fraktur ist auch hier wieder überwältigend. Und alles immer wieder schön cool.
Im Debüt im Institut Francais kam seinerzeit überhaupt kein Synthesizer zum Einsatz, jetzt läuft er manchmal melodisch parallel zum Piano, wie z.B. in dem sehr „eckigen“ „The Loop of Chicago“.
Neo Cool bedeutet nun keineswegs, dass die Musik an Dringlichkeit vermissen liesse, im Gegenteil: gegen das polyrhythmische Geflecht von „Stringaloon“ hämmert Benoit Delbecq schließlich ein kinderlied-artiges Thema, das sich im ruppigen 3/4-Takt behauptet, bevor es vom Gewusel der linken Spielhand geschluckt wird.
Nicht nur Petter Eldh besetzt also das Inselchen einer Kinderlied-Ästhetik im aktuellen Jazz - Jonas Burgwinkel, der Familienvater, tut es jüngst auch.
cover recyclers 1„Davout“ zeigt Benoit Delbecq in einer seiner Pariser Umgebungen. Und das ist hier wörtlich zu nehmen.
„Davout“ ist im gleichnamigen Studio entstanden, 1965 aus einem Kino hervorgegangen und jüngst für immer geschlossen. Anhand derer, die hier produziert haben, kommt man nicht umhin, hier ein legendäres Reich der Töne zu wissen: von Michel Legrand bis Karlheinz Stockhausen, von Serge Gainsburg bis Archie Shepp, von Nico bis Keith Jarrett, von Dexter Gordon bis Yo-Yo Ma, nicht zu vergessen die Talking Heads und Herbie Hancock.


Nun also die Recyclers, 1992 gegründet von Delbecq mit seinem langjährigen Partner Steve Argüelles sowie Noel Akchoté, 1999 ersetzt durch Christophe „Disco“ Minck.
Formal handelt es sich, wie bei Medusa Beats, um ein Piano-Trio.
Aber die Unterschiede zum Genre allgemein und schon zu Medusa Beats sind beträchtlich.
Das beginnt bei der Besetzung: Delbecq spielt das Piano in „reiner“ Form, nicht mit präparierten Saiten und keinen Synthie. Den bedient Minck, einen alten Mog, dazu Baßgitarre und in den tracks 5 und 6 Ngoni, eine Langhalslaute aus Mali.
Yes, folks, es geht in Richtung Afrika, es geht in Richtung Groove, es geht weit weg von komplexer Rhythmik. Schon der Auftakt „Whammy“ lässt sich leicht als 4/4-Takt zählen, angeshufflet!
Es ist das Programm einer Reduktion, auf einzelne Beats, auf die Klanglichkeit des einzelnen Beat. „Nouvettes“ z.B. ist so was von downtempo gespielt, wie es der Jazz nicht kennt, sondern bestenfalls TripHop. Man meint, einer Piano-Raummusik a la Satie beizuwohnen, unter die sich nachträglich eine slow motion Rhythmusformel schiebt; Minck wabert auf dem Moog eher durch die Tiefen, als dass er benennbare Tonhöhen anstrebt.
„Cabosse“ eröffnet er mit einer old school synthie-Figur, Delbecq setzt ein pentatonisches riff darüber, die Melodie übernimmt die Ngoni. Es ist der erste Afro-track.
Nach dem bluesigen Intermezzo „Kitchen“ folgt der zweite; das sich ständig wiederholende Piano-Riff in „Minaret“ könnte von Abdullah Ibrahim stammen, Minck legt Motive mit afrikanischer Harfe darüber und wechselt dann zu - erneut - altbackenen Synthie-Sounds.
Delbecq übernimmt, und dann setzt ein großes Palaver an: Piano, Ngoni, Harfe (mit absaufenden Tonhöhen) werden multipliziert über einem 3/4-Takt.
Wie immer klingt der dumset von Steve Argüelles ungemein transparent, am deutlichsten im Schlusstrack „+X“, wo er Besen und Perkussion spielt. Es ist ein atmosphärisches, leicht groovendes Stück, in das sich für einen Moment - aus weiter Ferne, wie es scheint - das Tenorsaxophon von Antonin Tri-Hoang gesellt.
„+X“ kommt der Film-Noir-Ästhetik nahe, wie sie Argüelles & Delbecq seit Jahren in Ambitronix und Manasonics auf unvergleichliche Art pflegen.
Aber deren „Stör“-Potenzial, vor allem elektro-akustisch, ist hier deutlich reduziert, auf ein paar rückwärts laufende sounds und wohlvertraute Synthie-Filterungen. Möglicherweise bewusst retro, als Hommage an die große Vergangenheit des Raumes, in dem die drei sich befinden; tontechnisch betreut von Studenten der „Ecole Superieur de l´Image et du Son“, für die gerade dieser track wohl noch mehr eine Reise in die Vergangenheit ist als für die drei Ausübenden im Aufnahmeraum.

erstellt: 20.02.18
©Michael Rüsenberg, 2018. Alle Rechte vorbehalten