NGUYÊN LÊ Streams ******

01. Hippocampus (Nyugen Le), 02. Bamiyan, 03. Swing a Ming, 04. Subtle Body, 05. 6h55 (Jennings), 06. Mazurka (Nyugen Le),  07. Sawira,  08. The single Orange (Amar), 09. Coromandel (Nyugen Le)

Nguyên Lê - g, electronics, Illya Amar - vib, Chris Jennings - b, John Hadfield - dr  

rec. 08./09.2018
ACT 9876-2

Bühne schlägt Studio.
Diese Aussage ist zu einem zentralen Satz der Jazz-Ästhetik geworden.
Weil sie sich häufig bewährt hat.
Aber nicht immer. Wer dieses Quartett jüngst auf Tournee mit dem Programm dieser CD erlebt hat (wie z.B. am 7.3. in der „Harmonie“, Bonn), darf in diesem Falle den Satz für ungültig halten.
Die Unterschiede, zugegeben, sind im Bereich der Nuancen zu vermessen.
Aber irjenswie schienen live die Intros zu plakativ, die Sounds überdreht, die rhythmischen patterns hier & da geglättet.
Nguyên Lê ist fraglos ein Stilist, man kann ihn an seiner Phrasierung erkennen, aber er ist bisweilen auch ein Chamäleon, er kann sich mit Leichtigkeit die Gitarrenstile anderer anverwandeln.
Cover Nguyen Le StreamsIm opener z.B., „Hippocampus“, bedient er sich bei Allan Holdsworth (1946-2017).
Der Eindruck wird verstärkt durch das ungerade ostinato (11/8) in diesem Stück, geführt vom Vibraphon - strukturell ähnlich wie Stücke auf „Gazeuse“ (1976), dem ersten von drei Alben der französischen Band Gong, an denen Holdsworth Ende der 70er als Gast mitwirkt.
Vibraphonist damals war Benoit Moerloen, geb. 1956, Bruder des Schlagzeugers und Bandleaders Pierre Moerlen (1952-2005).
Damit wir uns nicht falsch verstehen: „Streams“ erlaubt allenfalls in „Hippocampus“ Assoziationen an den Jazzrock von Gong (und noch einmal in „Sawira“ leichte Reminszenzen an die legato-Linien von Allan Holdsworth).
Ansonsten ist dieser Jazzrock begrifflich ganz anders zu verstehen, weil er mit einer ganzen Anzahl von welt-musikalischen Aufladungen glänzt.
„Mazurka“ beispielsweise enthält indische und polnische Partikel und basiert im 6/8 Takt auf einem Reggae.
Dass in diesem Stilflirren mancher Rezensent an das Gary Burton Quartet mit Larry Coryell sich erinnert fühlt, muss doch verblüffen.
Nguyên Lê veranstaltet auf dem Griffbrett Dinge, zu denen Coryell (1943-2017) bestenfalls in Träumen fähig war.
Und Gary Burton spielt nun wirklich in einer anderen Liga als Illya Amar, der Stiefsohn von Lê.
Er ist ein netter Kerl, freundlich wie seine Kollegen, die Arbeit macht ihnen offenkundig Spaß, sie lächeln auf der Bühne, alles Sauertöpfische ist ihnen vollkommen fremd.
„Die weitreichenden ethnisch-musikalischen Erfahrungen und Kenntnisse meiner Kollegen sorgen dafür, dass sie meine Musik sofort verstehen“. Die Aussage des Bandleaders erscheint glaubwürdig, wenn man den Kanadier Chris Jennings (der auch mit Joachim Kühn spielt) und den New Yorker John Hadfield auf der Bühne oder im Studio erlebt.
Kompetente Begleiter sind das, die in dieser Rolle aufgehen, aber den Bandleader kaum herausfordern.
Wenn´s brennt, dann mit kaltem Feuer, mit dem die Feuerwehr für den Ernstfall zu proben pflegt.

erstellt: 01.04.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten