ELLIOT GALVIN Live in Paris, at Foundation Louis Vuitton ********

01. As above (Galvin), 02. Time and everything, 03. Coda, 04. For J.S., 05. Broken Windows, 06. So below



Elliot Galvin - p

rec. 09.05.18

Edition Records EDN 1146

Ein Jazzpianist, noch dazu einer aus der nicht-kulinarischen Abteilung, bei Louis Vuitton.
Es wollen sich diese Umständen sogleich zu einem Bild verfestigen, von den Damen, die z.B. Handtaschen der Marke bevorzugen (die echten, nicht die nachgemachten aus Asien).
Wie mögen sie reagieren, wenn sie die ersten Töne dieses Pianisten vernehmen?
Pikiert? Empört? Entsetzt? Werden sie ihr Utensil unter Protest zurückgeben und laut schnaubend verkünden, sie gingen jetzt zu Prada?
Ach, vielleicht hatten sie sich ja um Tickets bemüht, um am 9. Mai 2018 dabei zu sein, in der Foundation Louis Vuitton.
Und vielleicht haben sie den jungen Briten nicht nur billigend in Kauf genommen, im Programm vor dem weitaus bekannteren Kollegen an diesem Abend, Craig Taborn.
Ach, vielleicht artikuliert sich in diesem Bild nur die dürftige Fantasie eines Spießers, der gar nicht weiß, um welchen hotspot des Jazz es sich da handelt in der Avenue du Mathatma Gandhi 8, 75116 Paris.
Also, ein anderer Vorspann muss her.
Elliot Galvin, 29, ist ein Musiker, der in den Berichten deutscher Talentscouts über die neuen Jazz-HeldInnen in London gerne vergessen wird.
Galvin verfügt über ein Handwerk sowie zwei weitere Eigenschaften, die in ihrer Kombination nicht alltäglich sind: er ist verspielt (und widerspricht dieser Zuordnung nicht), und er kennt sich aus in der Musik der Klassischen Moderne.
Über die Art seiner Autorenschaft gibt es widersprüchliche Angaben.
cover galvin vuittonAuf dem Rückcover heisst es: „All tracks written & improvised by Elliot Galvin“.
Im Presstext seines Labels sagt er, „this concert was created completely in the moment, nothing was pre-prepared or pre-planned“.
Die Musik klingt, in aller Vorsicht geäußert, nach letzterem.
Sein Vortrag ist eher rhapsodisch, er verweilt nie lange in einer Position, unterbricht sich quasi mit neuen Ideen, darunter auch abrupte Wechsel.
Obwohl stilistisch weit von ihm entfernt, erinnert das Verfahren doch an den frühen und mittleren Keith Jarrett (bevor er seine Improvisationen zu portionieren begann).
Man meint, dem Künstler beim Suchen & Finden neuer Ideen beiwohnen zu können.
Apropos Referenzen, sie sind nur schwer zu finden. Wie gesagt, Jarrett so gut wie gar nicht, und selbst wenn er´s gospelig angeht (in „Time and Everything“), rückt der Großmeister nicht näher.
Es gibt so gut wie keine Passage, die man als „neo-romantisch“ beschreiben könnte.
Dafür liebt Galvin viel zu sehr den Bereich jenseits der 88 Tasten, das Saiten-Innenleben des - in diesem Falle - Steinway Flügels. Er dämpft sie (gleichfalls „Time and Everything“), er schlägt sie, er schlägt auf den Korpus des Instrumentes (beides in „So below“).
Im ersten Stück berührt er ein paar Töne von „Giant Steps“ in einem von etlichen Zwischenstadien, „For J.S.“ kann man schon deutlicher als Hommage an J.S. Bach erkennen, in „Broken Windows“ rückt er melodisch in die Nähe von Thomas Newman („American Beauty“), das wäre nicht das erste Mal. Er mag den amerikanischen Filmkomponisten.
Und nur wenn man´s weiß, kann man die Vorliebe Galvins für Ligeti im letzten Stück bemerken, es ist sehr pointillistisch, und die späteren Cluster darin würde man also eher bei jenem als bei Cecil Taylor vermuten.
Galvin bevorzugt das staccato, selten begleitet die linke die rechte Spielhand, oft bewegt er sich in polyphonen Linien, nutzt den gesamten Umfang des Instrumentes in perlenden Linien.
Ein spannendes Album.

erstellt: 06.04.20
©Michael Rüsenberg, 2020. Alle Rechte vorbehalten