What you have missed: Christian Sands Trio, King Georg, Köln

Schön, wenn ein Musiker sein Instrument im Griff hat. Und sein Publikum.
Und noch dazu an einem Ort, den viele für das Zentrum der Gattung halten - den Jazzclub.
Ein Raum mit festgefügtem Verhaltensrepertoire, das weltweit identisch ist.
Wo alles so abläuft, wie es schon immer abgelaufen ist.
Oft ist große Kunst dort entstanden. Aber niemals in ostentativer Geste. Alles ist auf den „vibe“ ausgerichtet, auf die gute Stimmung.
Das ewige Regelwerk verlangt, dass die Künstler, meist der Bandleader, wenn sie sich zeigen, zunächst fragen, ob die Stimmung denn auch wirklich gut sei.
(Einen negativen Eindruck wissen sie mit rhetorischen Tricks blitzschnell in das Gegenteil zu verwandeln).
Im King Georg zu Köln erübrigt sich dieses Ritual für Christian Sands. Ungefragt springt ihn Begeisterung an.
Es ist Freitagabend, Beginn des zweiten Set um 21:30 Uhr. Bei Konzerten mit US-Musikern wird der Besuch oft nach amerikanischem Muster geregelt: Eintritt pro Set. Sands kann davon ausgehen, dass in der Pause ein Publikumsaustausch stattgefunden hat, also steigt er mit Regel Nr. 2 ein: Lob des Publikums.
Der Kölner an sich wird hier besonders hellhörig.
Sands ist ein Entertainer. Er habe sich auf das Kölner Publikum vorbereitet: es solle gute Musik, Bier & Schnaps mögen.
Der Spruch ist uralt, keiner glaubt ihn (zumal manche für Alkoholfreies die Maske lüften), aber alle hören ihn gern.
Später legt er noch eins drauf. Die vibes hier erinnerten ihn an das Smalls in New York City. „Wer war schon mal in einem Jazzclub in New York City?“ Etliche Hände gehen hoch. Sie seien jetzt zwei Wochen unterwegs, neulich in St. Etienne habe er die gleiche Frage gestellt, "and you know what?“ - keine einzige Hand in St. Etienne!
(Man wüsst gern, wie Christian Sands bei umgekehrter Reihenfolge den Leuten in St. Etienne empfohlen hätte, von den Kölner zu lernen, ohne sie zu düpieren.)
Auch am Flügel ist Sands ein Entertainer. Die allfällige Ballade verschiebt er weit nach hinten, erst mal donnert er mit Enzyklopädien des modernen, nicht-FreeJazz-Pianos los, ein bisschen Corea, ein bisschen Hancock, viel McCoy Tyer, kein Jarrett; häufiges Ausbrechen aus der Form, spontanes Wiederholen von Phrasen, die gut sitzen.
Dazu gehört das Verzögern von Schlüssen. Sands ist ein Coda-Künstler, er foppt das Publikum, indem er dem Schlußapplaus mit einer neuen Wendung entkommt. So einer bräuchte eigentlich keine Themen, er könnte endlos fortspinnen.
Seine Gestik ist nun wirklich cool: das Bezwingen des Instrumentes bei großer Dynamik in abweisender Haltung; mitunter wendet er den Kopf um 90 Grad nach rechts unten, als befände sich dort, was auch im geöffneten Flügel nicht liegt und was er sowieso nicht braucht: Notenpapier.
Christian Sands foto„Crepuscule with Nellie“, Sands weiß mit Monk was anzufangen, später meint man, in „I got rhythm“ auch Injektionen von „Rhythm-a-ning“ erkannt zu haben.
Die Band folgt gut, mit Yasushi Nakamura spielt er seit fünf Jahren, gerne lässt er dessen Kontrabaß unisono mit der linken Klavierhand laufen. Am Schlagzeug hätte man gern, wie angekündigt, Clarence Penn gesehen. Stattdessen Sands´ jüngerer Bruder Ryan, er macht seine Sache tadellos.
Christian Sands ist 32, sein erstes Album veröffentlicht er mit 12 („Footprints“), seit fast 10 Jahren spielt er in den Bands von und mit Christian McBride. Er ist ein famoser Handwerker, ein guter Entertainer, aber sicher kein Stilist. In der Typologie von Michael Naura läge er „sehr gut im Mittelfeld“, mithin eine Idealbesetzung für den Jazzclub.

Foto: Gerhard Richter
erstellt: 05.02.22
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