What you have missed: Kris Davis "Save your Breath", Stadtgarten, Köln

Was macht eine Pianistin auf einem Festival, auf dem sie von Hause aus, qua ihres Instrumentes, dem Motto Multiphonics nur wenig dienlich sein kann?
Nun, die Pianistin ist Kris Davis. Sie setzt jedem Festival, neulich z.B. in Monheim, ein Glanzlicht.
Und "Multiphonics", eigentlich ein Mehrklang, genauer die Betonung der Obertonreihe eines Instrumentes, hat sich als Festival noch nie auf die legitimierten Klangerzeuger beschränkt; es ist primär ein Klarinettenfestival - und überzeugt darin.
Im Januar 2014 hat Davis ein schönes Vorecho für ihre Multiphonics-Konzerte in Köln, Düsseldorf und Wuppertal ausgelöst, mit einem Album mit gleich vier Klarinettisten (in verschiedenen Lagen) und ihnen per Albumtitel die Ansage gemacht, die Luft anzuhalten („Save your Breath“).
Aus der damaligen Studiobesetzung ist jetzt noch der belgische Klarinettist Joachim Badenhorst mit dabei sowie der Schlagzeuger Jim Black.
Die Baßfunktion versieht ein Amerikaner aus Berlin, Miles Perkin (ein Mitwirkender u.a. von Benoit Delbecq, der 2006 Frau Davis kurzzeitig unterrichtet hat). Zweiter Holzbläser (auch mit der zu dieser Gruppe nicht gehörigen Flöte) ist Frank Gratkowski.
Kris Davis Multiphonics 1Und vermutlich lag es an ihm, sicher aber auch an Jim Black, dass die Abende nicht nur beeindruckten. Sie unterschieden sich deutlich vom Davis Quartett bei der Monheim Triennale 2022 (das mit NachwuchsmusikerInnen besetzt war).
Wie gesagt, sie beeindruckten nicht nur, sie verblüfften obendrein, denn, wie die Jazzpolizei nachträglich per e-mail erfuhr, „we played some of the same music!“
Ähnlicher Inhalt bei sehr unähnlicher Anmutung.
Zwei Gründe sind dafür denkbar: Kompositionen von Kris Davis sind nicht sehr auf Memorabilität angelegt, es fehlt den Themen so gut wie alles, was „für gewöhnlich“ ein Jazz-Thema ausmacht.
Der zweite Grund liegt in der gesteigerten Expressivität der Abende, festzumachen vor allem im Spiel von Jim Black.
Wir begegneten ihm tags drauf per Zufall im Belgischen Viertel in Köln und ließen nun vorsichtig unsere Einschätzung heraus, den Schlagzeuger noch nie so „punkish“ gehört zu haben.
Große Freude, als der drummer diesen Eindruck nicht nur bestätigt, sondern bekräftigt: das sei seine Aufgabe gewesen!
In diesem Moment fällt umso mehr auf, dass in der Kette der en suite gespielten Kompositionen von Kris Davis eine von Ronald Shannon Jackson (1940-2013), nämlich „Alice in the Congo“, völlig unauffällig mitinterpretiert wurde.
Das könnte nun Anlass bieten, gerade in der Hitze der jüngsten afro-amerikanischen Besitzansprüche auf die Jazzhistorie, als besonderer Aufreger debattiert zu werden.
Zumal die Bandleaderin seit dem vergangenen Jahr, berufen von Teri Lynne Carrington, in Boston am „Institute for Jazz and Gender Justice“ unterweist. Wer wäre da nicht versucht, mit sich überschlagender Stimme diese Konstellation aufzuspießen?
Bitte wieder Platz zu nehmen. Wir sprechen über Kris Davis. Und an deren Unaufgeregtheit, im Gespräch und auf der Bühne, perlen alle Arten von Aufgeregtheiten jenseits musikalischer Erwägungen ab; sie ist es, die sparsam mit dem Atem umgeht („save your breath“).
Jim Blick sieht sie in der Nachfolge von Geri Allen (1957-2017). Womit er nicht eine stilistische Verwandtschaft meint, sondern eine Rollenverwandschaft: als Unterrichtende und vor allem als Stil-Ikone.
In frühen Jahren hat sie Hancock und Jarrett eingehend analysiert; von letzterem hört man gar nichts bei ihr, von Herbie viel, viel weniger als sie selbst meint (auf dem kommenden Album „Live at the Village Vanguard“ soll der Einfluss deutlicher sein), dafür spielt zu viel zu polyphon. Man kann sich gut einigen mit ihr auf „Ligeti“.
In Deutschland würde sie ganz sicher in die Volker Kriegel´sche Taxonomie „Einzelanfertigung“ passen. Wenig wäre damit geklärt, die Beschreibungsarbeit finge damit erst an. Und selbst die, die mit ihr im Piano-Duo gespielt haben (wir trafen da jüngst einen exponierten deutschen Kollegen), müssen lange nach Worten suchen.

erstellt: 23.09.22
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