„Round Robin“.
Wer Monheim mit Hilfe der Öffentlichen erreicht (von den Verspätungen schweigen wir heute); wer beispielsweise den Bus SB33 vom Bahnhof Leverkusen-Mitte nimmt, der fühlt sich nach Durchfahren ungezählter roundabouts (wer spricht in unseren Kreisen noch von „Kreisverkehren“?) an Bord der MS RheinFantasie begrifflich sogleich gut empfangen.
Auch auf der Bühne (diesmal wieder in Fließrichtung des Flusses ausgerichtet) geht es nämlich rund, nicht im Sinne der Geometrie, sondern im Sinne „überschaubar“ kurzer Performances.
„Round Robin“.
Die Webseite Leo schlägt zwei Bedeutungen vor. Die erste, „Wettkampf“, ist, gewissermaßen aus improvisations-ideologischen Gründen, verpönt, die zweite, „Ringmodell“, hat nicht nur semantisch den genehmeren Klang, sie illustriert auch besser das Sich Ein- und Ausfädeln der KünstlerInnen in den prozessualen Reigen. Ältere Semester mögen hier auch von „Staffelübergabe“ sprechen.
13 der 16 signiture artists der Triennale II The Prequel nehmen daran teil. Je zweieinhalb Minuten stehen ihnen dafür zur Verfügung, zweieinhalb Minuten netto on stage, um mit je individueller Signatur einen Faden fortzuspinnen, von dem sie nur die voraufgegangenen Teilstücke kennen.
Schlaumeier wie Keith Jarrett nähmen diesen Moment zum Anlass zu behaupten, die Künstler wüssten in diesem Moment auch nicht mehr als die Zuhörer. Schon recht, die Hirne beider Parteien können als „predicting machines“ gar nicht anders, als implizit Vermutungen darüber anzustellen, wie es wohl weitergeht.
Im Gegensatz zum Auditorium freilich haben die Performer künstlerische Intentionen sowie die Mittel, diese auch umzusetzen, indem sie diese den Gegebenheiten anpassen. Zum Beispiel auf der Bühne der MS RheinFantasie.
Ein solcher Rundlauf, in summa nicht viel länger als eine halbe Stunde, erfordert Konzentration & Reduktion. Wer, wie der australische Gitarrist Oren Ambarchi in einem der artists talks gesteht, nicht so schnell auf Betriebstemperatur gelangt, muss unter erhöhtem Druck reagieren.
Er webt andererseits mit an einem Patchwork, das bestens geeignet ist, mit kurzen akustischen Postkarten das Künstlerpanorama eines Festivals zu zeichnen, das wie kein anderes das Hohe Lied der Interaktion singt, des Jeder-kann-mit-Jedem - wenn (m/w/d) nur will.
„Round Robin“ sequenziert die, die an drei Tagen in immer anderen Teilmengen sich äußern sollen.
Der Zuhörer kommt dabei in den Genuss ständig changierender Momente. Die unter dem strikten Primat der Individualität auch bei sehr unterschiedlichen Voraussetzungen zu gleichwertigen Resultaten führen können. Da bringt der Reigen beispielsweise zwei Posaunistinnen zusammen: eine mit einer Professur für dieses Instrument an der Musikhochschule Köln (Shannon Barnett), wohingegen die andere (Selendis Sebastian Alexander Johnson, New York) sich erst seit zwei Jahren damit beschäftigt - gleichwohl mit „Regel-widriger“ Technik den Fantasie-Faden nicht entgleiten lässt.
Improvisation wird unter Praktikern und Multiplikatoren der Szene ganz überwiegend als ein freiheitliches und riskantes Unternehmen verstanden. Viel Aufwand und Ausschmückung kommt dabei dem ersten Attribut zu, während das zweite, das Risiko, selten ausformuliert und fast ausschließlich im Modus des Gelingens gedacht wird.
Dem liegt vor allem ein Erkenntnisproblem zugrunde. Wer an der Blues-Form scheitert oder an der Kette der II-V-I Harmoniefolgen, dem/der lässt sich dies auf den Ton genau nachweisen. Die Improvisierte Musik, vor allem die Frei I.M., kennt keine formalen Verbindlichkeiten. Im Prinzip schafft jede Performance ihre eigene Form. Das Risiko erwächst hier aus dem Verlauf des Austausches unter den Beteiligten, oder allgemeiner gesagt: aus deren Interaktion.
Sie kann, auch bei günstigen Voraussetzungen, scheitern. Und solche lagen am ersten Festivaltag in der Reihe The Duos vor: Heiner Goebbels mag die smallpipe, schließlich hat er ein Stück für den Bretonen Erwan Kerawec komponiert, in Monheim spielt er auf ausdrücklichen Wunsch mit der Schottin Brìghde Chaimbeul.
Allein, der mächtige drone des „Dudelsacks“ sowie die durchdringende Melodik der pipe, gelegentlich mit absaufenden Tönhöhen, sie stehen wie ein wall of sound auf der Bühne. Was immer er am Flügel versucht, strukturell & klanglich findet er keine Lücke, kann nichts Gleichwertiges etablieren.
24 Stunden später a.a.O.: Gobbels erneut im Duo, nun mit dem Elektroniker Muquata´a aus Ramallah. Er setzt die gleichen Techniken ein (präparierte Saiten, kleine Elektromagneten darauf, lange Fäden, die er an ihnen entlangzieht, Pianopatterns in tiefer Lage) - und vernetzt sich bestens. Selbst eine tiefe Sinuswelle, die Muquata´a urplötzlich krachen lässt, wirft die beiden nicht aus der Bahn. Mitunter ist nicht mal klar: was kommt von wem?
Das Sample einer griechischen Stimme, das Goebbels per smartphone in das Brodeln schiebt, hält der Mann aus Ramallah einen Moment lang für einen Beifang aus seinem eigenen Apparat, aus seinem Kurzwellenradio. Die Dramatik einer solchen fluiden Klangskulptur erfordert nicht das Verstehen eines jeden Details.
Das dritte Duo mit Heiner Goebbels, am letzten Festivaltag, war ein Trio. Ohne Kenntnis, aber gewiß nicht ohne Billigung von Triennale-Intendant Reiner Michalke, gesellte sich ein mystery guest dazu, den Kopf versteckt unter einem Riesenhoodie: Shazad Ismaily.
Der New Yorker Multiinstrumentalist wird nicht mehr für eine bestimmte Triennale-Ausgabe selektiert, er geniesst Dauerpräsenz; er hat schon in der ersten in die Rolle als wild card gefunden, 2024 unter dem speziellen Wunsch Michalkes in der Ausprägung einer intervenierenden Variable.
Der kreative Aufruhr, den man sich darunter auch hat vorstellen mögen, hielt sich in Grenzen. Er zeigte sich ökonomisch, subtil, als Einflüstern wie hier für Goebbels und seine Partnerin, die in Indien geborene, in Kalifornien lebende Sängerin Ganavya Doraiswamy. Man mochte es kaum drone nennen, die gerade noch wahrnehmbare keyboard-Grundierung, die er den beiden unterlegte.
Doraiswamy verfügt über ein sehr modulationsfähiges Alt; indisches Timbre und Tongebung, in einer anderen Performance dominant, ließ sie nun wie ein Partikel neben anderen in einer geradezu märchenhaften Narration ein- und wieder fortschweben.
Heiner Goebbels machte wenig anders als tags zuvor mit Muquata´a. Nun aber war, schon mangels Masse, Raum für einen jeden Ton, für jeden einzelnen Klang. Mitunter meinte man, einer große Klangbrücke von Monheim 2024 zu „Frankfurt-Peking“ (1984), dem Album mit Alfred Harth, gewahr zu werden.
Sicher ein der großen Signaturen der Monheim Triennale II - The Prequel.
---ein zweiter Teil folgt hier
erstellt: 07.07.24
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