Jon Hassell, 1937-2021

Dass die Trompete heute manchmal nicht wie eine Trompete klingt, ist ein Echo seines Albums „Vernal Equinox“, 1978.
Was mit heutigem Vokabular als Ethno Jazz durchginge, erklingt dort zum ersten Mal: ein Rhythmusteppich aus brasilianischen, afrikanischen und indischen Mustern (gespielt von Nana Vasconcelos, 1944-2016), aber auch drones.
Die Trompete: mit Restbeständen des Jazz, indischer Tonalität, flirrenden elektro-akustischen Verfremdungen, ein exotisches, schwer beschreibbares Fluidum. 

Wenig später, als er diese Mischung weiter ausformuliert, u.a. mit Brian Eno, nennt er sie Fourth World Music: die Technologie aus der ersten, die meisten musikalischen Elemente aus der Dritten Welt, oder in seinen mitunter poetischen Worten: "ein einheitlicher primitiver/futuristischer Sound, der Merkmale ethnischer Weltstile mit fortgeschrittenen elektronischen Techniken kombiniert“.
Ausweislich seiner Discographie war er damit unter (im weitesten Sinne) Popkünstlern einflussreicher als im Jazz. Wohingegen sein sehr spezifischer Trompetenklang eher in letzterem, etwa bei Arve Henriksen und Nils Petter Molvaer, fortlebt.
Hassell stammt aus Memphis/Tennessee, war aber schon von seiner Ausbildung her ein Kosmopolit, u.a. mit Stationen in Indien und in Köln, bei Karlheinz Stockhausen. Das war Mitte der 60er, in einer Zeit - darauf kann kein Nachruf verzichten - als dort auch Holger Czukay und Irmin Schmidt, später Can, zu dessen Studenten zählten.
Zurück in den USA fand Hassell sich eher im Kreis der Minimalisten wie Terry Riley („In C“) und La Monte Young.
Die Mitwirkung an „My Life in the Bush of Ghosts“ brach er ab, erschien aber gleichwohl kurze Zeit später an der Seite von David Byrne bei den Talking Heads („Remain in Light“, 1980), mehrfach bei Brian Eno („Possible Musics“, 1980, „On Land“, 1982), bei Peter Gabriel, mehrfach bei Ry Cooder und sogar bei Jon Balke („Siwan“, 2009).

Hassell coverAuf seinen eigenen knapp 20 Alben verfeinerte er die Tongebung seiner Trompete, sodass auch bei ihm mitunter das Ausgangssignal in einem komplexen Klang verschwand, auf rhythmischer Ebene kam HipHop hinzu. Mit dessen Sample-Techniken hingegen stand er auf Kriegsfuß: "Jetzt sind wir im digitalen La-la-Land, nehmen eine Millisekunde oder ein paar Millisekunden von etwas, das in der digitalen Domäne ist, und machen daraus etwas anderes... es gibt kein Original mehr."
2020 muss ein hartes Jahr für ihn gewesen sein; im Studio ein Beinbruch und unter Pandemiebedingungen kaum Besuch für ein halbes Jahr. Covid 19-Risikogruppe.
Es war erneut Brian Eno (dem er einen 50-seitigen Brief geschrieben hatte), der nun einen Spendenaufruf für ihn organisierte. Das Geld soll nun u.a. dafür verwendet werden, zahlreiche Studioaufnahmen zu sichten.
Jon Hassell, geboren am 22. März 1937, starb am 26. Juni 2021 in seiner langjährigen Wahlheimat Los Angeles, „eines natürlichen Todes“, wie es aus der Familie heißt.
Er wurde 84 Jahre alt und hinterlässt ein stilistisch höchst eigenständiges Werk.
Keine große Überraschung seine Verehrung für „Bitches Brew“, woraus er freilich ganz eigene Konsequenzen gezogen hat.

erstellt: 27.06.21
©Michael Rüsenberg, 2021. Alle Rechte vorbehalten