ENDRESEN/WALLUMRØD/STEN Merriwinkle ******

1. Bittertiles (Endresen, Wallumrød, Sten), 2. Oldenwold (Endresen, Wallumrød), 3. Heylo, 4. Soleside, 5. Wobber, 6. Bathos, 7. Ectrik (Endresen, Wallumrød, Sten), 8. Merrivein (Endresen, Wallumrød), 9. Flidis, 10. Nickeltoe (Endresen, Wallumrød, Sten), 11. Limpit (Endresen, Wallumrød), 12. Tunk, 13. Mellodome (Endresen, Wallumrød, Sten)

Sidsel Endresen - voc, Christian Wallumrød - keyb, Helge Sten - electronics

rec 01/2002, 01/2003 und 04/2003
Universal/Jazzland 06024 9866036; LC-Nr 00699

Mit Bugge Wesseltoft hat sie den Song gedehnt und gestreckt, aber immer noch in Form gehalten. Mit Christian Wallumrød, ihrem Duo-Partner seit 2 Jahren, hat Sidsel Endresen die Songform nun aufgelöst. Das ist eine bittere Nachricht für diejenigen nur, die zu "Norwegen" gern grenzenlose Elegie und Fjord-Romantik imaginieren. Sie müssen den Norweger-Pullover ausziehen und in wasserdichte Kleidung schlüpfen, vorzugsweise einen Dress, der erlaubt, den Fischlein zu lauschen.

Allen anderen, denen Musik als Musik voll und genug ist, die keine externen Krücken brauchen, um eine musikalische Darbietung zu geniessen, wird leichter fallen, die Wandlung der "norwegischen Jazzsängerin Nr 1“ zu verfolgen. Sie ist radikal. Worte, die uns als solche erscheinen mögen, tauchen kaum noch auf, Endresen vokalisiert. Aber es ist kein Scat (weswegen "norwegische Jazzsängerin Nr 1" auch in Anführung steht), andererseits ist sie nur einmal Rachengold a la Phil Minton nahe. Überwiegend verficht sie einen Stil, als käme sie den Verfremdungspotenzen ihrer beiden Partner zuvor, indem sie Worte zu Silben und Silben in ihre Bestandteile zerteilt, bevor sie zerhäckselt aus dem Sampler kämen.

Das hat man so noch nicht gehört. Das hat sie zu einer Kunstfertigkeit entwickelt. Das muss man auch gesehen haben (z.B. bei der Triennale Köln 2004), um es glauben zu können - das Studio ist ja geduldig.

Wallumrød und Sten (aka Deathprod) sind auf ihre Weise von der Rolle abgerückt, die einst Bugge Wesseltoft hier hatte (jetzt beschränkt sich seine Mitarbeit auf die des Labelchefs.) Es gibt keine Soli, keine Begleitpatterns harmonischer Art, sondern trockene sounds, gesprenkelte Klänge, sounds a la Ambient und nicht selten Klänge, wie ich sie von den Unterwasseraufnahmen vor der norwegischen Küste von Bjarne Kvinnsland kenne. (Das muss aber nicht sein, es kann sich - wie in track 11 - ebensogut um beschleunigte drum-machine-Klänge handeln.)

In jedem Falle sind sie Electronica näher als alles, was Sidsel Endresen zuvor veröffentlicht hat. Beim Konzert in Köln sackten die obertonarmen Peitschenhiebe von Wallumrød & Sten bis auf 30 hz herab - da bekamen auch die Füsse schön was zu hören!

Das ist hier nicht der Fall. Wie überhaupt diese Studioproduktion gegenüber der Live-Performance (z.B. in Köln) abfällt: die Dynamik war grösser, die Spannungsbögen länger gezogen. Vieles von "Merrwinkle" war live besser gelöst. Ein solche Umkehrung des Qualitätsverhältnisses zwischen Studio- und Live-Performence kommt in diesem Genre selten war. Insofern muss man den Musikern gratulieren, dass sie ich auf der Bühne dem Wagnis ausgesetzt haben, diese Musik als das zu interpretieren, was sie dem Kern nach bereits in der Studioversion ist - Improvisierte Elektro-Akustische Musik.
Eine willkommene Alternative zu all den Wesseltofts, Molvaers, Aarsets und und und...die bis ans Ende ihrer Tage weiterwabern - wenn wir ihnen nicht den Stecker ziehen.

©Michael Rüsenberg, 2004, Nachdruck verboten