KÖLNER SAXPHON MAFIA Spaceplayer *********

1. The adventures of Hasso Sigbjörnson (Hanschel), 2. Evas Flug (Ullrich), 3. The unwelcome emotions of replicant Pris, 4. Schweine im Weltall (Schorn), 5. Klingonenträume (Wollie Kaiser), 6. The disappearance of space and time (Hanschel), 7. The loss of the human soul, 8. Pluto´s Secret (Schorn), 9. Alles Roger, Buck? (Hanschel), 10. Last picture of Solaris (Ullrich), 11. Letzten Donnerstag in de Zeitschleife, 12. One short forbidden look into paradise (Schorn)

Roger Hanschel
- saxes, Wollie Kaiser - saxes, bcl; Joachim Ullrich - ts, cl;
Steffen Schorn - saxes, flutes, clarinets
rec. 02/03.2004
Jazzhausmusik JHM 132, LC-Nr 09632
www.jazzhausmusik.de

Welten haben sich geändert seit dem letzten KSM Album "20 Jahre saxuelle Befreiung" (2001).
Das Ensemble ist in seiner bald zwei Dutzend Jahren währenden Geschichte auf seine kleinste Besetzung geschrumpft, der Anteil der
Professores in seinen Reihen hat sich verdoppelt (Ullrich, Schorn), das Namenspostulat, in Köln beheimatet zu sein, wird nur noch durch ein Mitglied eingelöst (wiederum Schorn), und das auch nur teilweise, weil es hauptamtlich einer Professur an der Musikhochschule Nürnberg nachgeht.
Die Kölner Saxophon Mafia, mit anderen Worten, ist dem Prinzip des
ubi bene, ibi Colonia (wo´s gut ist, da ist Köln) sehr nahe gerückt, hat lokale Fesseln abgestreift, ist - mit nochmals anderen Worten - in höhere Sphären entrückt oder- um mit dem Titel dieses Albums zu sprechen - zu einem "Spaceplayer".
Das grösste Hindernis, das sie uns dabei zumutet, ist die missverständliche visuelle Umsetzung dieser Botschaft. Auf dem Cover sind nicht Weltraumkadetten zu sehen, Michael-
Bully-Herbig-Gefährten vielleicht, sondern Kerle mit Gesichtern, eingefroren kurz vor einem Lächeln. Sie mögen selbst nicht glauben, dass sie eine Motorradgang mimen - wo sie vorgeblich doch einen Space-Kontext bebildern sollen.
In der Hauptsache freilich sind solche Irritationen rasch verflogen, im Gegensatz zu früheren Konzeptalben (etwa "Go commercial", 1993 oder "Licence to thrill" 1998) hat sich die Kölner Saxophon Mafia überdies versagt, den thematischen Vorgaben mit Strenge zu folgen. Auch wer
Eva Pflug noch vor Augen hat, neben Dietmar Schönherr, bekommt sie in "Evas Flug" nicht zu Gesicht: die Anspielungen sind subtil versteckt...(vielleicht bin ich mit meiner Science Fiction-Apathie aber auch gänzlich ungeeignet für solche Entdeckungen- Moment, jetzt höre ich doch tatsächlich ein Peter-Thomas-Zitat heraus!).
Oder nehmen wir "Schweine im Weltall"; wer mag in diesem
Neo Cool Jazz noch Miss Piggy erkennen als vielmehr "Lee Konitz und seine Freunde"?
Erneut lässt die KSM Luft entweichen aus dem leichtfertigen Verdikt,
Jazz-Komposition sei kaum mehr als ein Vehikel für Improvisatoren. Das mag für viele gelten. Wer aber den breiten Strom der Ausnahmen hören will, der findet hier die schönsten Gegengifte, Kontrapunkt und versetzte Stimmführung bis zum Abwinken. Der formale Reichtum ist immens, kein Stück verrät seinen Parcours zu Beginn. Improvisation muss sich darin in strengster Disziplin üben, sie darf allenfalls Flächen schattieren, Linien konturieren. Ja, mitunter meint man die KSM näher an einer Hindemith-Klarinetten-Sonate angesiedelt als an ihren eigenen Ursprüngen.
Mehr als je zuvor nämlich kehrt das Ensemble sein zweites Gesicht heraus, als
Holzbläser-Mafia. "Spaceplayer" (noch ein Widerspruch zum Motto) hat nicht den Anflug einer "digitalen", kalten Ästhetik, sondern badet geradezu in zarten, warmen Klangfarben in weiter Staffelung, erst zum Schluss hin werden die Badezusätze schärfer. Die früher oftmals "gehörte" Dissonanz, z.B. das von Insidern so benannte "Quietsche-Entchen" von Roger Hanschel, kommt kaum noch zum Einsatz, z.T. wegen der geringeren Anzahl kollektiver, schneller Riff-Themen, vor allem dank einer ausgeklügelten Klangfarben-Dramaturgie, die der strukturellen in nichts nachsteht, meist sowieso nur ein anderer Begriff für ein und dieselbe Sache ist.
Nicht selten wohl gehört dies zum "Jazz" nur noch, weil es von Jazzmusikern gespielt wird. Jetzt aber erneut das Fass "Aktuelle Musik" aufzumachen, wie es auch im KSM-Umfeld nicht ungern geschieht, wäre völlig verfehlt. Welchen Sinn hat es, Errungenschaften (von mir aus auch: Fortschritte) dem Jazz-Lager begrifflich abzuerkennen, bloss weil sie dem Jazz-Kanon nicht entsprechen?
Freuen wir uns, dass sie
unseren Kanon erweitern, beispielsweise "Spaceplayer".
Das muss man in Deutschland anno 2004 erst mal toppen!

©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten