MIKE HOLOBER Canyon*******

1. Canyon (Holober), 2. Ansel´s Easel, 3. Heart of the Matter, 4. Same time, same place, 5. Spin, 6. Roc and a soft Place, 7. In so many Words, 8. You and the Night and the Music (Schwartz, Dietz), 9. Stardust (Carmichael)

Mike Holober
- p, Tim Ries - ss, ts; Wolfgang Muthspiel - g, Scott Colley - b, Brian Blade - dr

rec 4./5.6.2001

SunnyMoon/Sons Of Sound SSPCD 016; LC-Nr 12436

Mike who? Ja, wir sehen sehr wohl die Fragezeichen in den Augen all derer, die guten Willens sind. Und sich fragen, was denn das für ein Unbekannter sein muss, der gleich mit ******* einsteigt. Wir dürfen ergänzen, dieser nobody wird eskortiert durch die Grussworte zweier Pianisten: von Fred Hersch, der "Canyon" produziert und von Jim McNeely, der die liner notes verfasst hat.
Viel erfährt man darin nicht über den Mann und seine Musik. Dass seine Kompositionen "eine wunderbar lyrische Qualität besitzen", geht jedem Hörer auch auf. "Jede ist eine Kurzgeschichte, mit wechselnden Texturen und Feelings". Yes Sir.
Es gibt kein www.mikeholober.com; selbst wenn man die Webseite seines Labels durchforstet und auch allmusic.com zu Rate ruft...wird man nicht sehr viel schlauer - ausser dass Holober am
City College of New York Assistenzprofessor ist und zum Stab der New York University gehört. Ach ja, die RIAS Big Band hat Stücke von ihm gespielt, und sein nächstes Album "Thought Trains" wird ein Big Band Album sein.

Der Mann hat keine name jobs so weit gehabt, Nick Brignola war der berühmteste. Hier haben wir also den seltenen Fall vor uns, dass ein (fast) unbeschriebenes Blatt sich selbst zum Klingen bringt und uns ins Staunen versetzt. Denn wer ein Ohr hat für
post bop und Modern Mainstream, den wird das Debütalbum von Mike Holober entzücken. Er hat in der Tat ein melodisches Händchen, ein Faible für "erweiterte Formen", wie der Produzent Fred Hersch anmerkt. Mit diesem teilt Holober sicher auch eine Vorliebe für Bill Evans, der 60er-Jahre-Hancock taucht auf, aber Keith Jarrett, wie gelegentlich berichtet wird, als Einfluss nun gar nicht.

Mike Holober nötigt niemanden, die Jazzgeschichte neu zu schreiben, aber er wirkt frisch, weil er mit Kunstgriffen nicht geizt. Das geht schon los mit dem Eröffnungstrack, locker binär gehalten, mehr gefühlter denn gespielter Jazzrock (Brian Blade!), der dann plötzlich in einen walking bass (Scott Colley!) umkippt. Ja, mit dieser Rhythmusgruppe kann man schon einiges anfangen, und Holober, der erfindungsreich Piano spielt, hat einiges mit ihr vor.

Mit track 3, "Heart of the Matter", erklimmt das Album ein Hochplateau, das es nicht mehr verlässt. "Heart of the Matter" startet mit einem 6-Ton-Thema im 4/4-Takt, Tim Ries gibt auf dem Sopran einen Verwandten von Paul McCandless...das kann doch nicht alles gewesen sein? Mitnichten. Mit Muthspiel wird ein zweiter Rhythmus, ein 3/4-Takt, etabliert; er spielt später sein Solo über 3/4, Tim Ries vorher über 4/4, und er zieht weit weg von Oregon.

"Same time, same place" ist ein uptempo swing, den Holober geschickt zweimal auf eine Solo-Kadenz am Piano verengt; hier und wenn er sein Solo über dem wiedereinsetzenden Rhythmus äusserst flüssig fortsetzt, hier erinnert er am ehesten an den frühen Hancock. Mit einem drum-solo gegen riff schmeckt er das Stück ab - kleine Gesten, grosse Wirkung!

Dann folgen Balladen und forcierte Stücke im Wechsel, bis Holober schliesslich den Standard "You and the Night and the Music" mit einem vamp eröffnet und beendet - so hat man das alte Schlachtross noch nicht gehört.

Mit Hoagy Carmichaels "Stardust" als lockerem Bolero wählt er wie ein Nachfahre des legendären Barpianisten Martin Denny, mit einem Augenzwinkern, den Ausgang. Ein eleganter und raffinierter, zuglleich frisch und abgeklärt - ein ungemein unterhaltsamer Auftritt liegt hinter ihm.

©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten