TERJE RYPDAL Vossabrygg ****

1. Ghostdancing (Terje Rypdal), 2. Hidden Chapter (Terje Rypdal, Marius Rypdal), 3. Waltz for Broken Hearts/Makes you wonder (Terje Rypdal), 4. Incognito Traveller (Terje Rypdal, Marius Rypdal), 5. Key Witness (Terje Rypdal), 6. That´s more like it, 7. De Slagferdige, 8. Jungletelegrafen (Terje Rypdal, Marius Rypdal), 9. You´re making it personal (Terje Rypdal), 10. A quiet Word

Terje Rypdal
- g, Palle Mikkelborg - tp, synth; Bugge Wesseltoft - ep, synth; Stale Storløkken - org, ep, synth; Marius Rypdal - electronics, turntables; Bjørn Kjellemyr - b, bg; Jon Christensen - dr, Paolo Vinaccia - dr

rec 12.04.2003

ECM 1984 9875381; LC-Nr 02516

Der Erwartungsdruck an diese Produktion ist enorm.
Terje Rypdal, einer der Gründerväter des jazz made in norway trifft hier auf die nachfolgende Generation, personell und instrumententechnologisch am sinnfälligsten repräsentiert durch seinen Sohn Marius. Rypdal senior tut damit einen Schritt, den der andere Gründervater, Jan Garbarek, schon 1998 vollzogen hat: denn damals wie jetzt ist Bugge Wesseltoft mit von der Partie, die Schlüsselfigur der nachgewachsenen Generation. Stale Storløkken von Supersilent gehört noch zu dieser Fraktion, der Italo-Norweger Paolo Vinaccia auch.
Bjørn Kjellemyr steht irjenswie dazwischen; er taucht schon 1985 in Rypdal´s Powertrio The Chasers auf, 10 Jahre später aber auch auf Wesseltoft´s wegweisendem Album "New Conceptions of Jazz".
Rypdal´s peers sind mit
Palle Mikkelborg (jawohl, ein Däne) und Altmeister Jon Christensen gut vertreten - fehlt nur noch Audun Kleive, der bedeutendste norwegische Schlagzeuger nach Christensen.
Was den Erwartungsdruck, der allein von der Besetzungsliste ausgeht, noch in den Schatten stellt, ist die enorme Bugwelle, "Vossabrygg" sei von
Miles Davis Bitches Brew "inspiriert".
In der Tat, so steht es im booklet und beim Titel geht´s schon los. War "Bitches Brew" das "Hurengebräu", so ist "Vossabrygg", das Gebräu der Stadt Vossa, Ort des gleichnamigen Festivals, wo das Album in Form einer langen Suite vor bald 3 Jahren live mitgeschnitten worden ist.
Es startet in typischer Manier: eine schwellende Orgel a la
Larry Young, e-piano-Tropfen, ein dunkler Bass-Groove im 3/4-Takt, eine snare markiert den Beat in mittleren Tempo, dann - die regenverhangene Trompete, in Dopplung einer langgezogenen Gitarren-Linie, tyisch Rypdal. In der Tat, eine solche Fahne aus Echo & Hall hat Miles Davis nie geschwenkt, das ist norwegische Elegie. Schwer senkt sie sich immer wieder auf den Fluss der Musik, veranlasst die Rhythmusgruppe zu Pausen. Track 2 dann hat mit Miles nichts zu tun. Da lässt eher Karl Jenkins grüssen ("Adiemus"), Chorfetzen, ein tribalisierter Rhythmus, eine Violine, Orchesterfransen (Marius legt auf, aus des Vaters Werken) break beats - 90er Jahre insalada musica. Mikkelborg beginnt track 3 als tief ergebener MD-Kopist, Rypdal hängt in eigenen Klischees, in track 4 weckt Marius mit breakbeats. Erst "That´s more like it", track 6, greift die Musik den MD-Faden wieder auf.
Wer zwischendurch, nur mal so zum Spass (was haben die damals eigentlich gemacht?), noch einmal das Original von 1969 zu Rate zieht - der nimmt die Differenz geradezu schmerzhaft zur Kenntnis: die Tempi waren höher, die Interaktion dichter.
Und vor allem bestätigt sich ein Eindruck, den man schon bei den
Kiff-Rhythmen von Nils Petter Molvaer und Bugge Wesseltoft gewinnen konnte: die Norweger können nicht grooven, jedenfalls nicht in einem afro-amerikanischen Sinne. Es fehlt ein spannungsgeladenes Verhältnis von Ober- und Unterbau, in diesen Tempi schlittern die Solisten einfach so weg. Es gibt hier, für ein Rypdal-Album rar, kein einziges nennenswertes Solo von ihm.
Schliesslich, wer grosse Assoziationen weckt, der muss sie auch bedienen können. Und daran hapert´s hier ohne Ende. Vieles, was sich hier dahinschleppt, hat Rypdal früher besser gelöst, mit den Chasers (und
Audun Kleive fehlt hier!), auch mit Mikkelborg ("Waves", 1977).

erstellt 04.02.06

©Michael Rüsenberg, 2006, Nachdruck verboten