GWILYM SIMCOCK Perception *******

01. A typical Affair (Simcock), 02. Sneaky, 03. And then she was gone, 04. Time and Tide, 05. Almost Moment, 06. Voices, 07. Affinity, 08. Message, 09. The Way you look tonight (Jerome Kern, Fields), 10. My one and only Love (Mellin, Wood)

Gwilym Simcock - p, Phil Donkin - b, Martin France - dr, Stan Sulzman - ss, ts; John Paricelli - g, Ben Bryant - perc

rec 10.,11.,12.06. + 28.06.2007
Rough Trade/Basho Records SRCD 24-2

Großbritannien hat wieder einen Jazz-Superstar, diesmal nicht in der Abteilung hype (Jamie Collum), sondern im seriösen Fach des Jazz-Pianos.
Gwilym Simcock, geboren am 24.02.1981 in Wales, räumt alles ab, was das Vereinigte Königreich an Jazz-Auszeichnen auffährt. Und einer der ersten, der sein Talent entdeckt, war Bill Bruford, der Simcock in seine "Earthworks" holte, dann dessen Bandkollege Tim Garland, der für Simcock ein Konzert geschrieben hat und mit (und einem klassischen Bassisten) das fabelhafte Jazz-Kammertrio Acoustic Triangle unterhält. Nicht zuletzt hat ihn schon zweimal das Klavierfestival Ruhr gebucht (wo zuletzt der Solo-Track 10 aufgenommen wurde).
Kurzum, Gwilym Sicmcock hat einen so kometenhaften Aufstieg genommen, so viele haben seine Gaben genutzt, dass man sich wundert, dass jetzt erst ein Album in seiner eigenen Regie veröffentlicht wird.
Simcock wird in diesem Monat 27;
Chick Corea bescheinigt ihm auf dem Cover von "Perception", er sei "ein Original, ein kreatives Genie".
Das ist nicht ganz frei von Selbstbezug, denn der furiose Auftakt hier, "A typical Affair", eine rhythmisch vieldeutige Latin-Nummer, kommt ohne seinen, Coreas Einfluss nicht aus. Sie könnte nämlich ebenso gut auch "His Spanish Heart" heißen. Das Stück ist mit einem dunklen
ostinato grundiert, darüber ein geradezu "stolzes" Thema, und dann bricht das Kerntrio plus Perkussionist Bryant auf in einen Improvisationsparcours von geradezu altmeisterlicher Güte. Die Rhythmusgruppe ist sowas von tight beisammen und interagiert zugleich so flexibel hinter dem Solisten, dass man es allen Propagandisten des Herrn Esbjörn und seinen Svenssons um die Ohren hauen möchte: ein solches Niveau der Interaktion werde die drei Schweden zu Lebzeiten nicht mehr erreichen. Die große Klasse des Martin France - in späten Jahren erworben - war bekannt, aber die Qualitäten des auf der Bühne unscheinbaren Phil Donkin hat hierzulande als erster Hayden Chisholm erkannt. Und, als wäre es der ständig changierenden patterns noch nicht genug, setzt Simcock die Coda als 5-taktiges riff an; erst im halben Tempo, dann sich beschleunigend, mit absolut hinterfotzigen Verlagerungen der Piano-Einsätze.
Die Zahl "5" ist erneut im zweiten Höhepunkt dieser Produktion enthalten: da eröffnen Baß und Piano mit einem schnittigen Zweitakter (4/4 + 6/4) den
Standard "The Way you look tonight", bevor ds Thema selbst erklingt. Später werden diese beiden Formbestandteile des öfteren gegeneinander gesetzt. Wieder gefällt Phil Donkin durch ein muskulöses Solo a la Dave Holland und Simcock durch ungemein flüssigen, perlenden Vortrag. Es ist ein Rätsel, warum sein Landsmann Stuart Nicholson ein Loblied auf einen fernen Schweden singt und nicht auf diesen, fast seinen Nachbarn.
Die Einspielungen in
Sextett-Stärke (track 2,4,5,7) fallen - das muß man leider anmerken - gegenüber den Trio-Aufnahmen ab.
Einzige Ausnahme: das wiederum furiose "Sneaky", das klingt wie eine unbenannte Hommage an
Chris McGregor und das fast ausgestorbene Kapitel der South African Ex-Patriates im britischen Jazz.
Gwilym Simcock ist fast 27, ein Virtuose, ohne Frage - aber eben doch/noch nicht ein ebenso glänzender Komponist.

Django Bates, der Superstar der vorherigen Generation, war in diesem Alter - nicht am Instrument - aber konzeptionell weiter, d.h. eigensinniger.

erstellt: 09.02.08

©Michael Rüsenberg, 2008, Alle Rechte vorbehalten