TROYKA Troyka *******

01. Tax Return (Montague), 02.Clint, 03.140,04. Golden (Kit Downes), 05.Bear, 06. Cajoch (Montague), 07.Twelve, 08. Born in the 80s, 09. Noonian Song, 10.Call (Kit Downes), 11. Zeitgeist (Montague)

Chris Montague - g, loops; Kit Downes - org, Joshua Blackmore - dr

rec. 15./16.10.2008, 06.04.2009
Edition Records EDN1014

Eine Troika, wir ahnen es, stammt aus dem Russischen, als "eine Bespannungsweise für Fuhrwerke und Schlitten", wie uns Wikipedia verrät, angeblich bekannt geworden durch Ivan Rebroffs "Mit der Troika in die große Stadt".
Den Älteren unter uns ist noch eine ganz andere Troika in Erinnerung, nämlich das Gespann
Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Willy Brandt, das uns eher widerstrebend durch die 70er geführt hat.
Nun denn, drei junge Engländer hielten diesen Hinweis vermutlich für "humor a la Krauts", von dem sie nichts verstehen, sie sind - ausweislich track 8 ihrer Unternehmung "in den 80ern geboren",
Troyka ist für sie nichts weiter als eine - vom Design her leicht sowjetisierte - Metapher für "Trio".
Aber hallo, was für ein Trio!
Der Webseite des Labels kann man entnehmen, sie seien inspiriert von Aphex Twin, Tim Berne, Steely Dan und
Wayne Krantz. Das geht - bis auf Steely Dan - alles in Ordnung zu Beschreibung einer "angular music", wie es im Englischen heißt: kantig, eckig, mit lauter Fallsticken, wie wir ergänzen möchten. Am Rande fällt uns Der Rote Bereich aus Berlin dazu ein, bloß - die drei hier grooven. Sie vertreten keine Ästhetik des "als ob" (die nicht selten Unvermögen kaschiert), die können´s wirklich! Die halten die vertrackten Rhythmen, die Tempowechsel, die Einschübe auch wirklich durch!
Schon der opener "Tax Return" ist dafür eine Offenbarung; selten hat man einen so gedrechselten Rhythmus gehört - der durchgängig aber dem Kommando eines ternären Rhythmus, eines Shuffle, gehorcht.
Chris Montague brilliert hier - wie auch in "Cajoch" - in der Technik eines finger pickin´ Jazz, wie sie von Wayne Krantz entwickelt wurde. Ein kleinteiliges Spiel, das dem Zuhörer kein Ausruhen in langen legati erlaubt, weil es jederzeit ein riff abfeuern kann. Und davon macht Montague reichlich Gebrauch. Aber auch vom Gegenteil, gleichsam wie in slow motion gedehnter Motive, wie in track 2 oder - noch entlegener - in "Noonian Song" ein Transponieren nach unten, auf dass die Gitarre wie eine senegalesische Kora klingt.
Das Frappierendste aber ist, wie Troyka mit einer ur-britischen Tradition kurzschließen. Hat noch jemand
Egg im Ohr? Egg, das Trio von Dave Stewart (mit Clive Brooks und Mont Campbell) aus der Zeit vor Hatfield & The North und National Health. Auf den Alben "Egg" (1970) und "The Civil Surface" (1974) - genau das gleiche Dribbeln auf engstem Raum mit Takt- und Tempowechseln, Kurzphrasen, ostinati, kurzum jenes meisterhafte Sich-selbst-Knüppel-vor-die-Beine-Werfen - und nicht Straucheln!
Kit Downes verwendet einen sehr ähnlichen Orgel-Sound, maximal entfernt von der Hammond-B3-Jazz-Sound des Jazz; wie weiland Dave Stewart arbeitet er sparsam mit Tongeneratoren und Ringmodulator - aber natürlich nach der Erfahrung der Ambient Music. Troyka produzieren keine Egg-Kopie, dafür klingt bei ihnen viel zu viel Gegenwart mit, im Zweifel sind die drei aus London (Downes hat die Jazzklasse der Royal Academy absolviert) auch handwerklich versierter. Und wenn man nun hört, dass er außerdem ein Trio mit James Maddren (dr) betreibt - möchte man sich aus dieser kräftigen Brise aus dem Westen gar nicht abwenden.

erstellt: 16.07.09

Nachtrag: 18.03.11
Laut Kit Downes kennt keiner in der Band die erwähnten Dave Stewart & Co. Man habe von ihnen erst erfahren durch Hinweise von Hörern.
Ein Fall für die Musik-Soziologie: ein klassisches Beispiel für "kohorten-spezifisches Hören". Auf gut Deutsch, wer mehr gehört hat, vulgo: älter ist, kann mehr hinein-hören.

©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten