JOACHIM KÜHN & MICHAEL WOLLNY Live at Schloss Elmau *******

01. The Colours of the Wind (Joachim Kühn), 02. Hexentanz (Wollny), 03. Elmau, 04. Chaconne (Bach), 05. Seawalk (Kühn), 06. Encore (Kühn, Wollny)

Joachim Kühn
- p., Michael Wollny - p

rec 10..09.2008

ACT 9758-2; LC-Nr 07644

Der viel beschriebene Generationenaspekt der Begegnungen von
Michael Wollny, 30, hier mit Joachim Kühn, 64, er wird zusätzlich um die Pointe angereichert, dass sich der jüngere während seines Studiums an der Musikhochschule Würzburg laut eigener Auskunft "drei Jahre lang (...) ausschließlich mit Joachim Kühn" beschäftigt, "seine Stücke transkribiert, ihn tage- und nächtelang gehört und analysiert" habe.
In Kenntnis dieser Voraussetzung mag man dem
Foto der beiden auf dem Cover diesen Umstand sogar auch ansehen, nach dem Motto "Der weiß mehr über mich als ich selbst". Und dies umso mehr, als die Eloquenz des Joachim Kühn ja buchstäblich mehr Hand- als Mundwerk ist.
Zu erwarten war also, dass Wollny nicht nur mit dem Respekt des jüngeren, sondern vor allem dank seiner analytischen Erfahrung bestens auf sein Gegenüber vorbereitet sein würde. Zumal dieser ("Ich spiele doch schon für zwei!") seit
Marcial Solal im Jahre 1975 keinen Artgenossen an seiner Seite dulden mochte.
Sein Widerstand gegen die Produzenten-Idee begann erst zu bröckeln, "als ich die zweite und dritte Trio-Platte von Michael in die Hände bekam. Und dann vor allem sein Solo-Ding, den ´Hexentanz´".
Damit benennt Kühn zugleich den Ausschnitt, der sich auch aus kritischer Perspektive als Höhepunkt dieser Unternehmung darstellen mag: die gut 14 Minuten von "Hexentanz". Im Eröffnungstück belaueren sich die beiden noch im
rubato, ohne Beat, ohne Groove, mit chromatisch verschränkten Einwürfen, die ihre Urheber doch sehr kaschieren. Kein "Tonwirbe" nirgends, der Joachim Kühn verriete.
"Hexentanz",als track 2, schließt sich nahtlos an - und nach 50 Sekunden, als im tiefen Register links ein ostinato einsetzt und rechts eng gespielte Cluster darüber flirren, weiß man: das ist Joachim Kühn. Und er sitzt rechts. Die Passage verdichtet sich auf beiden Seiten zu mächtigen
Cluster-Flächen. Stop. Ende eines Satzes.
Netze aus Trillern skizzieren grob einen melodischen Verlauf, das Stück durchläuft einen sehr durchdachten Parcours dynamischer Schattierungen, Griffe in die Saiten gehören, wunderbar unterbrochen von Kühn´schen staccati, bis das Stück zu einem finalen crescendo ausholt.
Es ist und bleibt der Gipfel dieser Begegnung. Danach tastet sich Wollny inseinem Solostück "Elma" vorsichtig auf das stilistische Terrain des Partners, spielt perlend wie Kühn. Der dann seinerseits
solo in "Chaconne" einen Leipziger Vorläufer verarbeitet.
Für "Seawalk" kommen sie wieder zusammen, das kammermusikalisch an den Anfang des Ganzen zurückführt - diesmal freilich mit häufigerem Einsatz von Pausen. Diese durchaus spannende Zurückhaltung hält sich gute 6 Minuten, bis ein beidseitiges Flirren zu einem 2-taktigen Groove von Wollny überspringt.
In der Tat, "zuviel Klavier", wie es Kühn vor einer solchen Begegnung befrüchtete, bleibt aus, ein Segen auch für den Zuhörer. Und selbst die Zugabe (die - wie man liest - einzige "freie Improvisation") wiederholt zwar einige patterns, die man vorher schon gehört hat, darunter natürlich Kühn´sche Cluster, aber sie zügelt ihren Ehrgeiz doch durch eine gewisse Ökonomie. Nach 4:51 ist Schluß. Das mag dem Charakter eines Schlosses geschuldet, pardon
gedankt sein - in einem Club hätten die beiden sich wohl eher verausgabt.
Aber hier: kein Tastenlöwe nirgends!

erstellt: 09.03.09

©Michael Rüsenberg, 2009, Alle Rechte vorbehalten