NIK BÄRTSCH´S RONIN Live *******

CD 1
01. Modul 41_17 (Bärtsch), 02. Modul 35, 03. Modul 42, 04. Modul 17, 05. Modul 22
CD 2
01. Modul 45,02. Modul 48, 03. Modul 47,  04. Modul 55


Nik Bärtsch - p, ep, Sha - as, bcl; Björn Meyer - bg, Thomy Jordi - bg (CD2, track 4)) Kaspar Rast - dr, Andi Pupato - perc

rec. 2009-2011
ECM 2302/03 3714093; LC-Nr 02516

Wenn wir davon ausgehen, dass dort live drin ist, wo live draufsteht (woran, spätestens seit Frank Zappa Zweifel angebracht sind, weil der Konzertaufnahmen en detail und nach Belieben verändert hat), so haben die Besucher der Ronin-Konzerte in Lörrach, Leipzig, Wien usw. im Prinzip zwar einen jeden Ton gehört, wie er hier auf zwei CDs wiedergegeben wird.
Aber ob sie ihn auch wirklich wahrgenommen haben, darf in Frage gestellt werden. Zuhörer in Konzertsälen kriegen Raumklang mit, der mehr Dynamik haben kann, der möglicherweise auch mit dem Knochengerüst des/der eigenen Körper empfangen wird (vulgo: mehr Druck macht), aber niemals über die Transparenz verfügt wie die späteren Tonträger.
Diese sind das Produkt des Mischens, einer Balance eines jeden Instrumentes mit dem großen Rest des Klangbildes, hier können klanglich noch einmal Räume geschaffen werden, die im „Original“ gar nicht vorhanden waren.
Die Ronin-Konzertbesucher in Lörrach, Leipzig, Wien hören das, woran sie sich vielleicht erinnern, noch einmal neu; sie sind - nun mit dem großen Rest der Käufer - in der Lage, die komplexe Architektur dieser Musik viel besser nachzeichnen zu können.
Obgleich mehrere Stücke schon aus drei Studioalben bekannt sind, obgleich ihr hoher Anteil an Konstruktion, Planung und Komposition der Improvisation wenig Raum gewährt (schon gar nicht im Sinne eines spontanen Richtungswechsels), haben sie im Parameter „Expression“ klar gewonnen.
Der Grund dafür ist ein uralter: Publikum spornt an, ermuntert zu einem klareren Ausdruck.
Bandleader Bärtsch reichen einfache Worte für diesen noch lange nicht erforschten Sachverhalt nicht, er holt zu einer Erklärung aus, die unter Biologen Heiterkeit hervorrufen dürfte:
„Musikalische Empathie ist eine Qualität, die aus der Evolution hervorgegangen ist. Sie reicht weit in die Zeit vor unserer Menschwerdung zurück und gerade darum ist Musik als gemeinsame Praxis nicht Luxus sondern existentielles Bedürfnis.“ (Bärtsch)
Hat der Mann aus Zürich die Frage gelöst, an der Steven Pinker, Tecumseh Fitch, Erich Jarvis and the likes bislang gescheitert sind?
Pianist, bleib´ an deinen Tasten, da hast du mehr zu sagen. Da lieferst du, jetzt mit Rückenwind aus den Auditorien, eine erstaunliche Architektur des Rhythmischen.
cover-ronin-liveSie baut sich in CD 1 wunderbar auf und kulminiert mit ihren besten Eigenschaften in „Modul 22“, aufgenommen in Amsterdam. Das Stück beginnt geradezu „unschuldig“ in einer Art Marsch-Funk mit einer solistischen Baßgitarre, die in bester Marcus-Miller-Manier läuft und slapt, begleitet von leichter Percussion und dem Piano in tiefem Register, in geradezu banalen 4/4.
Bei 2:05 erfolgt der erste break, ab dem nichts mehr einfach ist: Bärtsch setzt Piano und E-Piano im offbeat gegeneinander, die erste poly-metrische Ebene ist erreicht, bei 4:05 schwingt alles in majestätische 12/4, aber nur kurz, jetzt folgt die poly-metrische Verteilung der Motive mit allerhand stop times und dazu einem jener minimal-Muster, die so prägend sind für diese Band.
Kein Zweifel, das ist ganz großes Rhythmus-Kino, für welches einem so schnell keine Parallele einfällt. Die Band kommt bestens zurecht mit der Textur dieser Komposition, die die Verknüpfung von allerlei Klein-patterns vorsieht und keinen ausgesprochenen Solisten benötigt. Es groovt unerhört, wenn Bärtsch das Stück mit Hancock-ismen über den nunmehr leicht afrikanisierten Rhythmusteppich zum langsamen Ausschwingen bringt.
Dichter, opulenter und zugleich sparsamer tritt Ronin nicht mehr auf. Hätte man´s hiermit bewenden lassen, wir hätten uns mit ********* oder gar ********** verneigt.
Denn mit CD 2 verliert das Unternehmen an Komplexität, es werden jene Mängel deutlich, die auch früher schon die andere Seite der Ronin-Medaille waren. Die Groß-Strukturen treten deutlicher hervor, 5/4 als Basis in „Modul 45“, 9/4 in „Modul 48“; damit wir uns nicht missverstehen: immer noch durchsetzt von rhythmischen Finessen und in nach wie vor betörender Aufnahmequalität.
Aber, die Motive, insbesondere die ostinati, werden banaler, es fehlt ein herausragender Solist, der hier und da aus der pattern-Seligkeit herausführt. In „Modul 47“ grenzt´s schon fast an die einfallsarmen Ketten-patterns des amerikanischen Minimalisten Jon Gibson.
Dabei macht Bärtsch selbst gelegentlich gewisse Genre-Vorgaben, tendenziell „Gospel“ in „Modul 45“ oder die „Jailhouse Rock“-Reminiszenz im abschließenden „Modul 55“. Wie man in einem so angeshuffelten Kontext die Baßklarimette dunkel leuchten lässt, lässt sich u.a. bei Brian Blades Fellowship studieren.
„Modul 55“ ist zugleich der Einstieg für Thomas „Thomy“ Jordi, ein Veteran Schweizer Groove-Fraktionen aus den 80er Jahren, Donkey Kong´s Multi Scream und Intergalactic Maiden Ballet - nicht in puncto Komplexität, aber in Sachen Groove Vorläufer von Ronin.

erstellt: 21.11.12
©Michael Rüsenberg, 2012. Alle Rechte vorbehalten