SOFT MACHINE LEGACY Live Adventures ***

01. Has Riff II (Ratledge, Etheridge, Travis, Babbington, Marshall), 02. Grapehound (Etheridge), 03. The Nodder (Jenkins), 04. In the Back Room (Etheridge), 05. Song of Aeolus (Jenkins), 06. The Relegation of Pluto/Transit (Travis, Marshall), 07. Gesolreut (Ratledge), 08. Facelift (Hugh Hoper), 09. The last Day (Theo Travis)


John Etheridge - g, Theo Travis - ts, fl; Roy Babbington - bg, John Marshall - dr

rec.22./23.10.2009
Moonjune Records MJR036

Die Erwartungen an diese Produktion wiegen schwer. Versprochen sind „Live Adventures“, mithin Konzert-“Abenteuer“, von einem Ensemble, das die „Legacy“, das Vermächtnis, der legendärsten Formation des britischen Jazzrock für sich reklamiert: Soft Machine.
Die Voraussetzungen dafür, jedenfalls personell, klingen nicht schlecht: immerhin drei von vier Musikern haben dem Bezugs-Ensemble angehört.
Kinder, wie die Zeit vergeht: Roy Babbington war ab 1970 dabei, John Marshall ab 1971, z.B. auch bei der Produktion des Soft Machine-Albums „Six“, von dem track 7 „Gesolreut“ entnommen ist.
Drei-Viertel dieser Produktion (Babbington, Marshall und Etheridge) trafen erstmals bei „Softs“ (1976) aufeinander, wovon hier „Song of Aeolus“ entlehnt ist.
Wer freilich herausfinden will, was Soft Machine eigentlich zu Soft Machine gemacht hat, wer die stilistisch relevanten Parameter herausfiltern möchte - der kann Babbinton, Marshall & Etheridge überhören: sie waren Kellner, keine Köche. Keine einzige Komposition von ihnen ist in den Kanon eingegangen, den zu gestalten Robert Wyatt gelang (bis 1971), Hugh Hopper (bis 1972), vor allem Mike Ratledge (bis 1976) und danach Karl Jenkins.
Nicht zu vergessen Elton Dean (1945-2006), dessen Platz nun von Theo Travis eingenommen wird. Travis, Jahrgang 1964, ist mit Abstand der jüngste in dieser Veteranen-Band (Etheridge ist 62, John Marshall 69 und Roy Babbington 70), er spielt nicht das für Dean typische Alt-, sondern Tenorsaxophon - kämpft aber offenkundig auch mit dessen akustischen Problemen, sich gegen die laute Umgebung in Phrasierung und Intonation sicher zu behaupten.
soft machine legacy - cover„Live Adventures“ wäre das ideale Objekt für einen „blind fold test“: wer erkennt, gewissermaßen mit verbundenen Augen, die Vorlagen? Gemessen an der Vorgänger-Produktion („Live at New Morning“, 2005, an der neben Elton Dean auch noch Hugh Hopper, 1945-2009, teilnahm) sind die Chancen noch erhöht, stammt doch die Hälfte der Kompositionen aus der großen Zeit von Soft Machine.
Und „Has Riff II“, 2005 erstmals eingeführt, geht unschwer auf Mike Ratledges „As if“ von 1971 zurück. Das freilich läßt sich mehr semantisch aus dem Titel schließen als aus der Baß-Figur, die denn nach langem, langem Intro endlich einsetzt.
Schon hier liegen die Probleme des Quartetts offen zu Tage: rubato und frei-metrische Passagen liegen ihm überhaupt nicht (track 6 führt dies geradezu schmerzhaft vor Ohren), es ist niemand da, der wenigstens klangflächig grundieren könnte, der Gitarrist entzieht sich fast immer dieser - am ehesten ihm zufallenden - Aufgabe.
Keine Überraschung, dass auch Balladen nicht zu den Stärken der Band gehören, Karl Jenkins´ „Song of Aeolus“ von 1976 kostet unendlich viel Zeit, ohne jede Spannung.
Die Gruppe kann hingegen sehr wohl plakative Riffs spielen, z.B. das abgedrehte „Grapehound“ von John Etheridge, ja selbst „Gesolreut“ in 6/4, einer der schwerfälligsten ostinato-Figuren aus der Feder von Mike Ratledge, vermag sie mehr Temperament abzugewinnen als seinerzeit das Original (aus dem Album „Six“ von 1972).
Aber ist das alles Soft Machine? Ist das das „Vermächtnis“ eines Ensembles, dessen Klangwelt zahlreiche Hörer für ein Leben lang geprägt hat?
Der Elchtest kommt mit track 8, „Facelift“ von Hugh Hopper, aus dem legendärsten aller legendären Alben, „Third“ von 1970. Das Quartett beschränkt sich auf das hymnische Riff-Thema, es ist klar erkennbar, weil im Grunde unzerstörbar. Nur muten sich die vier zu, es dann in rubato-Manier zu entfalten. Das kann nicht gutgehen, nicht nur weil dieser Interpretation nicht mal mehr ein Hauch jenes dunklen Aromas bleibt, sondern weil ihm jegliche Emphase, jegliche Anteilnahme fehlt.
Ein Album, das Hugh Hopper und Elton Dean gewidmet ist, müßte hier einen Gipfel finden, es müßte diesen Moment wie ein Requiem herausschreien - und nicht einfach nur eine bedeutende Melodie zitieren. Ein solches Album müsste seinem Anspruch gerecht werden - und ein "Live-Abenteuer" sein.

erstellt: 16.11.10
©Michael Rüsenberg, 2010. Alle Rechte vorbehalten