JENS THOMAS Speed of Grace ****
01. Highway to Hell (Scott, Angus, Young) 02. Live Wire , 03. T.N.T., 04.It´s a long Way to the Top, 05.The Jack, 06. Night Prowler, 07. Hells Bells (Johnson, Young), 08. Connected (Thomas), 09. If you want Blood (Scott, Angus, Young), 10. Rock´n´Roll Singer, 11. Keep it down Boy (Thomas) 12. Touch too much (Scott, Angus, Young), 13. You shook me all Night long (Johnsong, Young)
Jens Thomas - voc, p, ep, harmonium, shaman dr, Verneri Pohjola - tp
rec. 28.02. + 01.03.2011
ACT 9509-2; LC-Nr 07644
Wer wollte, konnte diese Produktion schon Wochen, bevor sie den Handel erreicht, als ein Werk der Ruchlosikgeit wahrnehmen und seinen Kaufimpuls entsprechend zügeln. Vorgeblich handele es sich hier „wohl (um den) Versuch, sich etwas vom riesigen Kuchen der mehr als 200 Millionen verkauften Alben abzuschneiden“, wie das Fachblatt für Fehleinschätzungen im Jazz, die Süddeutsche Zeitung, sich ereiferte.
Der, der den Versuch unternimmt, ist Jens Thomas, geb. 1970, Träger des SWR Jazzpreises 2000 und mal durch Sting-Adaptionen hervorgetreten, in den letzten Jahre aber mehr im Theaterbereich zu Hause. Thomas interpretiert auf „Speed of Grace“ Songs der australischen Stadionrocker AC/DC.
Das Messer, das er an deren „riesigen Kuchen“ anzusetzen gedenkt, ist klein - so klein, dass es im Verhältnis eher ins Besteck einer Puppenstube passte. Denn die Komponisten-Tantiemen für „Speed of Grace“ gehen, mit Ausnahme derer für die tracks 8 und 11 - nach down under. Und läuft ein Stück im Radio, weil man die Ruchlosigkeit des Ansinnens oder die Ausgefallenheit der Interpretationen illustrieren will - rollt der Rubel auch wieder nach Australien.
Wenn Jens Thomas irrsinnig erfolgreich werden sollte mit „Speed of Grace“ und 10.000 Stück davon verkauft oder downloaden lässt (ein Drittel davon wäre bereits ein Achtungserfolg), wird etwa der gleiche Betrag in Euro (oder etwas mehr) seinem Konto gutgeschrieben. Und wenn man ihn live hören will mit diesem Programm, dann bleibt ihm die Abendgage, die Komponisten-Tantiemen wandern wieder an die Herren Scott, Young & Young.
Und Thomas selbst tut ein übriges, um die Nachfrage zu drosseln: kaum ein AC/DC-Fan wird auf „Speed of Grace“ erkennen, was er liebt, denn er „vermurkst das australische Schwermetall zur Unkenntlichkeit“, wie sich die SZ vollkommen korrekt empört.
Waitaminute, „vermurkst das australische Schwermetall zur Unkenntlichkeit“ - hat Jens Thomas damit nicht einem Imperativ der Jazz-Ästhetik genügt? Der lautet: „Standards gegen den Strich bürsten“ oder in der Diktion von Django Bates „arranging the hell out of something“. Hat irgend jemand das Radio String Quartet gerügt, weil es das Mahavishnu Orchestra „vermurkst“, vulgo: ihm den Stecker herausgezogen hat?
Waren wir nicht stolz auf den Jazz als zentrale Bühne für alternative Lesarten; z.B. für all die fabelhaften Beatles- und Michael-Jackson-Adaptionen, von Tin Pan Alley ganz zu schweigen?
Jens Thomas macht nix anderes: er stellt eine vertraute Welt auf den Kopf, er schickt Stadionrock durch ein Nadelöhr, sodass er vollkommen entschlackt in eine kleine Kammer passt, von mir aus auch zum Zwecke von „Dachkammerjazz“.
Das ist konzeptionell erst mal gar nicht schlecht. Was aber die Ausarbeitung angeht, die Interpretation, so fällt es manchem offenbar schwer, bei einem Jens Thomas zu akzeptieren, was einem Mose Allison, vor allem einem Robert Wyatt bis zur Verklärung hoch angerechnet wird - eine gewisse Kunstlosigkeit des Vortrages.
Nichts anderes macht Jens Thomas, er kehrt das extrem Öffentliche ins Private, das Vulgäre ins Scheue, er verkürzt extrem die Dimensionen. Verneri Pohjola hilft ihm dabei, trompeten-technisch unter seinen Möglichkeiten, aber immer noch besser als Robert Wyatt.
Bloß, der hat über Jahre eindeutig die besseren Vorlagen gewählt. AC/DC sind nicht Sting oder Radiohead, von Lennon/McCartney ganz zu schweigen. Wer der australischen Lärmkapelle den Stecker herauszieht, hat nur noch ganz wenig in der Hand.
erstellt: 02.02.12
©Michael Rüsenberg, 2012. Alle Rechte vorbehalten