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Jack DeJohnette, 1942-2025

„DeJohnette hat als einer der bedeutendsten Jazz-Schlagzeuger seiner Generation Musikgeschichte geschrieben.“
Diesen Satz von dpa beten viele nach.
Eingeräumt, als erste Reaktion, als erste Einordnung von Medien, denen „Jazz“ nicht auf die Stirn geschrieben steht, ist das akzeptabel.
(fasten seatbelts: selbst Gala ist präziser: „Er gehörte zu den wohl bedeutendsten Jazz-Drummern der letzten Jahrzehnte.“)
Der Satz ist nicht ganz falsch. Aber sicher auch nicht ganz richtig.
„Seine“ Generation, oder sagen wir lieber „seine Kohorte“ hat Billy Hart (er wird demnächst 85) in seiner Autobiografie „Oceans of Time“ als „Klasse“ (Achtung! nicht mit Klassismus velwechsern!) so personifiziert:
…in the class alongside people like Tootie Heath (1935), Billy Higgins (1936), Louis Hayes (1937), Jack DeJohnette (1942), Joe Chambers (1942), Al Foster (1943), Billy Cobham (1944) and Tony Williams (1945). That’s one decade, 1935–1945, and one hell of a lot of great drumming.“
Dem letzten Satz können wir mit großem Kopfnicken zustimmen. Aber aus dieser Klasse oder Generation ragen doch mindestens zwei heraus, die den Anspruch erheben dürften, unter den bedeutendsten Schlagzeugern der gesamten Jazzhistorie anerkannt zu werden: Tony Williams (1945-1997, er würde demnächst 80) und DeJohnette.

1080px Deutsches Jazzfestival 2015 DeJonette Mitchell Garrison Jack DeJohnette 03

Aufgewachsen ist er an der berüchtigten South Side of Chicago, erzogen von seiner Mutter und adoptiert von seiner Großmutter. Mit vier beginnt er mit dem Klavierspiel (auf einem Spinett, das die Großmutter gekauft hat), unterrichtet von der Leiterin eines Frauen-Sinfonieorchesters. Mit vierzehn hat er einen ersten professionellen Auftritt.
Den Odem des Jazz haucht ihm ein Onkel ein, Roy Wood Sr., ein Jazz-DJ. Er nimmt ihn mit in die Clubs der Stadt, nach eigenem Bekunden ist er dort mit der Kazoo bei T-Bone Walker eingestiegen.
Der Onkel dürfte es auch gewesen sein, der ihn, als er dreizehn war, mit „Live at the Pershing“ von Ahmad Jamal (1958) bekannt machte; an einem drum-set, den ein Freund des Hauses im Keller geparkt hatte, begann der junge Jack zu Platten von Art Blakey und Max Roach zu trommeln. Nicht gänzlich als Autodidakt, sondern unter Anleitung eines Drummers aus der Nachbarschaft.
Die entscheidende Weichenstellung, das neue Zweit- zum Erstinstrument zu machen, dürfte Anfang der 60er nach einem Wochenengagement in Philadelphia gefallen sein. DeJohnette war dort in seiner neuen Rolle in der Band des Saxophonisten Eddie Harris (1934-1996) gebucht. Offenkundig hatte er ein gutes Gehör:
„Du spielst ganz nett Piano, Mann. Aber dein Schlagzeugspiel hat was - du bist ein Naturtalent am Schlagzeug. Und du musst dich entscheiden, welches dein Hauptinstrument sein soll.“
Die Entscheidung fiel (andernfalls beklagten wir sonst nicht den Tod eines der einflussreichsten Schlagzeuger der Jazzgeschichte), aber sie fiel nicht in binärer Ordnung, im Sinne eines entweder/oder, sondern im Sinne eines sowohl/als auch.
Lange vor „The Jack DeJohnette Piano Album“, 1985, schon auf seinen ersten eigenen Alben bediente er keyboard instruments: die Melodica (auf „The Jack DeJohnette Complex“, 1968) bzw. e-piano (auf „Have you heard?, 1970“).
Da war er längst schon in New York angekommen, nach kurzen Engagements in Chicago und ebensolchen in New York City (u.a. John Coltrane, sehr kurz, Sun Ra, hier wie dort).
Bei Charles Lloyd (1966-68) lernt er den Pianisten kennen, nämlich Keith Jarrett, mit dem er wenig später bei Miles Davis ein sehr aufregendes (Stichworte „Bitches Brew“ sowie die „Live at Fillmore“-Alben) und in dessen Trio er ab 1983 fast 30 Jahre lang ein wiederum anderes Kapitel Jazzgeschichte schreiben wird.
Kleiner Seitenblick: bei Miles wird er Nachfolger eines jazz-historischen Drummers, dessen Jazzrock-Hammer von 1969 („Emergency“) er 2004 im Verein mit John Scofield & Larry Goldings reinszenieren wird - ohne handwerklich & ästhetisch mit ihm verwandt zu sein: Tony Williams.
Seine eigene, enorm folgenreiche Handschrift des broken swing hat er aus einer anderen Traditionslinie destilliert. Sie geht zurück auf Elvin Jones, aber die entscheidende Relaisstation ist die nächste in dieser Linie. Billy Hart benennt sie in seiner Autobiographie (demnächst in diesem Theater) im Drummers-slang:

„Er (Jack DeJohnette) spielt wie Roy Haynes, aber er klingt wie er selbst. Wenn man jemanden nachahmt, den man liebt, verwandelt der eigene Körper es in etwas Eigenes.“
Und noch ein kleiner Balkon: es ist Roy Haynes, der 1968 auf dem Debut von Jack DeJohnette gastiert.
Sowie ein größerer: prominent unter den JDJ-Beeinflussten dürften Wolfgang Reisinger (1955-2022), Bill Stewart & Keith Carlock sein.*
Das völlig unstrittige Vorhandensein eines beeindruckenden Personalstiles (der sich zudem durch einen hohen Grad an Interaktion auszeichnet) animiert gar manchen Nachrufer zur Unterstellung einer Art Omnipotenz. Dass JDJ fiercely funky, extrem funky, spiele, wie Hank Shteamer in der New York Times meint, wäre wirklich nur unter der Aufgabe der Semantik des Begriffes gültig. Mit vergleichenden Worten: der funk eines Steve Jordan war seine Sache nicht.
Angesichts eines gewaltigen Euvres dürfte das nicht mal eine Petitesse sein…
Jack Archive 3

Jack DeJohnette, die Discographie.
Wo anfangen? Was nicht vergessen?
(Der Gitarrist/Blogger Jerry Harrison gibt seinen output mit "mindestens 1.150 Alben" an. 20 pro Jahr.)
Selbige New York Times hat eine kleine Handreichung mit 7 Essential Recordings veröffentlicht. Sieben aus einer zunächst unüberschaubaren Zahl an studio dates, darunter allein historische  in einer Vielzahl wie vermutlich nur von ganz wenigen Repräsentanten der Jazzgeschichte, jedenfalls der modernen Jazzgeschichte.
Das unmaßgebliche JC-Archiv kommt auf 82 Einträge, darunter - wir müssen´s einfach obenauf legen, die NYT tut´s auch - „Timeless“ von 1974 mit John Abercrombie, g, Jan Hammer, org, p, synth… und ihm.
Jack DeJohnette, geboren am 9. August 1942 in Chicago, verstarb an Herzinsuffizienz am 26. Oktober 2025 im HealthAlliance Hospital Kingston/NY. Er wurde 83 Jahre alt.

 * with a little help from beat scientist (bewahre, nicht Makaya McCraven), Frank Samba aus der destination D´dorf.
Foto: Oliver Abels, 2015 (CC BY-SA 4.0)
erstellt: 27.10.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
 

Ethan Iversion: For many, Elvin-Tony-Jack was and is the holy trinity.
Jerry Harrison: A quick Dispatch on Drummer Jack DeJohnette
Vinnie Sperrazza: Museum of Time

Anthony Jackson, 1952-2025

Anthony JacksonWas haben wir, als die Todesnachricht eintraf, als erstes gehört?
Nicht Patti Austin, Paul Simon, Quincy Jones oder Diana Ross. Weder Madonna, Simon & Garfunkel, Roberta Flack noch Chaka Khan.
Obwohl sie alle hörenswert gewesen wären, keine Frage.
Aber in diesem Augenblick konnte unsere Wahl nur fallen auf das Album „Eyewitness“ von Steve Khan (1981), und dort zuvorderst auf den track „Guy Lafleur“, auf die spektakuläre Passage ab Minute 6. Wo ER in einem seiner seltenen Momente solistisch hervortritt und sich in einen gar nicht mal super-virtuosen Austausch begibt mit dem Schagzeuger des Quartetts, Steve Jordan.
Die 6/8-Motorik des Stückes wird ein wenig heruntergedimmt, er übernimmt die Führung, der Drummer reagiert: was für ein feeling, was für eine Technik, was für ein Sound, metrische Modulation der Extraklasse.
Und dann, völlig überraschend, der lange Ausklang, die Coda, ein vamp im Shuffle-Rhythmus ab 9:04, obenauf die Congas von Manolo Badrena.
Moments in Jazzrock-history.
Oder ein Jahr später, „Modern Times“ (live in Japan), das Intro von „The Blue Shadow“, wieder dieses interplay zwischen bg und dr, die snare auf völlig unschulmäßigen Zählzeiten, eine offbeat-Sternstunde - und (those were the days, und sie sind es immer noch) von vielen Exponenten der Jazzkritik überhört.
Die Jahre mit Steve Khan, in den 80ern, in den 90ern, sie gehören zu seinen profiliertesten.
Die mit Namhaften folgten später. Aber er hatte auch ein Leben davor.
Darunter zwei Chart-Hits aus dem Soul: Billy Paul „Me and Mrs. Jones“, 1972, und „For the Love of Money“, The O´Jays, 1974, mit markant herausgestellter Baßgitarre.
Das Wort hat er nicht gerne gehört, denn es traf ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr zu auf das Instrument, das er von da an bediente: die 6-saitige Variante der Baßgitarre oder des Elektrobasses, er nannte sie - auch auf Plattencovern - contrabassguitar.
Mehr noch, in einem Interview mit jazzcity (damals WDR 5) begründete er diesen Begriff durch eine sehr spezifische Verwandtschaft:
„I play the instrument of Segovia!“
Man kann es sich in Alltagssprache übersetzen durch eine sehr räumliche, „gitarristische“ Spielweise, gleichermaßen entfernt von den anderen großen Fixsternen am Baßhimmel wie Jaco Pastorius, Stanley Clarke und Marcus Miller.
Steve Khan, der dieser Spielweise wohl am meisten Raum gewährte, hat sich einmal - halb-ironisch - mokiert, dass der gute Anthony mit dem erweiterten Frequenzraum seines Instrumentes zu viel in den seiner Gitarre funkt.
Wer sich einen Üblick verschaffen will, muss viel scrollen, er soll in mehr als 3.000 Sessions und auf 500 Alben vertreten sein.
„Anthony Jackson leaves behind a musical legacy that will resonate through generations“, das Resumee des britischen Magazins Jazzwise ist sicher nicht übertrieben.
Er war ein über den schon weiten eigenen Aktionsradius Neugieriger. Bei der Begegnung damals (Jackson trat in der Kölner Live Music Hall auf mit einem Quartett aus der zweiten Reihe, „Metro“), während die Kollegen nach dem gig abhingen, saß er inmitten der heiteren Entourage an zwei Mini-Lautsprechern, auf den Knien eine Taschenbuchpartitur eines Werkes von Anton Webern. Was das Bild nahelegte, bestätigte er ungefragt, er sei ein „Solitär“.
Angefangen hat er wohl mit Piano und Gitarre (darunter Stunden bei Pat Martino, wie es heißt), aber nirgends ist die Rede von einem Studium o.ä. Wohl aber von Einflüssen, Jack Casady (Jefferson Airplane) und, unvermeidlich bei Afroamerikanern, James Jamerson, der Hausbassist von Motown Records.
Auf vielen Tourneen der letzten Jahre sah man ihn mit der japanischen Piano-Sprinterin Hiromi und dem ähnlich disponierten britischen Schlagzeuger Simon Phillips.
2016 soll er eine solche Tour krankheitsbedingt vorzeitig abgebrochen haben, 2017 dann Aufgabe der Konzerttätigkeit nach mehreren Schlaganfällen.

Anthony Claiborne Jackson, geboren am 23. Juni 1952 in New York City,  verstarb am 19. Oktober 2025 an einer Parkinson-Erkrankung. Er wurde 73 Jahre alt.

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 "Galileo has left us.
Er hat sie erfunden, war ihr Vorreiter und verantwortlich für die 6-saitige E-Bassgitarre oder Kontrabassgitarre, wie er sie nannte, und NIEMAND KONNTE SO SPIELEN! NIEMAND WIRD JEMALS SO SPIELEN. ER HAT MICH SO SEHR INSPIRIERT!"
(John Patitucci auf facebook))

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Foto: Art Bromage (CC BY-SA 2.0)
erstellt: 22.10.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
 

Klaus Doldinger, 1936-2025

Doldinger 2009Das Wintersemester 2025/26 hat begonnen. Vielleicht eine gute Gelegenheit, Bachelor- und Masterarbeiten zu vergeben, die den Nebel der zahlreichen Nachrufe durchdringen und den umfangreichen Kern einer einzigartigen Musikerkarriere freizulegen versuchen.
Keine leichte Aufgabe. Die Lösung versteckt sich hinter Aussagen, die eine Quelle, das Feuilleton, mancherorts nicht oben auf dem Hügel der Kompetenzen zeigen.
Mitunter möchte man auch Bezahlschranken einfach unten lassen:
„Mit seinem Saxofon rebellierte Klaus Doldinger im Nachkriegsdeutschland gegen die Vatergeneration, mit Soul und ´Gebrauchsmusiken´ wurde die Jazzlegende zum Brückenbauer.“ (Spiegel)
Die Zeit kommt dem Phänomen selbst mit Hilfe des Autobiografie-Co-Autors („Made in Germany – mein Leben für die Musik“, 2022) nicht näher.
Durch seine „offene Haltung“ (nämlich die Trennung in U- und E-Musik abzulehnen), „wurde Doldinger zu einem zentralen Vorkämpfer und Wegbereiter der deutschen Jazz-Revolution“.
Merkwürdig nur, dass der so Apostrophierte in einem entscheidenden definitorischen Moment, nämlich 1967 in der TV-Sendung „Free Jazz vs. Pop Jazz“, als er auf einen deutschen Jazz-Revolutionär traf, Peter Brötzmann,  klar das andere Ende der Fahnenstange wählte und sich für eine kurzzeitige Veräppelung des Gegenüber sogleich selbst zur Ordnung rief.
Denn das war er in der Tat, „ein Mann von Herzenswärme und rheinischem Frohsinn“ (Zeit), er hatte Manieren. Er war ein Herr.
„…der vermutlich meistgespielte Jazzer der Welt.“ (Welt)
Dem zum Beispiel lohnte sich nachzugehen. Diese Aussage - wie sagt man heute? - zu skalieren.
Und die Lösung liegt nicht, dies vorweg, in der Verbreitung der Aufnahmen mit seinem Quartett in den 60ern (darin auch andernorts bewährte Kräfte wie Peter Trunk, b, und Cees See, dr), oder seinen beiden Jazzrock-Ensembles, dem kurzlebigen Motherhood und dem sehr langlebigen Passport. Auch nicht in „Doldinger in New York“ (1994, u.a. mit Victor Lewis, dr, und Tommy Flanagan, p).
Tatort Logo.svg 1Die Quelle sprudelt (wenn wir großzügig US-Serien außer Acht lassen) in drei sequenzierten Quarten an beinahe einem jeden deutschen Fernsehsonntag um 20.15 Uhr, noch vor jeder Handlung, in den ersten 40 Sekunden, im Vorspann der Krimisererie „Tatort“; seit 1970, in bis dato 1.310 Folgen (zahllose Wiederholungen nicht eingerechnet. Die Folgen 1.311 bis 1.324 stehen an).
Das ist deutsche Folklore.
Die Zahl derer, die diese Musik kennen (oder diese Kenntnis mit ins Grab genommen haben), bewegt sich in einem dreistelligen Millionenbereich, ein Mehrfaches der gegenwärtigen Wohnbevölkerung.
Auch wenn der Eindruck sich nicht sofort entfalten mag - diese 40 Sekunden sind das Werk eines Jazzmusikers, im Netz finden sich hinreichend Analysen dazu. Es ist ein Stück mit starken Jazzrock-Anteilen.
Doldinger hat es 1970 komponiert. 1971 folgt - über den Vorspann hinaus - seine erste komplette Tatort-Musik (es ist die dritte Folge, „„Kressin und der tote Mann im Fleet“, Drehbuch: Wolfgang Menge). 2018 liefert er seine letzte Tatort-Musik („Bausünden“, Folge 1044).
In Sachen Funktionsmusik war er schon damals kein unbeschriebenes Blatt. Der Jingle zur Einführung des Farbfernsehens 1967 stammt von ihm, etliche Werbemusiken auch.
Eine große Tugend, die man Jazzmusikern nachrühmt, nämlich ihre große stilistische Adaptionsfähigkeit, Doldinger hat sie inside Jazz vollzogen (frühes Beispiel: im Jahr von Stan Getz/Charlie Byrd „Jazz Samba“, 1962, bringt das Doldinger Quartett die Single „Recado Bossa Nova/Copacabana“ heraus), er hat sie mit größten Erfolgen aber auch weit außerhalb des Jazz angewandt.
Abgesehen von frühen Dixieland-Tagen in Düsseldorf, wurzelt er in einem immer wieder neu anbaufähigen Hardbop, gesegnet mit einem großen Gespür für den Wechsel musikalischer Großwetterlagen. Als der Jazz elektrisch wird, setzt er Passport Anfang der 70er auf diese, in seinem Falle wiederum populäre Spur - Vergleiche mit Weather Report, wie sie auch heute wieder auftauchen, verdanken sich dabei allein der semantischen Doppeldeutigkeit der deutschen Sprache (es sind Vergleiche zwischen Äpfeln und Birnen. In der Sache sind sie geradezu frivol).
Und, ob er wirklich in das Triumvirat Mangelsdorff/Doldinger/Dauner gehört, wie es jetzt die FAZ insinuiert?
Doldinger war weniger Stilschöpfer als vielmehr ausgestattet mit lang ausgefahrenen Antennen für fremde Einflüsse. Er war ein begabter Verwerter, mit einem Händchen für eindrückliche Melodik, einem eigenen Formelvorrat (darunter Fanfarenhafte Momente), der sich quer durch sein gewaltiges Euvre zeigt, von seinem Jazzquartett in den 60ern bis in die zahlreichen großen Filmmusiken, „Das Boot“, „Die unendliche Geschichte“, die zahlreichen TV-Serien.
In Düsseldorf hatte er Abitur gemacht, Klavier, Klarinette und Tontechnik studiert; letzteres dürfte ihm in den Studios, auch daheim in Icking, sehr geholfen haben.
Im Gegensatz zu anderen mit ähnlicher Karriere ließ ihn die Bühne nicht los, er hat sich durchgängig als Jazzmusiker verstanden. Und, in vielen Interviews unermüdlich die Ursünde unserer kleinen Welt (Kommerz = Ausverkauf) durch sein eigenes Beispiel aus der Welt zu modulieren versucht. Ganz typisch ein 3Sat-Interview von 2012 - es ist auch eine Selbstbeschreibung.
„Mein Geschmack ist relativ weitgefächert. Ich habe da keine großen Berührungsängste. Ich finde es wunderbar, wenn man einen konzertanten Auftritt hat, in dem man auch dem Jazz seinen gebührenden Anteil einräumen kann, aber dann auch übergeht in solche Geschichten wie Filmmusik. Und ich habe ja eine ganze Reihe von Sachen geschrieben, die in breites Publikum - Gottseidank! - erreicht haben. Da kann man jetzt auch die Nase rümpfen ´ah, der macht ja jetzt auch so kommerzielle Sachen!´ Damit habe ich kein Problem. Ich habe mir da keine Fesseln auferlegt. Ich habe auch Kinderlieder geschrieben. Es gibt eigentlich wenig Bereiche, denen ich mich verweigern würde. Ich finde es immer eine interessante Herausforderung, etwas Ungewöhnliches zu schreiben.“

Klaus Erich Dieter Doldinger, geboren am 12. Mai 1936 in Berlin, verstarb am 16. Oktober 2025 in Icking bei München. Er wurde 89 Jahre alt.

jazzcity Fragebogen mit Klaus Doldinger

Foto: Stephan Wirwalski (CC BY 3.0)
erstellt: 18.10.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
 

 

Theo Jörgensmann, 1948-2025

Theo Jorgensmann lowAm Nachmittag des 6. Oktober 2025, um 15:55 Uhr, schickt er folgenden Hinweis über seinen mail-Verteiler:

Liebe Jazzfreunde,
es gibt jetzt in M-V einen Verein, aus vorwiegend jüngeren Musikern, der in M-V eine  zeitgenössische Jazzszene etablieren möchte.
Beste Grüße
Theo Jörgensmann

Er ist der Senior in diesem Verein, der sich erst in diesem Jahr gegründet hat.
Seit 1997 wohnt auch er in Mecklenburg-Vorpommern; er, der in den Jahrzehnten zuvor, noch vor allen akademischen Aufwertungen den Jazz im Pott verkörperte wie nur ein zweiter; seine Alben führen mitunter Regionalstolz, nein -trotz im Titel, z.B. „Live at Birdland Gelsenkirchen“, 1978, oder „Song of BoWaGe“, 1979  (i.e. Bochum-Wattenscheid-Gelsenkirchen).
Jahre später, 1986, wird Christoph Hübner in einer kurzen Film-Doku erneut auf diesen Kontext verweisen, „Theo Jörgensmann. Bottrop. Klarinette“.
Am frühen Abend des 6. Oktober nun telefoniert er mit diesem zweiten, mit Eckard Koltermann in Herne, 10 Jahre jünger, an der Baßklarinette sein alter ego. Die beiden kennen sich seit 1984, aus dem Klarinettenquartett Cl-4, im Duo haben sie hunderte Konzerte gespielt.
Als Jörgensmann 2018 den Jazz Pott erhält, kommt Koltermann als Gast hinzu, 2023 tauschen sie die Rollen, als nun Koltermann die Auszeichnung überreicht wird. Es war das letzte gemeinsame größere Konzert.
Zwei Stunden nach dem Telefonat, Koltermann erinnert sich an die Minute, um 21:35 Uhr an diesem 6. Oktober 2025, ruft die Ehefrau Jörgensmann zurück: der Theo ist tot.
Der Ältere, das hatte er im Gespräch angedeutet, habe sich zuletzt viel zugemutet: sieben Konzerte an zehn Tagen, und das bei einer vor wenigen Monaten aufgetretenen Erkrankung. Es war zuviel.
Wer ihn je live erlebt hat, weiß, dass der mitunter kühl intonierte Klarinettenton fast immer Resultat einer gewissen Körperlichkeit war, von kreisenden Bewegungen des gesamten Oberkörpers. Die in frühen Jahren mitunter frivole Befürchtungen aufkommen ließen, wie lange sich die für ihn damals charakteristische Schlägermütze am Kopfe halte.
Jörgensmann stammt aus einer Gegend, in der man moderne Jazzmusiker am allerwenigsten vermutet, aus Bottrop-Boy, eher geprägt von Zechen und Taubenschlägen (das Cover von „Straightout!“, 1976, kokettiert mit diesem Milieu).
Der Sohn eines Gastwirtes lernt zunächst Chemielaborant, erhält ab 18 privaten Klarinettenunterricht, und was das Üben betrifft, nimmt sich die Wehrdienstzeit 1973 nicht so übel aus wie allgemein vermutet.
Stilistisch startet er in einem spät-bop´schen Stil (in seinem ersten Quartett u.a. der Saxophonist Uli P. Lask, der Anfang der 80er zu den frühen Elektronikern des deutschen Jazz konvertieren wird), später erweitert um Einflüsse aus der Neuen Musik und diversen Folkloren, nicht zu übersehen, immer wieder Projekte im Kontext von Literatur und Theater.
Christopher Dell stößt Ende der 90er zu seinem neuen Quartett, das bis zu seinem Tode existiert.
Durch die neue Basis in MV ergeben sich Kontakte zur polnischen Jazzszene, mit den Oles Brüdern hat er über mehrere Jahre ein Trio.
Jorgensmann Sassnitz   1Im Rückblick stellt sich diese Karriere wie eine vielfarbig zerklüftete Landschaft dar, ohne ein opus magnum, ein zentrales Album, das das Davor & Danach gewissermaßen erklärte.
Kein Produzent, der die Energien irjenswie kanalisiert hätte.
Möglicherweise stand dem auch Jörgensmanns Meinungsfreude entgegen. Dazu passt die von ihm in die Welt gesetzte und mehrfach wiedergespiegelte Anekdote, wonach er sich in den 80ern auf dem Weg zu einem berühmten Produzenten befunden habe - aber vorzeitig umgekehrt sei.
Das renommierteste unter den zahlreichen Labels, die ihn die Welt getönt haben, war das schweizerische hatOLOGY, dort ab 2000 mit den Oles Brüdern, mit Eckard Koltermann sowie mit seinem Quartett.
Letzteres hat mehrfach in den USA und Kanada gespielt, auch mit Kenny Wheeler und Lee Konitz in Holland. Es dürfte seine internationale Anschlußfähigkeit, die seit den frühen 80ern dokumentiert ist, am nachhaltigsten artikuliert haben.
Christian Ramond, der langjähriger Bassist, kündigt weitere Alben dieses Quartetts an. Für den 25. Oktober war er mit einer anderen Jörgensmann-Formation (darin dessen Duo-Partner Nikolaus Neuser, Photo) für ein Konzert in Schwerin gebucht.
„Es war in gewisser Weise leicht, mit Theo zu spielen. Das ist nun vorbei.“
Wie gesagt, Jörgensmann war meinungsstark. Den vielleicht schönsten seiner Sarkasmen kannten auch Koltermann & Ramond nicht.
Für den Jazzkritiker Ulrich Olshausen (1933-2024), bekannt ob seiner gesteigerten Aufmerksamkeit für korrekt getroffene Töne, fand er die hinreissende Metapher „Pater Ulrich von der Heiligen Intonation“.
Der so Angesprochene, u.a. ein Jörgensmann-Förderer in seiner Eigenschaft als hr-Jazzredakteur, hat sich köstlich amüsiert. Er fand sich korrekt getroffen.
Theodor Franz Jörgensmann, geboren am 29. September 1948 in Bottrop, verstarb am 6. Oktober 2025 in Brüel/MV, wenige Tage nach seinem 77. Geburtstag.

Fotos: Sven Thielmann, Ulrich Spiegel (Sassnitz)
erstellt: 06.10.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

Good News from Monheim-am-Rhein…

… mithin aus einer Stadt, über der beim Abschluß der Triennale II, Anfang Juli 2025, die unsichtbare dunkle Wolk´ der antizipierten, aber noch nicht aussprechbaren Nachricht des Wahldebakels der kulturbestimmenden Fraktion im Stadtrat bei der Kommunalwahl im September hing.
Das Wahldebakel ist wie befürchtet eingetreten: PETO stürzte um 20 Prozent auf nunmehr 36,59 Prozent; bleibt stärkste Fraktion, aber leicht überstimmbar von den anderen sechs im Rat der hochverschuldeten Stadt.
Noch entscheidender, PETO musste nach 16 Jahren, schon im ersten Wahlgang, das Amt des Bürgermeisters (Daniel Zimmermann) an die von vier Parteien getragene Sonja Wienecke abgeben.
Zimmermann, der Impulsgeber für die Monheim Triennale, ihr größter Freund & Förderer, war für den Chefposten nicht mehr angetreten, gehört nun aber auch nicht mehr dem Stadtrat an.
Ob das noch geht, eine Monheim Triennale III, ohne Zimmermann im Vordergrund?
Ob sein Vorsitz im Triennale-Aufsichtsrat ausreichen wird gegen die sich nun wohl lauter artikulierende Opposition gegen das Festival?
Die Rheinische Post zitiert aus allen die neue Bürgermeisterin tragenden Fraktionen mehr oder weniger kritische Stimmen zum Festival.
Die konstituierende Sitzung des neuen Rates findet am 5. November statt.
Rabih LahoudDie gute Nachricht kommt aus dem community-Bereich der Triennale.
Was sie über den Fortgang des Festivals aussagt, ist schwer einzuschätzen.
Neuer artist in residence ist ab 1. Oktober 2025 Rabih Lahoud, geboren in Beirut, wohnhaft in Monheim.
Der deutsch-libanesische Sänger und Pädagoge hat mit seinem Projekt Colors of Unison das diesjährige Festival in der Altstadtkirche beschlossen, er hat u.a. Lehraufträge an deutschen Musikhochschulen sowie das Buch „Stimme im Flow“ veröffentlicht.
Der Triennale-Intendant Reiner Michalke, dessen Vertrag noch weiterbesteht, bezeichnet Lahoud als den "denkbar besten Brückenbauer zwischen der lokalen und der internationalen Musikszene".
Achim TangEr übernimmt die Aufgabe von Achim Tang, der sechs Jahre lang mit Charme, Begabung & Erfolg diese sehr spezifische Doppelrolle ausgefüllt hat:
„sowohl (als) Botschafter für das Festival und seine musikalisch-künstlerischen Inhalte als auch Kooperationspartner und Initiator vielfältiger Aktivitäten der kulturellen Bildung in der Stadt“.
Mit die eindrucksvollsten Momente in der Film-Doku von Mika Kaurismäki „Every Note you Play“ über das Festival 2024 sind jene, in denen man sieht, wie seine Saat auftönt.
Die Übergabe des Staffelstabs, pardon das Übergabekonzert von Tang auf Lahoud, fand am 26. Oktober statt.
Foto Lahoud: Andy Spyra
erstellt: 04.10.25, 
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

 

 

Der Miles Davis-Katalog wird verkauft

2026 wird ein Miles Davis Jahr.
Am 26. Mai 2026 würde der prince of darkness 100 Jahre alt (er verstarb am 28.09.91 im Alter von 65 Jahren).
Es fehlt nicht an Vorechos: ein Biopic ist in Produktion, „Miles & Juliette“, über die Romanze der Jazztrompeten-Legende mit einer ähnlichen auf Seiten des Chansons, Juliette Greco, gedacht ist an eine Broadway Show sowie an ein HighTech „Experiment“ im Lightroom, London.
Variety ReservoirAnteile daran hält Reservoir Media, 2007 gegründet in New York City, von Golnar Khosrowshahi, 53, einer in Teheran geborenen, in den USA ausgebildeten Geschäftsfrau.
Reservoir ist ein kleiner Fisch im der See der Rechteverwerter.
Der Verlag besitzt z.B. die Rechte an „Louie, Louie“, an Johnny Cash’s “Ring of Fire”, an allen Songs der Isley Brothers, De La Soul, Queen Latifah u.a.
Srin Jazz- und Jazz-nahes Portfolio ist klein, aber nicht unprominent: Sonny Rollins und Joni Mitchell.
Es wird jetzt erheblich aufgewertet durch den Miles Davis-Katalog.
Errin Davis, der Sohn, sowie Vince Wilburn jr., der Neffe und zeitweilige Miles-Drummer, haben ihn für mutmaßlich 40 bis 60 Mio Dollar an Reservoir verkauft - schätzt die New York Times.
Konkrete Details sind nicht bekannt, die NYT konstruiert die Summe aus den Äußerungen im Interview mit der Reservoir-Geschäftsführerin.
Es sind im übrigen nicht die Rechte an allen Miles Davis-Werken.
Die werden nach wie vor von Sony, dem CBS-Aufkäufer, kontrolliert, darunter der größte Dukaten-Esel von M.D. „Kind of Blue“, mit über 5 Mio verkauften Exemplaren.

 

cover Plugged Nickel

 

 

 

In diesen Kontext gehört auch die Wiederveröffentlichung einer der wichtigsten Miles-Editionen überhaupt: "The complete Live at the Plugged Nickel 1965", bis dato nur in einer teuren Japan-Edition vorhanden.
Columbia Legacy bringt die Box am 30.01.26 in einer Version mit 10 LPs bzw. 8 CDs zu einem vermutlich günstigeren Preis auf den Markt.


erstellt:14.09.25

©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

Jim McNeely, 1949-2025

Jim McNeely hr Ben KnabeDass die hr Big Band, aka Frankfurt Radio Big Band, unter der Handvoll Jazz Big Bands von ARD-Radioanstalten die Nase vorn hat, ist auch sein Verdienst.
Von 2011 bis 2022 war er ihr Chefdirigent, danach führte er seine Arbeit noch zwei Jahre als “Composer in Residence” weiter.
Unter seinen zwölf Grammy-Nominierungen befindet sich eine in Frankfurt entstandene, „Barefoot Dances and Other Visions“ (2019).
Im Juni 2024 gab er sein Abschiedskonzert, der „Ehrendirigent“ pendelte in all den Jahren zwischen Maine und Mainhattan.
Er war beliebt und auch bestens vorbereitet für den Job.
Von 1998 bis 2003 hatte er denselben Posten beim Danish Radio Jazz Orchestra.
Wie Pultstars in der Klassik leitete auch er parallel dazu andere Großformationen, daraunter so gut wie alle im Bereich des Jazz in Europa.
Er war auch in den USA ein Big Band Man. 2008 erhielt er einen Grammy für „Monday Night Live at the Village Vanguard" mit dem Vanguard Jazz Orchestra. Das steht in der Nachfolge eines der historischen Ensembles der Gattung, der That Jones/Mel Lewis Big Band. Ab 1978 gehörte er ihr für sechs (später auch wetere Jahre) als Pianist an.
1975 traf er in New York City ein, mit einem Bachelor of Music in Chicago im Gepräck; es folgten je vier Jahre bei Stan Getz und Phil Woods, als Pianist und Komponist.
1992 wurde der Mitschnitt seines Solo-Konzertes in der renommierten Reihe "Live at Maybeck Hall" veröffentlicht.
Er hat mit John Scofield, Vince Mendoza, Bobby Watson und etlichen anderen gespielt, 2019 für Pat Metheny das Orchester in „From this Place“ dirigiert.
Am 10. September hatte er noch im New Yorker DiMenna Center der Aufführung seiner Werke unter Leitung seines Freundes Rufus Reid beigewohnt. In diesen Tagen wird „Primal Colors“, ein Thirdstream-Stück für Frankfurt Radio Symphony und Frankfurt Radio Big Band auf CD veröffentlicht, von seinem früheren Schüler Ethan Iverson gelobt und ausführlich analysiert.
Die Kollegin Maria Schneider in einer ersten Stellungnahme: „Jim hinterlässt der Welt eine unglaubliche Menge an Musik. Ich und andere werden sie weiterhin entdecken und studieren, spielen, bewundern und einfach lieben.“
Jim McNeely, geboren am 18. Mai 1949 in Chicago, verstarb am 26. September 2025 an Gallengangkrebs in New York City. Er wurde 76 Jahre alt.

Foto: Ben Knabe, hr
erstellt: 27.09.25, ergänzt: 30.09.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

It´s been 55 years ago (yester)day…

…that the Isle Of Wight Festival ended.
Das Festival vor der englischen Südküste, nur wenige Kilometer vor Portsmouth, historisch im Rezeptionsschatten von Woodstock (1969), mit über 600.000 Besuchern aber das größere von beiden (Rock)Festivals.
Williams Isle of Wight   1Wer sich das line up der Tage vom 26. - 30.08.70 anschaut (insbesondere das der letzten beiden Tage), dem darf auch im Nachhinein noch blümerant werden.
Etliches davon steht im Netz, z.B. Jimi Hendrix oder Miles Davis (mit Chick Corea, ep, und Keith Jarrett, der seine E-Orgel so hasst, der er sie nur mit Sonnenbrille anblickt).
Wie aber kommt man von der Insel wieder weg? Insbesondere als Kritiker, der am Montag mittags wieder in der Fleet Street sein muss (those were the days…)
Richard Williams, Chef des Jazzfest Berlin 2015-17, war damals für den Melody Maker vor Ort, zusammen mit Geoffrey Cannon vom Guardian.
Letzterer hatte eine brillante Reiseidee. Er rief die Flugschule in Portsmouth an.
Morgens um 6 Uhr fanden sie sich am Flugfeld von Bembridge ein.
(heute vor 55 Jahren, Williams hat doch tatsächlich den Beleg aufbewahrt, über 9 Pfund und 6 Shillings)
Ein Helicopter wartete startbereit - nicht für sie, sie erwarteten eine einmotorige Cessna. Aber für den, der noch in der Bühnenkleidung von wenige Stunden zuvor, neben ihnen einer Limousine entstieg.
Now read on.

erstellt: 31.08.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

Danny Thompson, 1939-2025

Danny ThompsonSeine letzten Lebensjahrzehnte zeigen wenig Jazz-Einträge.
Aussagekräftiger für seine Karriere ist der Lifetime achievement award bei den BBC Radio 2 Folk Awards, 2007. Oder der Prog Rock Chris Squire Virtuoso Award 2015, in Erinnerung an den Yes-Bassisten Chris Squire (1948-2015).
Er war nämlich, wie The Telegraph anlässlich seines 75. Geburtstages 2014 titelt „bass player for the greats“.
Wer das überprüfen will, dem fällt auf seiner Webseite ein kaum zu bändigender Buchstaben- und Zahlensalat in die Augen.
Erst sein englischer Wikipedia-Eintrag bringt Ordnung das zuvor fast unlesbare Feld von Alben, u.a. von Kate Bush, Marianne Faithfull, Peter Gabriel, Cliff Richard, Rod Stewart.
Das mögen die greats sein, viel häufiger finden wir ihn bei Richard Thompson (insgesamt 12 Alben), John Martyn (7), Alexis Korner (5), sieben Mal Pentangle - das dürfte zwischen 1967 und 1973 der verbindende link gewesen, weg vom Jazz, hin zu britischem Folk und Folk-Rock.

Und da findet man ihn bei allen, bei Nick Drake, Bert Jansch, Ralph McTell, auch Art Rock (Peter Blegvad, „King Strut & other Stories“, 1990, Jakko M. Jakzyk, 2006), ja sogar … bei Hannes Wader („Es ist an der Zeit“, 1980).
Thompson´s Signatur: ein warmer, nach Holz klingender Kontrabass (in dem von Baßgitarren bestimmten Riesenfeld).
Das einzige Mal, dass er die elektrische Variante zur Hand genommen hat, war viel, viel früher: Anfang der 60er in der Begleitband von Roy Orbison, im Vorprogramm … die Beatles!
Und wenn man erst mal zu stöbern beginnt in diesem Vorecho von swingin´ London, in dieser für viele offenbar völlig unsegregierten Szene, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da findet man ihn in einem Septett des südafrikanischen Pianisten Chris McGregor („Up to Earth“, 1969), in einem Trio mit John McLaughlin, bei Allan Holdsworth („Propensity“, 1978).
1990 konvertiert er zum Islam und nennt sich Hamza.
Daniel Henry Edward „Danny“ Thompson, geboren am 4. April 1939 in Teignmouth/Devon, verstorben am 23. September 2025 in Rickmansworth/Hertfordshire. Er wurde 86 Jahre alt.

Foto: David Laws
erstellt: 25.09.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

Sheila Jordan, 1928-2025

Sheila Jordan in 1985Charlie Parker taufte sie „the lady with the million dollar ears“, auf seinen Rat hin zog sie nach New York City.
Von 1952-62 war sie mit dem Parker-Pianisten Duke Jordan in einer schwierigen Ehe verbunden.
„Der Widerstand, dem ein gemischtrassiges Paar in diesem Jahrzehnt in Amerika ausgesetzt war, kann kaum überschätzt werden“, betont der US-Journalist Nate Chinen in seinem Nachruf.
Ihr Jazz-Abitur hat sie auf keinem zertifizierten Bildungsweg abgelegt, sondern als Schülerin von Lennie Tristano und Charles Mingus, den große Rest durch learning by doing, häufig auf den klassischen Jazzbühnen.
Dort glänzte sie durch flexiblen Scat-Gesang, auch das Modifizieren von Song-Lyrics.
Bebop war und blieb ihre bevorzugte Rahmenhandlung; sie hat sie gelegentlich verlassen, z.B. für George Gruntz oder für Carla Bleys legendäres „Escalator over the Hill“.
Sie blieb aktiv bis ins hohe Alter, ja sogar bis ins Frühjahr 2025. 
Ein bevorzugtes Format: das Duo mit einem Bassisten, häufig Cameron Brown, über fünf Jahrzehnte mit Harvie S.
Sheila Jordan, geboren am 18. November 1928 in Detroit, verstarb am 11. August 2025 in ihrer Wohnung auf der West 18th Street in Manhattan.
Sie hatte dort seit den 50er Jahren gelebt. „Charlie Parker, Clifford Brown, Paul Chambers, Charles Mingus - sie alle waren da“, sagt Harvie S.

Sheila Jordan wurde 96 Jahre alt.
Sie schlief friedlich ein, wie ihre Tochter Tracy ergänzt, während ihr ein Bebop-Stück ihres letzten Ehemannes Marcus Belgrave (1936-2025) vorgespielt wurde.

Ihre letzte Ruhestätte wird sie in bester Nachbarschaft finden, dort wo bereits Miles Davis, Duke Ellington, Max Roach, George Wein u.a. bestattet sind, im Jazz Corner der Woodlawn Cemetery in der Bronx.

Foto: Sheila Jordan, San Francisco, 1985 (©Brian McMillen CC BY-SA 3.0)
erstellt: 12.08.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

Hermeto Pascoal, 1936-2025

Hermeto Pascoal by Gert ChesiEs muss vor 2005 gewesen sein, vor dem Umzug in die Hansastraße, noch im alten Domicil Dortmund in der Leopoldstraße, in der Kelleretage unter einer Kindertagesstätte.
Steffen Schorn steht an der Theke. Der zweite set läuft bereits, gleich wird er „auf die Bühne“, unter die Musiker gerufen werden. Ein deutscher unter brasilianischen. Sein Name ertönt, er kippt einen Korn in sich ´rein, schnappt sein Baritonsaxophon und pflügt sich durch nach vorne.
So einer muss keine Auftrittsangst bekämpfen, er tankt, um rasch auf die Flughöhe zu gelangen, die ihm vorgegeben ist.
Schorn hat Jahre vorher schon mit Hermeto Pascoal gespielt, in Rio, 2018 wird er es wieder tun, in Oslo. Da inszeniert er mit dem ältesten Ensemble Norwegens, dem Norwegian Wind Ensemble, „Hermeto´s Universe“.
Der Titel ist korrekt gewählt. Pascoal war ein Universalist, sein musikalisches Feld ein eigenes, kleines Universum.
Die Parole, er sei „Brasiliens Antwort auf Sun Ra“, greift viel zu kurz.
Jazz-Ohren kam er 1970 unter, zeitgleich bei Duke Pearson, Donald Byrd und insbesondere Miles Davis. Unter den Studio-Tracks von „Live Evil“ waren allein drei - einanander sehr verwandte - Stücke von ihm.
Miles nannte ihn „einen der wichtigsten Musiker auf dem Planeten“.
Airto hatte ihn in die USA mitgenommen, in Rio war er seit 1964 Mitglied von dessen Quarteto Novo.

Pascoal war Multiinstrumentalist. Neben seinen Hauptinstrumenten Piano und Flöte bediente er eine Vielzahl von Gegenständen, galten sie nun offiziell als Instrument oder nicht. „Wo immer ich bin, gibt es ein Instrument. Ein Stuhl ist ein Instrument. Ein Tisch ist ein Instrument. Es gibt so viele Instrumente.“
Das konnten auch quiekende Schweine sein, wie auf seinem Album „Slaves Mass“ (Missa Dos Escravos, 1976).
Oder ein Glas Wasser, in das er auf seinem letzten Album hineinsingt: „Pra Você, Ilza“, ein akustisches Denkmal für seine erste Frau Ilza da Silva, mit der er 40 Jahre lang verheiratet war.
Er kam aus einer Bauernfamilie im Nordosten Brasiliens; er war, wen wundert´s, Autodidakt.
Albino zu sein, begünstigte sein zielloses Lernen von Instrumenten: er musste wegen der für ihn gefährlichen tropischen Sonne nicht auf dem Feld arbeiten.
Mehr als 2.000 Stücke soll er geschrieben haben, „der Hexenmeister, der Zauberer“, wie man ihn in Brasilien nennt. Die Melodik, mit ihren schnellen, verwegenen lines vielleicht ein wenig mit Zappa vergleichbar. Die Stilistik, ein Mix aus viel Landeseigenem, Foro, Bossa Nova, Jazz, manchmal in durchaus zickigem swing - ein Unikat.
Hermeto Pascoal, geboren am 22. Juni 1936 in Lagoa da Canoa, verstarb am 13. September 2025 in Rio de Janeiro, „an multiplem Organversagen“, wie es heißt. Er wurde 89 Jahre alt.

Foto: Gert Chesi
erstellt: 15.09.25

©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

 

Goodbye Spotify

Jasper Hoiby, 48, dänischer, in London lebender (und an der Royal Academy lehrender) Bassist, macht, woran etliche JazzmusikerInnen schon gedacht haben: er zieht seine Musik von der Streaming-Plattform Spotify zurück.
In seinem jüngsten newsletter begründet er seinen Entschluß in vier Schritten.
Jasper HoibyDen anfänglichen Anspruch von Spotify, im Gegensatz zu Napster etc., eine legale Plattform zu bieten, mittels derer Konsumenten ihre favorisierten Künstler direkter unterstützen könnten, hält er für eine „Lüge“ und vielfach widerlegt.
Spotify sei, zweitens, in letzter Zeit „so selbstbewusst geworden, was die Ausbeutung der Urheber angeht“, dass es die Tantiemen aus allen den Stücken selbst behält, die weniger als 1.000 Aufrufe pro Jahr erreichen. Das seien immerhin 86 Prozent aller auf der Plattform. Und träfe auf die meisten Jazz-tracks zu.
Drittens habe Spotify feste Monatsgehälter mit Komponisten ausgemacht, die dafür ihre Urheberrechte an die Plattform abtreten und „so viel banale Musik wie möglich“ produzieren.
„Diese Musik wird nun in ihren Playlists priorisiert und gepusht, damit sie das Geld einstreichen können, das sonst an echte Künstler und Komponisten gegangen wäre.“
Hoibys vierter Grund: dass Co-Gründer und Hauptanteilseigner Daniel Eek jüngst 600 Mio Dollar in eine KI-Waffenproduktion investiert habe, wie schon 100 Mio Euro 2021 in ein ähnliches Unternehmen in Helsinki.
„Wie alle, die in Waffen investieren, schmücken sie es mit schönen Schlagworten wie ´Verteidigung´ und ´Schutz´“.
Vor zwei Jahren sicherlich, aber ob ihm heute alle seine Anhänger in diesem Punkt folgen?
Er zieht sich freilich nicht vollständig zurück; man kann ihn weiterhin streamen (über Apple, Deezer, Tidal usw) und seine Alben weiterhin online kaufen (über Bandcamp oder die Webseite von Edition Records).
Zum Teil auch weil es immer schwieriger werde, überhaupt mit Musik Geld zu verdienen, bietet er nun auch das Notenmaterial zu seinen Kompositionen zum Kauf an.
„Wenn Sie sich das aus irgendeinem Grund nicht leisten können, wenden Sie sich gerne an uns, vielleicht finden wir trotzdem eine Lösung“.

erstellt: 08.08.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten

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