Am Nachmittag des 6. Oktober, um 15:55 Uhr, schickt er folgenden Hinweis über seinen mail-Verteiler:
Liebe Jazzfreunde,
es gibt jetzt in M-V einen Verein, aus vorwiegend jüngeren Musikern, der in M-V eine zeitgenössische Jazzszene etablieren möchte.
Beste Grüße
Theo Jörgensmann
Er ist der Senior in diesem Verein, der sich erst in diesem Jahr gegründet hat.
Seit 1997 wohnt auch er in Mecklenburg-Vorpommern; er, der in den Jahrzehnten zuvor, noch vor allen akademischen Aufwertungen den Jazz im Pott verkörperte wie nur ein zweiter; dessen Alben mitunter Regionalstolz, nein -trotz im Titel führen, z.B. „Live at Birdland Gelsenkirchen“, 1978, oder „Song of BoWaGe“, 1979 (i.e. Bochum-Wattenscheid-Gelsenkirchen).
Jahre später, 1986, wird Christoph Hübner in einer kurzen Film-Doku erneut auf diesen Kontext verweisen, „Theo Jörgensmann. Bottrop. Klarinette“.
Am frühen Abend des 6. Oktober telefoniert er mit diesem zweiten, mit Eckard Koltermann in Herne, 10 Jahre jünger, an der Baßklarinette sein alter ego. Die beiden kennen sich seit 1984, aus dem Klarinettenquartett Cl-4, als Duo haben sie hunderte Konzerte gespielt.
Als Jörgensmann 2018 den Jazz Pott erhält, kommt Koltermann als Gast hinzu, 2023 tauschen sie die Rollen, als nun Koltermann die Auszeichnung überreicht wird. Es war das letzte gemeinsame größere Konzert.
Zwei Stunden nach ihrem Telefonat, Koltermann erinnert sich an die Minute, um 21:35 Uhr an diesem 6. Oktober 2025 ruft die Ehefrau Jörgensmann zurück: der Theo ist tot.
Der Ältere, dass hatte er im Gespräch angedeutet, hatte sich zuletzt viel zugemutet: sieben Konzerte an zehn Tagen, und das bei einer vor wenigen Monaten aufgetretenen Erkrankung. Es war zuviel.
Wer ihn je live erlebt hat, weiß, dass der mitunter kühl intonierte Klarinettenton fast immer Resultat einer gewissen Körperlichkeit war, von kreisenden Bewegungen des gesamten Oberkörpers. Die in frühen Jahren mitunter frivole Befürchtungen aufkommen ließen, wie lange sich die für ihn damals charakteristische Schlägermütze am Kopfe halte.
Jörgensmann stammt aus einer Gegend, in der man moderne Jazzmusiker am allerwenigsten vermutet, aus Bottrop-Boy, eher geprägt von Zechen und Taubenschlägen (das Cover von „Straightout!“, 1976, kokettiert mit diesem Milieu).
Der Sohn eines Gastwirtes lernt zunächst Chemielaborant, erhält ab 18 privaten Klarinettenunterricht, und was das Üben betrifft, nimmt sich die Wehrdienstzeit 1973 nicht so übel aus wie allgemein vermutet.
Stilistisch startet er in einem spät-bop´schen Stil (in seinem ersten Quartett u.a. der Saxophonist Uli P. Lask, der Anfang der 80er zu den ersten Elektronikern des deutschen Jazz konvertieren würde), später erweitert um Einflüsse aus der Neuen Musik und diversen Folkloren, nicht zu übersehen, immer wieder Projekte im Kontext von Literatur und Theater.
Christopher Dell stößt Ende der 90er zu seinem neuen Quartett, das bis zu seinem Tode existiert.
Durch die neue Basis in MV ergeben sich Kontakte zur polnischen Jazzszene, mit den Oles Brüdern hat er über mehrere Jahre ein Trio.Im Rückblick stellt sich diese Karriere wie eine vielfarbig zerklüftete Landschaft dar, ohne ein opus magnum, ein zentrales Album, das das Davor & Danach gewissermaßen erklärte.
Kein Produzent, der die Energien irjenswie kanalisiert hätte.
Möglicherweise stand dem auch Jörgensmanns Meinungsfreude entgegen. Dazu passt die von ihm in die Welt gesetzte und mehrfach wiedergespiegelte Anekdote, wonach er sich in den 80ern auf dem Weg zu einem berühmten Produzenten befunden habe - aber vorzeitig umgekehrt sei.
Das renommierteste unter den zahlreichen Labels, die ihn die Welt getönt haben, war das schweizerische hatOLOGY, dort ab 2000 mit den Oles Brüdern, mit Eckard Koltermann sowie mit seinem Quartett.
Letzteres hat mehrfach in den USA und Kanada gespielt, auch mit Kenny Wheeler und Lee Konitz in Holland. Es dürfte seine internationale Anschlußfähigkeit, die seit den frühen 80ern dokumentiert ist, am nachhaltigsten artikuliert haben.
Christian Ramond, der langjähriger Bassist, kündigt weitere Alben dieses Quartetts an. Für den 25. Oktober war er mit einer anderen Jörgensmann-Formation (darin dessen Duo-Partner Nikolaus Neuser, Photo) für ein Konzert in Schwerin gebucht.
„Es war in gewisser Weise leicht, mit Theo zu spielen. Das ist nun vorbei.“
Wie gesagt, Jörgensmann war meinungsstark. Den vielleicht schönsten seiner Sarkasmen kannten auch Koltermann & Ramond nicht.
Für den Jazzkritiker Ulrich Olshausen (1933-2024), bekannt ob seiner gesteigerten Aufmerksamkeit für korrekt getroffene Töne, fand er die hinreissende Metapher „Pater Ulrich von der Heiligen Intonation“.
Der so Angesprochene, u.a. ein Jörgensmann-Förderer in seiner Eigenschaft als hr-Jazzredakteur, hat sich köstlich amüsiert. Er fand sich korrekt getroffen.
Theodor Franz Jörgensmann, geboren am 29. September 1948 in Bottrop, verstarb am 6. Oktober 2025 in Brüel/MV, wenige Tage nach seinem 77. Geburtstag.
Fotos: Sven Thielmann, Ulrich Spiegel (Sassnitz)
erstellt: 06.10.25
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