Seine letzten Lebensjahrzehnte zeigen wenig Jazz-Einträge.
Aussagekräftiger für seine Karriere ist der Lifetime achievement award bei den BBC Radio 2 Folk Awards, 2007. Oder der Prog Rock Chris Squire Virtuoso Award 2015, in Erinnerung an den Yes-Bassisten Chris Squire (1948-2015).
Er war nämlich, wie The Telegraph anlässlich seines 75. Geburtstages 2014 titelt „bass player for the greats“.
Wer das überprüfen will, dem fällt auf seiner Webseite ein kaum zu bändigender Buchstaben- und Zahlensalat in die Augen.
Erst sein englischer Wikipedia-Eintrag bringt Ordnung das zuvor fast unlesbare Feld von Alben, u.a. von Kate Bush, Marianne Faithfull, Peter Gabriel, Cliff Richard, Rod Stewart.
Das mögen die greats sein, viel häufiger finden wir ihn bei Richard Thompson (insgesamt 12 Alben), John Martyn (7), Alexis Korner (5), sieben Mal Pentangle - das dürfte zwischen 1967 und 1973 der verbindende link gewesen, weg vom Jazz, hin zu britischem Folk und Folk-Rock.
Und da findet man ihn bei allen, bei Nick Drake, Bert Jansch, Ralph McTell, auch Art Rock (Peter Blegvad, „King Strut & other Stories“, 1990, Jakko M. Jakzyk, 2006), ja sogar … bei Hannes Wader („Es ist an der Zeit“, 1980).
Thompson´s Signatur: ein warmer, nach Holz klingender Kontrabass (in dem von Baßgitarren bestimmten Riesenfeld).
Das einzige Mal, dass er die elektrische Variante zur Hand genommen hat, war viel, viel früher: Anfang der 60er in der Begleitband von Roy Orbison, im Vorprogramm … die Beatles!
Und wenn man erst mal zu stöbern beginnt in diesem Vorecho von swingin´ London, in dieser für viele offenbar völlig unsegregierten Szene, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da findet man ihn in einem Septett des südafrikanischen Pianisten Chris McGregor („Up to Earth“, 1969), in einem Trio mit John McLaughlin, bei Allan Holdsworth („Propensity“, 1978).
1990 konvertiert er zum Islam und nennt sich Hamza.
Daniel Henry Edward „Danny“ Thompson, geboren am 4. April 1939 in Teignmouth/Devon, verstorben am 23. September 2025 in Rickmansworth/Hertfordshire. Er wurde 86 Jahre alt.
Foto: David Laws
erstellt: 25.09.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Es muss vor 2005 gewesen sein, vor dem Umzug in die Hansastraße, noch im alten Domicil Dortmund in der Leopoldstraße, in der Kelleretage unter einer Kindertagesstätte.
Steffen Schorn steht an der Theke. Der zweite set läuft bereits, gleich wird er „auf die Bühne“, unter die Musiker gerufen werden. Ein deutscher unter brasilianischen. Sein Name ertönt, er kippt einen Korn in sich ´rein, schnappt sein Baritonsaxophon und pflügt sich durch nach vorne.
So einer muss keine Auftrittsangst bekämpfen, er tankt, um rasch auf die Flughöhe zu gelangen, die ihm vorgegeben ist.
Schorn hat Jahre vorher schon mit Hermeto Pascoal gespielt, in Rio, 2018 wird er es wieder tun, in Oslo. Da inszeniert er mit dem ältesten Ensemble Norwegens, dem Norwegian Wind Ensemble, „Hermeto´s Universe“.
Der Titel ist korrekt gewählt. Pascoal war ein Universalist, sein musikalisches Feld ein eigenes, kleines Universum.
Die Parole, er sei „Brasiliens Antwort auf Sun Ra“, greift viel zu kurz.
Jazz-Ohren kam er 1970 unter, zeitgleich bei Duke Pearson, Donald Byrd und insbesondere Miles Davis. Unter den Studio-Tracks von „Live Evil“ waren allein drei - einanander sehr verwandte - Stücke von ihm.
Miles nannte ihn „einen der wichtigsten Musiker auf dem Planeten“.
Airto hatte ihn in die USA mitgenommen, in Rio war er seit 1964 Mitglied von dessen Quarteto Novo.
Pascoal war Multiinstrumentalist. Neben seinen Hauptinstrumenten Piano und Flöte bediente er eine Vielzahl von Gegenständen, galten sie nun offiziell als Instrument oder nicht. „Wo immer ich bin, gibt es ein Instrument. Ein Stuhl ist ein Instrument. Ein Tisch ist ein Instrument. Es gibt so viele Instrumente.“
Das konnten auch quiekende Schweine sein, wie auf seinem Album „Slaves Mass“ (Missa Dos Escravos, 1976).
Oder ein Glas Wasser, in das er auf seinem letzten Album hineinsingt: „Pra Você, Ilza“, ein akustisches Denkmal für seine erste Frau Ilza da Silva, mit der er 40 Jahre lang verheiratet war.
Er kam aus einer Bauernfamilie im Nordosten Brasiliens; er war, wen wundert´s, Autodidakt.
Albino zu sein, begünstigte sein zielloses Lernen von Instrumenten: er musste wegen der für ihn gefährlichen tropischen Sonne nicht auf dem Feld arbeiten.
Mehr als 2.000 Stücke soll er geschrieben haben, „der Hexenmeister, der Zauberer“, wie man ihn in Brasilien nennt. Die Melodik, mit ihren schnellen, verwegenen lines vielleicht ein wenig mit Zappa vergleichbar. Die Stilistik, ein Mix aus viel Landeseigenem, Foro, Bossa Nova, Jazz, manchmal in durchaus zickigem swing - ein Unikat.
Hermeto Pascoal, geboren am 22. Juni 1936 in Lagoa da Canoa, verstarb am 13. September 2025 in Rio de Janeiro, „an multiplem Organversagen“, wie es heißt. Er wurde 89 Jahre alt.
Foto: Gert Chesi
erstellt: 15.09.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
2026 wird ein Miles Davis Jahr.
Am 26. Mai 2026 würde der prince of darkness 100 Jahre alt (er verstarb am 28.09.91 im Alter von 65 Jahren).
Es fehlt nicht an Vorechos: ein Biopic ist in Produktion, „Miles & Juliette“, über die Romanze der Jazztrompeten-Legende mit einer ähnlichen auf Seiten des Chansons, Juliette Greco, gedacht ist an eine Broadway Show sowie an ein HighTech „Experiment“ im Lightroom, London. Anteile daran hält Reservoir Media, 2007 gegründet in New York City, von Golnar Khosrowshahi, 53, einer in Teheran geborenen, in den USA ausgebildeten Geschäftsfrau.
Reservoir ist ein kleiner Fisch im der See der Rechteverwerter.
Der Verlag besitzt z.B. die Rechte an „Louie, Louie“, an Johnny Cash’s “Ring of Fire”, an allen Songs der Isley Brothers, De La Soul, Queen Latifah u.a.
Srin Jazz- und Jazz-nahes Portfolio ist klein, aber nicht unprominent: Sonny Rollins und Joni Mitchell.
Es wird jetzt erheblich aufgewertet durch den Miles Davis-Katalog.
Errin Davis, der Sohn, sowie Vince Wilburn jr., der Neffe und zeitweilige Miles-Drummer, haben ihn für mutmaßlich 40 bis 60 Mio Dollar an Reservoir verkauft - schätzt die New York Times.
Konkrete Details sind nicht bekannt, die NYT konstruiert die Summe aus den Äußerungen im Interview mit der Reservoir-Geschäftsführerin.
Es sind im übrigen nicht die Rechte an allen Miles Davis-Werken.
Die werden nach wie vor von Sony, dem CBS-Aufkäufer, kontrolliert, darunter der größte Dukaten-Esel von M.D. „Kind of Blue“, mit über 5 Mio verkauften Exemplaren.
erstellt:14.09.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Am Vortag tauschten wir kurz Grußblicke aus mit einer Berliner Musikerin. Im Stadtgarten Köln, zumindest an der richtigen location.
Heute früh, am Tag der Nominierung und auf dem Weg in denselben, wähnten wir uns doch tatsächlich kurzfristig in der Annahme, der Preisträgerin 2025 begegnet zu sein - und scheuten uns nicht, ihr per mail, sehr, sehr andeutungsweise, vorab zu gratulieren.
Immerhin, nach 2023, nach Conny Bauer, stand erwartbar fest, dass 2025 eine Musikerin folgen wird. Der Albert Mangelsdorff Preis praktiziert (wie auch der Improviser in Residence in Moers) nach 2015 Gleichberechtigung in Form von Gleichverteilung.
„Unsere“ Kandidatin war auch anwesend bei der Bekanntgabe, immerhin ist ja Cologne Jazzweek, und da sind BerlinerInnen in Köln keine Exotika. Bei der kurzen Begrüßung lächelten wir nicht mehr ganz so vielsagend. Der nicht hörbare Unterton unserer kurzen Konversation lautete: sie ist viel zu jung für gerade diesen Preis. Der ja doch bei den letzten drei Malen (und auch zwischendrin seit 1994) deutlich der Richtung „Auszeichnung für ein Lebenswerk“ zuneigt.Nun also Lauren Newton.
Der kurze Moment der Überraschung wurde sogleich von dem Gedanken „Das ist nun wirklich eine berechtigte Wahl“ überlagert.
Gute Gründe für die Wahl der 1952 in Oregon geborenen Amerikanerin, die seit 1974 in Baden-Württemberg lebt, gibt es zuhauf, nämlich „herausragende künstlerische Leistungen sowie nachhaltige Impulse für die Entwicklung der Jazz- und Improvisationsszene“, wie es die Satzung zur Voraussetzung macht.
Die Deutsche Jazz Union als Ausrichterin des Preises, deren Praktiken der Präsentation nicht immer als gelungen gefeiert werden, hat sich durch eines ihrer Jury-Mitglieder (Stefan Hentz) eine Begründung schreiben lassen, die sich wohltuend vom 08/15-Sound aller anderen deutschen Jazz-Auszeichnungen abhebt.
Selbstverständlich steckt da Biografisches drin, z.B. Newtons Anfänge in der Frederic Rabold Crew, ihre 10 Jahre im Vienna Art Orchestra, ihre Konzerte mit Bobby McFerrin oder Anthony Braxton, eine Skizze ihres Agierens in der heute - auch dank ihres Wirkens - sehr viel breiteren Schnittmenge aus Jazz, Improvisierter und Neuer Musik.
Last not least eine Beschreibung ihres Gesangsstiles, der in seiner Bedeutungsfreiheit als scat nicht erfasst, sondern als ein vielfältiges Vokalisieren, aus dem gelegentlich „Semantik“ aufscheine.
So haben wir es in Erinnerung.
Die Ausgezeichnete tat dann auch wie beschrieben und ließ, statt einer Dankesrede, aus einer Kette von rasch wechselnden vokalen Expressionen schlussendlich das Wort „Danke“ aufscheinen.
Der Albert Mangelsdorff Preis ist mit 15.000 Euro dotiert, gestiftet von der GEMA, der GVL sowie vom Deutschen Komponist:innenverband. Die Preisverleihung findet am 1. November im Rahmen des Jazzfest Berlin 2025 statt.
erstellt: 01.09.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
…that the Isle Of Wight Festival ended.
Das Festival vor der englischen Südküste, nur wenige Kilometer vor Portsmouth, historisch im Rezeptionsschatten von Woodstock (1969), mit über 600.000 Besuchern aber das größere von beiden (Rock)Festivals.Wer sich das line up der Tage vom 26. - 30.08.70 anschaut (insbesondere das der letzten beiden Tage), dem darf auch im Nachhinein noch blümerant werden.
Etliches davon steht im Netz, z.B. Jimi Hendrix oder Miles Davis (mit Chick Corea, ep, und Keith Jarrett, der seine E-Orgel so hasst, der er sie nur mit Sonnenbrille anblickt).
Wie aber kommt man von der Insel wieder weg? Insbesondere als Kritiker, der am Montag mittags wieder in der Fleet Street sein muss (those were the days…)
Richard Williams, Chef des Jazzfest Berlin 2015-17, war damals für den Melody Maker vor Ort, zusammen mit Geoffrey Cannon vom Guardian.
Letzterer hatte eine brillante Reiseidee. Er rief die Flugschule in Portsmouth an.
Morgens um 6 Uhr fanden sie sich am Flugfeld von Bembridge ein.
(heute vor 55 Jahren, Williams hat doch tatsächlich den Beleg aufbewahrt, über 9 Pfund und 6 Shillings)
Ein Helicopter wartete startbereit - nicht für sie, sie erwarteten eine einmotorige Cessna. Aber für den, der noch in der Bühnenkleidung von wenige Stunden zuvor, neben ihnen einer Limousine entstieg.
Now read on.
erstellt: 31.08.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Charlie Parker taufte sie „the lady with the million dollar ears“, auf seinen Rat hin zog sie nach New York City.
Von 1952-62 war sie mit dem Parker-Pianisten Duke Jordan in einer schwierigen Ehe verbunden.
„Der Widerstand, dem ein gemischtrassiges Paar in diesem Jahrzehnt in Amerika ausgesetzt war, kann kaum überschätzt werden“, betont der US-Journalist Nate Chinen in seinem Nachruf.
Ihr Jazz-Abitur hat sie auf keinem zertifizierten Bildungsweg abgelegt, sondern als Schülerin von Lennie Tristano und Charles Mingus, den große Rest durch learning by doing, häufig auf den klassischen Jazzbühnen.
Dort glänzte sie durch flexiblen Scat-Gesang, auch das Modifizieren von Song-Lyrics.
Bebop war und blieb ihre bevorzugte Rahmenhandlung; sie hat sie gelegentlich verlassen, z.B. für George Gruntz oder für Carla Bleys legendäres „Escalator over the Hill“.
Sie blieb aktiv bis ins hohe Alter, ja sogar bis ins Frühjahr 2025.
Ein bevorzugtes Format: das Duo mit einem Bassisten, häufig Cameron Brown, über fünf Jahrzehnte mit Harvie S.
Sheila Jordan, geboren am 18. November 1928 in Detroit, verstarb am 11. August 2025 in ihrer Wohnung auf der West 18th Street in Manhattan.
Sie hatte dort seit den 50er Jahren gelebt. „Charlie Parker, Clifford Brown, Paul Chambers, Charles Mingus - sie alle waren da“, sagt Harvie S.
Sheila Jordan wurde 96 Jahre alt.
Sie schlief friedlich ein, wie ihre Tochter Tracy ergänzt, während ihr ein Bebop-Stück ihres letzten Ehemannes Marcus Belgrave (1936-2025) vorgespielt wurde.
Ihre letzte Ruhestätte wird sie in bester Nachbarschaft finden, dort wo bereits Miles Davis, Duke Ellington, Max Roach, George Wein u.a. bestattet sind, im Jazz Corner der Woodlawn Cemetery in der Bronx.
Foto: Sheila Jordan, San Francisco, 1985 (©Brian McMillen CC BY-SA 3.0)
erstellt: 12.08.25
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Jasper Hoiby, 48, dänischer, in London lebender (und an der Royal Academy lehrender) Bassist, macht, woran etliche JazzmusikerInnen schon gedacht haben: er zieht seine Musik von der Streaming-Plattform Spotify zurück.
In seinem jüngsten newsletter begründet er seinen Entschluß in vier Schritten.Den anfänglichen Anspruch von Spotify, im Gegensatz zu Napster etc., eine legale Plattform zu bieten, mittels derer Konsumenten ihre favorisierten Künstler direkter unterstützen könnten, hält er für eine „Lüge“ und vielfach widerlegt.
Spotify sei, zweitens, in letzter Zeit „so selbstbewusst geworden, was die Ausbeutung der Urheber angeht“, dass es die Tantiemen aus allen den Stücken selbst behält, die weniger als 1.000 Aufrufe pro Jahr erreichen. Das seien immerhin 86 Prozent aller auf der Plattform. Und träfe auf die meisten Jazz-tracks zu.
Drittens habe Spotify feste Monatsgehälter mit Komponisten ausgemacht, die dafür ihre Urheberrechte an die Plattform abtreten und „so viel banale Musik wie möglich“ produzieren.
„Diese Musik wird nun in ihren Playlists priorisiert und gepusht, damit sie das Geld einstreichen können, das sonst an echte Künstler und Komponisten gegangen wäre.“
Hoibys vierter Grund: dass Co-Gründer und Hauptanteilseigner Daniel Eek jüngst 600 Mio Dollar in eine KI-Waffenproduktion investiert habe, wie schon 100 Mio Euro 2021 in ein ähnliches Unternehmen in Helsinki.
„Wie alle, die in Waffen investieren, schmücken sie es mit schönen Schlagworten wie ´Verteidigung´ und ´Schutz´“.
Vor zwei Jahren sicherlich, aber ob ihm heute alle seine Anhänger in diesem Punkt folgen?
Er zieht sich freilich nicht vollständig zurück; man kann ihn weiterhin streamen (über Apple, Deezer, Tidal usw) und seine Alben weiterhin online kaufen (über Bandcamp oder die Webseite von Edition Records).
Zum Teil auch weil es immer schwieriger werde, überhaupt mit Musik Geld zu verdienen, bietet er nun auch das Notenmaterial zu seinen Kompositionen zum Kauf an.
„Wenn Sie sich das aus irgendeinem Grund nicht leisten können, wenden Sie sich gerne an uns, vielleicht finden wir trotzdem eine Lösung“.
erstellt: 08.08.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Als die Todesnachricht kam, sogleich wieder „Now hear this“ aufgelegt, das Studioalbum vom 15.02.1977 - weil Tony Williams dort mitspielt.
Die Erinnerung trügt nicht. Die Post geht ab, insbesondere in den beiden Eckstücken: „Now hear this“ zum Auftakt und „Red Eye Special“ zum Ausklang, der Herr Tony treibt das Quartett (mit Terumasa Hino, tp) vor sich her; lediglich Cecil McBee erstaunt mit eigentümlicher Intonation am Kontrabaß.
Der Bandleader segelt stilistisch in der breiten Spur von McCoy Tyner.
Und er zuckt nicht mal zusammen, als ein Schüler namens Ethan Iverson, damals 17, ihn 1991 darauf anspricht:
„Ich habe lange Zeit wie McCoy Tyner gespielt, weil dieser Stil populär war, aber dann kehrte ich zu meiner frühen Liebe zurück, zu Tommy Flanagan, Wynton Kelly und vor allem Ahmad Jamal.“
Das Zitat stammt aus der jüngsten Ausgabe von Iversons blog „Transitional Technology“, worin er die Todesnachricht verbreitet.
Der heute gefeierte Pianist & Theoretiker nahm damals an einem Galper-Workshop teil. In dieser neuen Ausgabe von TT kramt er ein paar memorable Zitate hervor, u.a. die ihm damals unverständliche Aussage von Galper:
“Ich hatte einen Auftritt mit einem ehemaligen Schüler. Er kann zwar Changes spielen, aber er spielt immer noch keinen Jazz.“ Ist Jazz nicht Improvisation? Und wenn Changes (Harmoniewechsel) vorgegeben sind und jemand darüber improvisiert - dann muss es sich doch um Jazz handeln, oder?
„Aber heute würde ich eher zu Hals Ansicht tendieren, die besagt, dass ´echter´ Jazz weniger rein improvisiert und eher einer spezifischen Sprache ist.“
Vermutlich inspiriert durch „Now hear this“ lädt George Gruntz das Hal Galper Quintet am 04.11.77 zu den Berliner Jazztagen ein. Der Mitschnitt („Live at Berlin Philharmonic“) erscheint erst 2021. Und man kommt aus dem Staunen nicht heraus, was da los ist/war (selbst eingerechnet seine Mitwirkung am Studioalbum „Rough House“ von John Scofield, aufgenommen am 27.11.1978 Zuckerfabrik, Stuttgart).
Was für ein Abflug mit Mike und Randy Brecker im Cockpit, dem Bandleader in Topform, ebenso die Rhythmusgruppe mit Wayne Dockery, b, und Bob Moses, dr.
Wenig später schüttelt Galper den McCoy Tyner-Einfluss ab. Und als viele Jahre später der Schüler Iverson den verehrten Dozenten doch wieder in dieser Spur „erwischt“, entgegnete jener, peinlich berührt, „Ich wollte nur sehen, ob ich es noch kann“.
Galper war schon vor den Gebrüdern Brecker in New York City gelandet. Er spielt auf Randys Debüt-Album „Score“ (1969), gehört aber später nicht zur Entourage der eigentlichen Brecker Brothers Band.
D.h. er war kein Kostverächter des Binären; er hatte schon den mitunter knochentrockenen Funk von Cannonball Adderley hinter sich, 1973-75, als Nachfolger von George Duke.
Gleichwohl erlebte man ihn später in ternären, sprich swingenden Formationen des Jazz, u.a. 10 Jahre bei Phil Woods.
Das Swingen (noch eine Anekdote aus der Erinnerung von Ethan Iverson) musste er sich durch eine Fehlkalkulation selbst beibringen. Er hatte zu dieser Lektion auf keinen Geringeren als Philly Joe Jones gehofft - der aber erwies sich auf der Bühne als eiskalt:
„Mit Philly Joe Jones spielte ich total zickig. Ich musste erst lernen, selbst zu swingen. Ein großer Schlagzeuger kann dir nicht helfen."
Sein bevorzugtes Format bis in die 2010-er Jahre war das Trio, meist mit Jeff Johnson, b, und John Bishop oder Steve Ellington, dr.
Galper, der von 1955-58 die Berklee School of Music in Boston besucht hatte, war selbst ein erfolgreicher Jazz-Educator, u.a. gehörte er zu den Gründern der New School of Jazz and Contemporary Music in New York.
Harold "Hal" Galper, geboren am 18. April 1938 in Salem/MA, verstarb am 18. Juli 2025 in Cochecton/NY.
Er wurde 87 Jahre alt.
erstellt: 20.07.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Yep, diese Auszeichnung geht klar, aber sowas von…
Sie hätte, andernorts, schon deutlich früher erfolgen können. So kommt sie jetzt, wenigstens in ihrer praktischen Ausführung, gerade rechtzeitig zu seinem 60. Geburtstag.Christopher Dell, 1965 geboren in Darmstadt, gehört zu den gewichtigsten Aktivposten der deutschen Jazzwelt.
Schon rein äußerlich unterscheidet er sich vom Gros seiner KollegInnen; immer korrekt gekleidet, ja man möchte sagen „wie ein Herr“, pflegt er (das erleichtert ihm sein Instrument, das Vibraphon) auf der Bühne immer auch Blickkontakt zu ihnen.
Der Rahmen, den er stilistisch zieht, ist immens. Die Schnittstelle zur Neuen Musik - von anderen eher beschworen als durchdacht -, sie glüht, wenn er dort auftaucht. Und im Verein mit Jonas Westergaard, b, und Christian Lillinger, dr, taucht er dort oft auf.
Er kann´s aber auch, eher konventionell, mit Wolfgang Haffner, dr. Und wer hat den „Vater des easy listening“ (Bert Kaempfert, 1923-1980) jazzseitig promoviert? Christopher Dell.
Inklusive dieses Beitrages findet er allein bei JC vierundzwanzig Nennungen.
Von der formalen Bildung her bestens beglaubigt (promoviert & habilitiert, im Fach Städtebau!), aber auch erlebenspraktisch, hat die deutsche Jazzwelt in ihm zweifellos ihre größte intellektuelle Potenz.
Er kann klug reden. Und er wird der von seinen Sätzen gelegentlich betörten deutschen Jazzwelt darlegen können, warum er in seinem Projekt „das arbeitende Konzert“ den damit beschriebenen Prozess wider alle Anthropologie zum Subjekt erheben darf.
Christopher Dell erhält den SWR Jazzpreis 2025. Der von Joachim Ernst Berendt initiierte Preis der Rundfunkanstalt und des Landes Rheinland-Pfalz ist mit 15.000 Euro dotiert, und wird damit zum 45. Mal vergeben.
Die Preisverleihung und das Konzert mit dem Preisträger und seinen Trios DLW (mit Christian Lillinger und Jonas Westergaard) und DRA (mit Christian Ramond und Felix Astor) findet im Rahmen des "Enjoy Jazz"-Festivals am Mittwoch, 29. Oktober 2025, im BASF Gesellschaftshaus in Ludwigshafen statt.
JC gratuliert herzlichst, in einer Haltung, die es sich bei Michael Naura abgeschaut hat: auf Knien.
Foto: Gerhard Richter
erstellt: 12.06.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Bevor man ihn physiognomisch sicher identifizieren konnte, sprach von weitem schon das Instrument für ihn: die Cymbals hoch, sehr hoch; rechts das Ride-Becken, links ein China-crash.
Die Becken hoch, der Mann sitzt tief.
1972 wurde er von Davis berufen, als Nachfolger von Jack DeJohnette. Von dem er sich stilistisch hinreichend unterschied. Wir erinnern einen mächtigen Rockbeat, aber „federnder“ als der von DeJohnette.
Kaum vorstellbar, dass jenem Jahre später die schlanken patterns auf „The Man with the Horn“ (1980) und „We want Miles“ (1981) so von der Hand gegangen wären wie Foster, z.B. die snare-Akzente von „Back Seat Betty“ oder der Reggae von „Kix“.
Die „federnde“ Ästhetik von Al Foster, sowohl in binären (Funk) als auch ternären (swing) Grooves, darauf einigen wir uns sogleich mit unserem Trommlerfreund Frank Samba. Einem, dem das Markieren der Unterschiede genauso am Herzen liegt wie jazzcity.de
Und dann betont er noch ein anderes Spezifikum, eine Korrektur des von Ethan Iverson als „reverse hi-hat“ in die Debatte geworfenen weiteren signiture sounds von Al Foster. Zu kompliziert, um hier dargelegt zu werden, aber eben doch ein Detail, die spezifische hi-hat-Ästhetik, die wohl Ruf & Rang dieses Schlagzeugers miterklärt.
Der sein großes Renomee zahllosen sideman-Jobs und eben nicht den nur acht Unernehmungen unter eigenem Namen verdankt.
Ein Mann der Praxis, der weder Berklee noch eine andere Kaderschmiede des Jazz von innen gesehen hat, ein Autodidakt, geboren in der US-Provinz, aufgewachsen in Harlem.
Sein Plattendebüt war 1964 mit dem Trompeter Blue Mitchell, seine Karriere zieht einen weiten Bogen mit Stationen bei historischen Größen, bei Joe Henderson, McCoy Tyner, Sonny Rollins, Herbie Hancock.
Bei aller Vielseitigkeit, seine Vorliebe gehörte den swingenden Grooves. Und er, der als einziger mit Miles sowohl vor als auch nach dessen Rückzug aus der Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte der 70er gespielt hat, darf sich als Verdienst anrechnen, jenen, der nicht mehr swingen wollte, dann doch noch, auf „Amandla“ (1989), zu einem swinger überredet zu haben: zu „Mr. Pastorius“, gewidmet dem Monate zuvor verstorbenen Baßgitarristen.
Unter anderen Umständen wäre „Mr. Foster“ sicher treffender gewesen.
Aloysius Tyrone "Al" Foster, geboren am 18. Januar 1943 in Richmond/VA, starb am 28. Mai 2025 in New York City. Er wurde 82 Jahre alt.
tradin´ fours:
Cindy Blackman, Al Foster,
Tony Williams, Jimmy Cobb
erstellt: 30.05.25, korrigiert 31.05.25,
ergänzt 02.06.025
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Vor 76 Jahren, im Mai 1949, in Paris, in der Haupstadt der Liebe…
Ja, anders kann der Auftakt dieser Meldung nun wirklich nicht lauten.
Paris, in der Salle Playel, beim Festival International de Jazz.
Er spielt, er wurde gerade 23. Sie war 22.
„Michelle (die Frau von Boris Vian, Anm. JC) schleuste mich durch die Kulissen ein. Ich hab diesen Burschen von der Seite gesehen. Sehr schönes Gesicht. Ich spürte eine Harmonie zwischen der Person, den Gebärden und dem Klang der Trompete. Man musste kein Gelehrter sein, um zu merken, dass er bereits zu den ganz Großen gehörte. Wir sind dann in einer Gruppe von Leuten essen gegangen. Ich sprach seine Sprache nicht, er sprach meine nicht. Und doch … das Wunder der Liebe!“
So erzählt sie es, Juliette Gréco (1927-2020), fünfzig Jahre später einem Reporter von „Libération“; in, wie der Bayrische Rundfunk wispert, in diesen „sprachlich funkelnden Sätzen“.
Der schöne Mann, mit dem „Profil eines ägyptischen Gottes“, war, wie wir alle wissen, Miles Davis (1926-1991). Es hub an, damals im Mai, die wohl schönste Liebesgeschichte des Jazz, selbstverständlich eine amor fou.
Sie scheiterte, auch das ist vertraut, nicht allein aus persönlichen, sondern auch aus sozialen Gründen; an Umständen, die mit Rassismus treffend beschrieben sind.
Eine Geschichte, die nur darauf wartet, nicht mehr nur in Texform & Fotos zu ruhen, sondern wieder neu erzählt zu werden. Im Kino.
In Cannes machen derzeit Details die Runde. Demnach wird Damson Idris Miles Davis spielen und Anamaria Vartolomei die Gréco. Regie führt Bill Pohlad.
Zu den Co-Produzenten gehören Victoria Pearman und Mick Jagger (Jagged Films), der lexikalisch korrekt „begeistert“ ist, an einem Film teilnehmen zu können, der "unbestreitbar einem der einflussreichsten und wichtigsten Musiker des 20. Jahrhunderts“ gilt.
Viel aufregender ist, an wen die Filmmusik vergeben wird: an Robert Glasper. Der kann richtig was.
Die Chancen, dass er es auch wirklich tut, stehen 50:50.
erstellt: 14.05.25
©Michael Rüsenberg, 2025. Alle Rechte vorbehalten
Keith Jarrett wird heute 80.
Und das Großfeuilleton zeigt viel Lust & Laune, nach den großen Jarrett-Memorials dieses Jahres (50 Jahre „Köln Concert“, kurz danach der Film „Köln 75“) auch noch den runden Geburtstag zu würdigen.
Bei einem solchen Anlaß erwartet man zuvorderst den Jarrett-Biographen Wolfgang Sandner. Der komprimiert denn auch in der FAZ gekonnt Vita & Werk des Geburtstagskindes, ohne dessen Doppelbegabung zu übergehen: „Er war ein pianistisches Genie in beiden Genres, ein hochorigineller Jazzimprovisator und ein kompetenter Klassik-Interpret.“
Das Verb in der Vergangenheitsform; niemand vergisst zu erwähnen, dass Jarrett nach zwei Schlaganfällen 2018 nicht mehr in der Lage ist, je wieder auf einer Bühne oder in einem Studio die gepriesenen Eigenschaften zum Ausdruck zu bringen.
Dieser Künstler und dieser Anlaß; wie andere auch beliebt Sandner zu psychologisieren und leitet mit einer Janusköpfigkeit ein: „Es gab immer zwei Keith Jarretts. Der eine war höflich, empfindsam und introvertiert…“.
Und der andere? „Der (…) war brüsk, empfindlich und impulsiv, rücksichtslos gegen sich und die Umwelt, wenn es um Kunstdinge ging: ein öffentliches Monster am Klavier. Nur wenige hatten keine Angst vor ihm.“
(Menschenskinder, jetzt fällt uns siedendheiß ein, dass wir am 24.01.75 mit schlotternden Knieen in der Oper Köln Platz genommen hatten, wohingegen die damals frisch Angetraute vollkommen furchtlos wirkte.)
Ueli Bernays übergeht in einem ausführlich Stück in der NZZ ebenfalls nicht den „Bach-, Mozart- und Schostakowitsch-Interpreten“ Jarrett.
Leider begibt er sich aber auch auf das Glatteis von Jarrett-Aussagen und Jarrett-Metaphern; darunter jene, der Pianist selbst habe sich einmal „als Bauchredner charakterisiert, der gleichzeitig auch die Puppe verkörpern müsse.“
In diesem Zusammenhang habe er von seiner linken Hand „in der dritten Person Singular“ gesprochen. Das klingt im Original so:
„My left hand actually had knowledge that I wasn’t letting it tell me for years and years“ und dürfte die gerade in Zürich konzentrierten Musik-Kognitionswissenschafter erheitern.Auch Gregor Dotzauer, der schon den Siebzigsten ausführlich gewürdigt hat, macht im „Tagesspiegel“ seinen neuerlichen Glückwunsch mit einer steilen These auf. Er beruft sich auf den Jazzbassisten Ben Street, der Keith Jarrett „einen maßlos unterschätzten Musiker“ genannt habe.
Genau! Allen Menschen, die guten Willens sind, stehen nun die Haare zu Berge.
Und Dotzauer nutzt die kontraintuitive Empörung (wohl auch im Sinne von Ben Street), um ein Paradox zu beschreiben:
„Denn die Anbetung, die Jarrett seit einem halben Jahrhundert zuteilwird, korrespondiert mit einer tiefen Unkenntnis dessen, was sein breit gefächertes Genie ausmacht. Die unkritische Kanonisierung seiner Kunst geht einher mit einer Taubheit für ihre Details.“
Dotzauers rhetorische Frage („steckt in solch hilflosen Ehrerweisungen nur eine andere Form von Mystifizierung?“) zielt auf einen Kernbestandteil des großen Jarrett-Mythos´.
Er belässt es nicht dabei und zählt Merkmale des Jarrett-Stiles hervor: „An erster Stelle der ans Gesangliche grenzende Atem seines Spiels, der ihn noch in der virtuosesten Raserei trägt.“ Dann der harmonische Reichtum; die Jazz-Voicings; „die nicht nachlassende rhythmische Spannkraft insbesondere der linken Hand“ (da haben wir sie wieder). Sowie die Anschlagskultur.
Das alles sind Aussagen und Wertungen, denen man mehr oder weniger zuneigen, die man auch ablehnen kann, die alle aber anschlußfähig sind im Sinne eines Diskurses.
Der kräftigste downbeat aus diesem Anlaß, er kommt woher? Richtig, er kommt von der SZ, und dort wie erwartbar von Andrian Kreye. Er hat eine Wucht, nein, sprechen wir lieber von einem Absurditätspotenzial, womit er alle Sicherungen durchschlägt und sich unterirdisch verpieselt.
Es handelt sich um den frivolsten Ausschlag einer jüngeren Tendenz im SZ-Feuilleton, das Gewerbe, das von mehr oder weniger subjektiven Bekundungen lebt, ins Subjektivistische zu überführen.
Es tritt an ein Schreiber, der laut eigenem Bekunden „The Köln Concert nie durchgehört“ und den Pianisten „niemals live gesehen“ hat. Der meint, seine Voreingenommenheit und Beschränktheit (es geht ihm nur nur um das Köln Concert) als „Analyse der Abneigung“ auszuweisen, reiche zu einem satisfaktionsfähigen Feuilleton. Es reicht nicht mal zu einem zünftigen Pamphlet.
Wäre es umgekehrt denkbar, dass, sagen wir, die SZ-Kollegen Brembeck, Mauro, Schreiber, einen, sagen wir, runden Geburtstag von Wolfgang Rihm oder Helmut Lachenmann in dieser Qualität im Blatt berücksichtigten?
That´s Jazz! SZ-Jazz that is!
PS. Der NDR öffnet aus gegebenem Anlass sein Archiv und präsentiert einen stupenden Mitschnitt des Jarrett Trios aus dem 81. Jazzworkshop 1972; mit dem zwischendrin zum Sopransaxophon wechselnden Pianisten, einem gut auflegten Charlie Haden, b, sowie einem agilen Paul Motian, dr, der in großem Kontrast zu seinem Spätwerk spielt.
Nicht zu vergessen das eindrucksvolle Videointerview aus dem Jahr 2023 von Rick Beato mit dem linksseitig gelähmten Jarrett, der staunenswert mit der rechten Hand agiert.
Am 30. Mai veröffentlicht ECM einen weiteren Mitschnitt aus der Europatournee 2016: „New Vienna“.
erstellt: 08.05.25
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