BORDERLANDS TRIO Rewilder ********
CD 1
01. Cyclops Mountain (McPherson, Kris Davis, Crump), 02. Axoloti, 03. Gamelan Circuit, 04. Monotreme, 05. Tree Shrimp
CD 2
01. Lost Species, 02. Echidna, 03. Commerce Sunrise
Stephan Crump - b, Kris Davis - p, Eric McPherson - dr
rec. 24.03.2023
Intakt CD 416
„Rewilder“ (was immer der Titel bedeuten mag; Leo und Deep Learning kennen ihn nicht) ist ein Sonderfall in der umfangreichen künstlerischen Vita von Kris Davis.
„Es ist das erste Mal, dass ich mit einer Band ein drittes Album aufgenommen habe. Mit anderen Projekten mache ich eine Platte oder noch eine zweite, und dann ziehe ich weiter.“
Gut, dass sie diesen Pfad diesmal doch verlassen hat: „Rewilder“ ist nach „Asteroidea“ (2016) und dem nicht ganz so befriedigenden „Wandersphere“ (2020) das wohl beste Album des Borderland Trios.
Wer heute über the art of the piano trio spricht, kommt gar nicht umhin, dieses Ensemble aufs Ticket zu nehmen.
Wegen seiner spezifischen Klanglichkeit (z.B. präpariertes Piano, dann der cymbal-arme, sehr subtile drum-sound von Eric McPherson).
Gleichrangig damit seine strukturellen Eigenheiten. Dass die drei nichts vorher absprechen, gehört zum Tagesgeschäft nicht nur des Post FreeJazz (dem sie zugeordnet werden können; wobei ihnen jegliche Raserei fremd ist).
Es ist vor allem die Borderlands-eigene Qualität, improvisatorisch Strukturen zu schaffen, und zwar sehr nachvollziehbare, die große Bewunderung verdient. McPherson führt diese in den liner notes (jazzlike, aber nicht ganz zutreffend) auf „spontane Komposition“ zurück. Korrigiert sich auf Nachfrage aber zu der etwas offeneren Aussage:
„Es ist nicht komponiert in dem Sinne, dass es geschrieben wäre; es gibt eine kompositorische Haltung.“
So kann man sie halt auch beschreiben, die Voraussetzung für die große Improvisationskunst der Mitglieder dieses Ensembles: ihre große Erfahrung im Spiel miteinander.
„Es ist etwas Magisches mit uns Dreien“, beschreibt Stephan Crumb diese Voraussetzungen. Und dafür reichte dieser äußere Rahmen an jenem 24. Mai 2023 im Big Orange Sheep Studio in Brooklyn/NY: morgens ein, zwei Stunden Spielen, Essengehen, dann noch mal Spielen, „so lang gespielt, wie das Album lang ist.“ (Crumb)
Gut möglich, dass die wir die Stücke in der Reihenfolge hören, wie sie entstanden sind. Die ersten drei Stücke markieren in je unterschiedlicher Art einen Aufbruch, suchend, unentschlossen, es entfaltet sich kein tragender Gedanke, von einem Narrativ ganz zu schweigen. Ein Freund von uns wollte hier schon aussteigen.
Wir mussten ihm dringend raten, den track 4, „Monotreme“, anzusteuern.
Er beginnt in jener subtilen Zurückhaltung, die für Eric McPherson typisch ist. Viel Arbeit auf und an der snare, häufig rimshots.
Der Bass tritt hinzu, später fädelt sich das Piano ein. Rasch schält sich ein walking bass heraus, das primäre rhythmische tool, auf das sich das Trio häufig zurückzieht.
„Monotreme“ besticht über weite Strecken durch Permutationen dieser uralten Form. Kris Davis macht darüber, was sie will, streut ihre typischen Repetionsmuster, an einer Stelle ein Halbton-Intervall, das sequenziert wird. Die Rhythmusgruppe steigt um, Stephan Crumb setzt ein binäres Muster dagegen, greift kurz zum Bogen, arco - so etwas nennt man spontante Interaktion.
Auch „Tree Shrimp“ beginnt mit einem drum-Bass-Duo, nun noch pronocierter. Kris Davis kommt nun mit einem ganz anderen Sound, sie hat einige Saiten präpariert; es geht viel mehr als zuvor (“Gamelan Circuit“)wirklich in Richtung Gamelan, teilweise sogar in eine Anmutung a la E-Piano. Ein offener ternärer Groove etabliert sich. Was McPherson daraus macht, ist absolut delikat.
„Rewilder“ hat seine Mitte gefunden!
Und so geht das durchgängig weiter auf CD 2.
Das Praparieren von Piano-Saiten ist keineswegs neu in diesem Trio, das gab es schon auf „Asteroidea“. Aber nie zuvor hat Kris Davis sich dieser Technik so geschickt bedient wie hier. In „Lost Species“ treibt sie dieses Spiel im Sinne einer „Afrikanisierung“ so weit, dass man meint, sie habe hier im overdub-Verfahren später noch eine Spur darüber gelegt - nicht vereinbar mit dem Produktionsethos eines solchen Trios.
Das alles wiederum ereignet sich über einem extrem wandlungsfähigen walking bass, was für eine Grundierung!
Dann „Echidna“ und „Commerce Sunrise“, da ist kein Suchen mehr, die drei sind und bleiben auf Flughöhe. Alles, was kommt, wird aufgegriffen, gedreht, gewendet, rhythmisch ausgelotet - eine Feier der Interaktion!
erstellt: 09.05.24
©Michael Rüsenberg, 2024. Alle Rechte vorbehalten