Wo ist der Platz der Pianistin?
Na wohl wo, wenn nicht am Piano oder am Flügel!
Aber wo genau?
Für die allermeisten im Jazz sind es die Tasten, das Manual.
Nur gelegentlich erheben sie sich und greifen in den geöffneten Resonanzraum, in die Saiten; in letzter Zeit zunehmend. Das Präparieren des Flügels - gemeint das Befestigen von allerlei Gegenständen an den Saiten, eine Technik der Neuen Musik - wird von mehr und mehr JazzpianistInnen als klangbereichernd erkannt.
Marlies Debacker gehört zuvorderst dazu. Obwohl, niemand hat bis dato einen Jazzakkord oder eine II-V-I-Verbindung von ihr gehört, in der Öffentlichkeit.
Gleichwohl wird sie (auch) in der Jazzszene gefeiert, die ästhetische Brücke dorthin trägt den Namen Improvisation.
Nur, dass ihr Handwerk wiederum in keinem Jazz-Improvisationskurs so gelehrt wird.
Vor vier Wochen, gleichfalls im Stadtgarten Köln, in Stefan Schöneggs Trio Enso, nimmt sie nicht für eine Minute auf dem Klavierhocker Platz. Eine Dreiviertelstunde schlägt sie nicht eine Taste an.
Vornübergebeugt verrichtet sie eine Tätigkeit im Resonanzraum des Flügels. Man braucht einige Zeit, um das klangliche Produkt ihrer kaum merklichen Handbewegungen zu erfassen. Den Widerhall von drei gestrichenen Basstönen, die dort eintreffen, (drei Töne im Laufe einer Dreiviertelstunde), verlängert sie mittels 9-Volt-Batterien, sogenannten e-bows, als Schwingungsverstärker zu einem ätherischen Liegeklang, einem drone.
Vier Wochen später ist das Verhältnis von Sitzen und Stehen ausgeglichen. Ihr Handwerkszeug (auch e-bows wieder darunter) aber völlig anders, von einem Blatt Knisterpapier bis hin zum Holzhammer. Ja, ganz recht, gezielte Schläge damit auf Saiten in tiefer Lage erzeugen die Illusion eines großen Klangraumes, Glockenklang-ähnlich, in dessen Mitte ein kleines Feuer lodert - aus den Krissel-und Fissel-Klängen von Lionel Marchetti.
Das Treffen von Marlies Debacker (im Rahmen ihres Stipendiums als NICA-Künstlerin) mit dem Elektroniker aus Lyon, auch bekannt als Repräsentant der musique concrète, gerät zur Lehrstunde in Sachen Improvisation mit mechanischen und elektronischen Musikinstrumenten.
Die Jazzpolizei hätte sich gewünscht, ohne nun namentlich werden zu wollen, den einen oder anderen Synthiespieler aus dem Jazz im Auditorium zu sehen. Schlichtweg der Inspiration wegen. Um einen Instrumentalkollegen (aus einem anderen Lager) zu erleben, der nicht umständlich den nächsten Sound sucht, während der eine erklingt.
Lionel Marchetti ist ein Handwerker par excellence! Sein komplett analoger, kleiner Fuhrpark besteht aus nichts weiter als einem 1 1/2-Oktaven Bass-Synthesizer (den er nie mit den erwartbaren Mustern füttert) sowie einer Reihe klang-transformierender Kleingeräte. Alle mit Drehschalter! Das ist wichtig, denn Marchetti zelebriert das Schalten, Drehen & Anschlagen in großer Gestik.
Man soll gerne auch optisch nachvollziehen, dass da einer kann, was er will.
erstellt: 26.11.24
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