Eigentlich wollte die Jazzpolizei das neue Jahr, auch krankheitsbedingt, ganz ruhig angehen. Und zum Beispiel mal bei Sebastian Gramss States Of Play im Loft, Köln, vorbeischauen; einfach mal so, ohne Bericht zu erstatten.
Es kam anders.
Das Entzücken war so groß, dass es die Jazzpolizei nicht bei sich behalten will.
Sonntags beginnen die Konzerte im Loft um 18 Uhr. Um 19 Uhr ein zufälliger Blick auf die Uhr: Wahnsinn, schone eine Stunde vergangen!
Und was hatten wir bis dahin schon alles gehört.
Material aus früheren Alben, auch aus dem bemerkenswerten „Message to Outer Space“, sowie neue Stücke.
Hernach standen wir beisammen mit zwei Kölner Musikern. Der eine mit eigenen praktischen Spielerfahrungen mit dem Bandleader Gramss wie auch mit Leonhard Huhn, as. Dass der bruchlos Hayden Chisholm, den Saxophonkollegen vom obigen Album vertritt - für ihn keine Überraschung.
Er kennt also vieles, er sieht seine Erwartungen aufs Vortrefflichste bestätigt.
Dem anderen ist Gramss als Bassist, aber weniger als Bandleader vertraut; er ist überwältig von der kompositorischen Tiefe und spricht von Elementen des Jazzrock, die hier fortentwickelt werden.
Beide betonen übereinstimmend die komplexe Linienführung, die aufwärts gerichteten glissandi in einem Stück, die nicht aufzuhören scheinen, weil immer eine(r) aus dem Ensemble neu damit einsetzt.
Und dann vor allem das Markenzeichen der Gramss-Musik, das an diesem Abend deulicher als sonst hervorzutreten scheint: die Tempo-Variationen. Das sind nicht die üblichen Tempowechsel des Jazz, mal double time, mal halftime, dann wieder zurück über das gleiche Segment in der Form.
Nein, hier herrscht ein irrwitziges Spiel mit Temposchwankungen: Beschleunigen (accelerando) und Verlangsamen (ritardando) nur für wenige Töne.
Der kluge, flächige Einsatz von zwei E-Pianos (plus Synthies), die frontline (Leonhard Huhn, as, Shannon Barnett, tb), die keineswegs durchgängig die Themen vorträgt, manchmal auch verteilt auf Posaune und keyboard (Philip Zoubek).
Diese permanente Stimmverteilung hat wenig Raum für Improvisation, sie hat aber Platz für einen Song von Shannon Barnett (die sich immer deutlicher auch als Sängerin profiliert); er erscheint wie ein Teil einer Suite, weil er fast unmerklich im nächsten Liniengeflecht aufgeht.
So kann 2024 gerne weitergehen.
erstellt: 29.01.24
©Michael Rüsenberg, 2024. Alle Rechte vorbehalten