Die Free Improvised Music - das zeigt sich auch auf der Cologne Jazzweek - geht nicht selten middle of the road.
Sie hat - um einen Begriff aus einem ihrer Zuströme auszuborgen - einen Mainstream ausgebildet.
Im Gegensatz zum Mainstream des Jazz sind bei ihre Spreu & Weizen schwieriger zu trennen. Für einen guter Blues, eine gelungene Standard-Interpretation lassen sich Referenzen benennen, die FIM aber folgt keiner AABA-Form - eine jede Performance kreiert spontan ihre eigene Form. Und damit im Prinzip ihre eigenen Kriterien der Bewertung.
Hier öffnet sich eine Falltür, auf deren Grund die alte Erkenntnis aus der TV-Geschichte lauert, aus Werner Höfers „Frühschoppen“, nämlich: 5 Journalisten - 6 Meinungen.
Gleichwohl hat sich in Jahrzehnten Beschäftigung mit der FIM ein Fundus an Erfahrungen gebildet, eine Gewöhnung an Verläufe, an Dynamik & (abstrakter) Thematik. Sie erlaubt zumindest, das Abweichende, das Ungewöhnliche zu erspüren.Bei MOCH im Loft wartete man lange darauf, schließlich vergebens.
Die universalistische Bedeutung des Bandnamens für „alle, alles“, hergeleitet aus einer indigenen Sprache Mexikos, schafft schon mal eine in unserer kleinen Welt semantisch beliebte Stimmung, die good vibes.
Nicht nur metaphorisch, sondern instrumental, am Vibraphon, ist Patricia Brennan zurecht gefragt, zuletzt beispielsweise bei John Hollenbeck.
Mit anderen Worten, sie kann richtig was. Joel, ihr Ehemann (oder Bruder?), begleitete sie am Schlagzeug. Mehr war es nicht.
Und was ein „mehr“ hätte sein können (bereichert etwa um sonic art, wie das Programmheft verspricht und worauf insbesondere die Jazzpolizei neugierig war), erwies sich als ein Herumstöbern in sounds, wie sie kleine Synthies früher vorspielten, nachdem man sie gerade ausgepackt hatte.
Keinerlei ironische Brechung oder Weiterverarbeitung, wie man sie an den Vortagen von Koichi Makigami erfahren durfte.
Solcherlei gimmicks waren auch später dann Signale des Individuums Noel Brennan für die „Gruppe Gleichgesinnter“, die nach der Pause um Trevor Dunn, bg, und Alexander Hawkins, p, erweitert wurde.
Sie wirkten wie showstopper in einem Herummäandern, in dem niemand, nicht mal ein Alexander Hawkins, Impulse zu setzen vermochte. Das Ganze versandete als weniger als die Summe seiner Teile.
Danach schnell durch den Regen ins nahe artheater, es war die Ehrenfeld Night, der fünfte Tag der Cologne Jazzweek. Hin zu Laura Jurd.Die britische Trompeterin Laura Jurd genießt seit 2019, seit ihrem konzeptionell überragenden Album „Stepping back, Jumping in“ bei JC eine großen credit.
Von diesem aufregenden Hybrid aus Rock´n´Roll, Streichquartett, aber auch Mikrotonalität hat sie sich verabschiedet, ihre Performance beim Jazzfestival Münster 2023 war deutlich bescheidener dimensioniert.
Ihr Auftritt in Köln, im Umfeld des in Kürze erscheinenden Albums „Rites & Revelations“, dann noch nochmals basaler intendiert:
„Ich möchte, dass die Menschen etwas Ursprüngliches spüren, so wie alte Volkslieder etwas in uns berühren, das uns angeboren ist.“
Ihre Perspektive, anglo-irische Folklore, ist im britische Jazz nicht gerade üppig ausgearbeitet; Spurenelemente finden sich bei John Surman oder Huw Warren.
Im Pop oder Rock hat sich über Jahrzehnte ein üppiges Feld ausgebreitet, man denke nur an die glorreichen Zeiten von Pentangle, The Strawbs, Fairport Convention oder Richard Thompson bis heute.
Bei Laura Jurd, soviel schälte sich rasch heraus, durfte man nicht sogleich Jigs & Reels erwarten, ihr Zugriff ist ein weniger manifester - aber einer, der die Vitalität der historischen Referenzen gleichsam hinter Milchglas stellt. Corrie Dick ist dabei, der langjährige Schlagzeuger ihrer und auch von Projekten ihres Ehemannes Elliott Galvin, eine Bratscherin (Cori Smith) sowie eine Gitarristin (Tara Cunningham). Insbesondere letztere verlor bisweilen das Momentum, wie überhaupt es der gesamten Performance an etwas Wesentlichem mangelte: an der Dringlichkeit einer/ihrer Mitteilung.Ein Abschluss der fünften Cologne Jazzweek (bei diesem Simultan-Festival hätte es auch ein Besuch des Konzertes der Flötistin Jorik Bergman anlässlich der Verleihung des Horst & Gretl Will-Stipendiums für Jazz/Improvisierte Musik im Stadtgarten sein können) in der neuen, unter Musikern sehr beliebten Spielstätte, dem Kammermusiksaal des DLF.
Kit Downes mit Snap II. Fortführung eines im Bim Huis Amsterdam initierten Projektes (und vom dortigen Leiter Frank van Berkel als Mitglied des Kuratoriums für die Jazzweek vorgeschlagen).
Ein 50-Minuten-Konzert - im Gegensatz zum Orgel-Solo zwei Tage zuvor im Kölner Dom - zwei lange Stücke unter deutlicher Struktur von Komposition. Das zweite davon, „Cherry“, gewidmet Don Cherry (1936-1995), in seiner Hymnen-Melodik als entfernte Hommage erkennbar. Ohne Trompete, aber mit mehrfach beeindruckenden Dialogen der „Tenöre“ Camila Nebbia und Otis Sandsjö. Robert Landfermann ersetzte den verhinderten John Edwards am Kontrabaß.
Und schließlich, der Horst & Gretl Will-Stipendiat von 2023, Fabian Dudek, mit … einer Fortführung seines damaligen Projektes „Day by Day“, nun unter … „Night by Night“.
Wie damals ein Doppeltrio plus Bandleader (ss, as) und ein achtes Mitglied, Gitarrist Arne Braun (ihm fällt im späteren Solistenreigen eine dynamisch-exponierte Rolle zu).
Wie damals führt die visuelle Assoziation eines Doppeltrios (Ornette Coleman Prime Time) akustisch nicht weiter, die stilistische an Miles Davis „Bitches Brew“, peu a peu, aber sehr viel mehr als zwei Jahre zuvor.
Der Pfad führt in den Jazzrock, mit deutlichen Ergänzungen zu 1969. Damals gab es keinerlei Elektronik, hier liftet Felix Hauptmann nach einer halben Stunde mit einem gezielten Synthie-Solo (haben wir da Zawinul-Zitate gehört?) den Dynamik-Pegel deutlich nach oben.
Der Bandleader startet das 50-Minuten-crescendo vom Sound her ein wenig a la Michael Brecker mit seinem EWI-Windcontroller, technologisch aber ganz anders. Er hat sein Sopransaxophon mit einer Kette von Effekten im Laptop verschaltet.
Später wechselt er zum Alt, doppelt mehrfach kurze Themen mit der Gitarre; es sind kurze Relais in einem gewaltigen, kollektiven Strom der Improvisation, mit solistischen Spitzen.
Robert Landfermann hält und variiert ein ostinato (auf der Baßgitarre!), die Fortführung von „Bitches Brew“ wäre auch darin zu erkennen, dass „Night by Night“ nicht modal abläuft, sondern einer harmonischen Struktur folgt.
Der Dynamikverlauf aber ist viel expressiver. (Wurden schließlich 100 db erreicht? Ein DLF-Techniker verneint.)
Das schließliche decrescendo ist noch mal wieder ein Klasse für sich: ein kollektives Ausatmen nach dem rauschhaften Höhepunkt.
That was the Week that was. Die fünfte Cologne Jazzweek hat auf 50 Konzerten mit 10.500 Besuchen nochmals zugelegt. Das ist Rekord; darunter viele Besucherinnen, unter den 250 Ausführenden auf den 21 Bühnen viele Musikerinnen.
Sie hat neue Spielstätten gefunden, u.a. den Dom, den sehr geeigneten DFL-Sendesaal, das Japanische Kulturinstitut sowie das (akustisch problematische) Foyer des Museums für Ostasiatische Kunst (das Italienische Kulturinstitut gegenüber böte sich an).
Dank Doppelhaushalt der Stadt Köln erübrigt sich das Bangen um das Wie Hoch und das Ob öffentlicher Zuschüsse für die Ausgabe 6:
„Die nächste Cologne Jazzweek findet vom 29. August bis 4. September 2026 statt.“
Foto: Gerhard Richter (Jurd)
erstellt: 06.09.25
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