Deutscher Jazzpreis 2025 in Köln

Die Verleihung des Deutschen Jazzpreises ist nicht die des Bayerischen oder die des Deutschen Filmpreises, von Grammy oder Oscar ganz zu schweigen. Die Glamourfaktoren derer sind aus anderen Welten.
Damit wird die Notwendigkeit deren kleinerer Variante, das chichi, nicht in Abrede gestellt. Es gehört dazu, wenn eine Szene ihre (vermeintlich) Besten feiert, und damit auch sich selbst. Ebenso wie der Superlativ für dieses & jenes.
Wenn aber das Lob eingangs für fast eine jede Handbewegung durch die Decke schiesst, schwillt unkontrolliert auch der unschöne Bruder solcher Momente an: der Peinlichkeitsfaktor.
Man mochte ungern mit den Moderatoren im Kölner E-Werk tauschen, mit Hadnet Tesfai und Götz Bühler. Sehr früh und mehrmals sahen sie sich bemüßigt, die Anteilnahme des Publikums im Kölner E-Werk auf Flughöhe zu bitten.
Vielleicht sollten sie ihre Performance in dieser Hinsicht überdenken. Zum Beispiel die Elogen auf Personen, die doch als LaudatorInnen lediglich PreisträgerInnen anzukündigen haben; dabei aber nur selten über gestanzte Formulierungen hinausgelangen und noch weniger spezifische künstlerische Ansätze herausstellen.
Das Jazzbild, das sie dabei zeichnen, das diese Veranstaltung propagiert, ist - vorsichtig gesagt - ein historisch nicht ganz korrektes. Es lässt sich vielleicht (Achtung ganz schiefes Bild) vergleichen mit den divergierenden Eindrücken, die man gewinnt aus der sonntäglichen Predigt in irgendeiner Pfarrkirche gegenüber denen aus dem Diskurs aus einem theologischen Seminar.Deutscher jazzpreis sonic interventions   1

Das gewissermaßen Alttestamentarische im Jazzbild des Deutschen Jazzpreises 2025 entpuppte sich in der ersten (von wenigen) Musikperformances durch Sonic Interventions (ein 13köpfiges Ensemble, das später unter „Newcomer:in des Jahres“ prämiert wurde). Es zog alle, wirklich alle visuellen Register eines Jazzmythos´, den die aktuelle Jazzforschung zunehmend und überzeugend in Frage stellt:
ein schwarzer Tänzer, schmerzbewegt in Ketten; das Ensemble mit verklebten Mündern und verbundenen Augen. Nach einem plagalen Schluss dreht sich die Musik, der Tänzer streift die Ketten ab, die Ensemblemitglieder befreien sich von ihren Behinderungen: "Revolution".
Als einzige unter den Preisträgern aus 22 Kategorien zeigten sich Sonic Interventions aus Berlin hernach bestens vorbereitet für das die Trophäengabe anschließende rituelle „Dankeschön“.
Die meisten der Ausgezeichneten, man kann´s ihnen nicht verübeln, trauten sich nur selten mehr zu als einen Dank an die KollegInnen, das Label, die Agentur, auch an die Eltern („…ohne sie wäre ich nicht hier“). Ingrid Laubrock brachte diese Momente der Verlegenheit auf den Begriff: sie würde an dieser Stelle lieber Saxophon spielen als reden (dass sie es doch tat und obendrein mit einer erstaunlichen Volte, dazu später mehr).
Lediglich Sonic hatten sich auf diesen Fall vorbereitet, sie hatten ein regelrechtes Manifest in petto, das von zwei aus ihrem Kreis mit verteilten Rollen vorgetragen wurde. Zum einzigen Mal an diesem Abend taucht darin der Begriff aus dem aktuellen Jazzdiskurs auf - freilich in der überkommenen Lesart „Jazz since its birth in the African-American Diaspora“. Der kleine Vortrag schliesst unvermittelt mit „stop the genocide“.
Auch Moderator Bühler wird sich später in seiner Verabschiedung zu einer ähnlichen politischen Duftnote veranlasst sehen:
„Wir stehen solidarisch auf der Seite aller zivilen Opfer dieses Konflikts, auch der israelischen Geiseln. Das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza und darüber hinaus ist schrecklich und bewegt uns sehr“.
Wer mag da widersprechen, sich gar unwohl fühlen?
Bühler hatte lediglich einen ausgewogenen, gleichsam aktuellen Deckel auf das überholte Narrativ gelegt, das bei zunehmendem Beifall durch den Abend  mäanderte. In der Grundform trug es die US-Laudatorin Karen Kennedy vor (die, auf Tips aus ihrer Tätigkeit als Managerin angesprochen, kreuzbrave Binsen von sich gab):
„In Amerika machen wir das viel zu selten, aber Jazz ist eine amerikanische Kunstform, und ich muss noch Deutschland kommen, um das zu feiern“.
Sagt eine US-Managerin, die sich pudelwohl in Köln fühlt, aber von den Jazzgewächsen in diesem Teil der Welt offenbar keine Vorstellung hat.
Deutscher jazzpreis sera kalo   1Unter diesem Dach fand auch der afro-amerikanische Essentialismus Platz, wie ihn die Preisträgerin „Vocal“, Sera Kalo, vom Zettel las:

Jazz was born from revolutionaries who weren´t always welcome in institutions like these“.
Wer und welche Institution damit gemeint sein mochten, blieb nur für einen sehr kurzen Moment offen:
overlooked in many german jazz-classrooms: the diversity of black culture“.
Hier traf sich Kalo mit ihrem Laudator Vincent Bababoutilabo, der schon beim 17. Darmstädter Jazzforum (2021) die seltsame Frage gestellt hatte:
„Warum verschwindet das Erbe der Schwarzen Befreiungsbewegung, wenn sich Instititutionen der sog.´westlichen Hochkultur´ Schwarze Musik aneignen? Um dies zu verstehen, müssen wir über Rassismus sprechen“.
Bababoutilabo hielt sich im E-Werk zurück, führte hier nur (Subentions)Klage im Sinne von „Jede Kürzung der Jazzszene ist auch eine Kürzung von Weltoffenheit“.
Als ein Ausweis jener Weltoffenheit galt lange, angefangen mit Rolf Kühn in den 50er Jahren, die erfolgreiche Präsenz deutscher KünstlerInnen im „Mutterland“ des Jazz. Leuchtendes, gegenwärtiges Beispiel dieser Entwicklung ist die Saxophonistin Ingrid Laubrock aus dem Münsterland (nebenbei: eine von einer Handvoll sehr berechtigter Ausgezeichneter 2025).
Vermutlich weil sie seit Jahren erfolgreich in der „Haupstadt“ der Gattung, in New York City, reüssiert, ließ sie sich spontan zu einer Hommage auf ihre neue Umgebung hinreissen:
I would like to thank black american creativity for putting this music into this world because we would not be here without this“.
Das kam gut an in der Halle. Und die Intuition des alltäglichen Jazz-Medienkonsums, ohne Eintauchen in die Historie der Gattung (von der nicht mehr klar ist, wo sie beginnt und wo sie aufhört) spricht ja auch dafür.
Repräsentanten der aktuellen Jazzforschung, namentlich die der diasporic jazz studies, hätten sich freilich gewundert, dass die Präsentation eines deutschen Jazzpreises sich dermaßen unter den symbolischen Schutzschirm der Amerikaner begibt:
„In den diasporischen Jazzstudien gibt es kein Bestreben, zu einem Zentrum zurückzukehren oder die Zentralität eines US-amerikanischen Heimatlandes in entfernten globalen Kontexten aufrechtzuerhalten“.
Diese Forscher stellen mehrheitlich den „amerikanischen Exzeptionalismus“ in Frage. Einer ihrer Pioniere, Bruce Johnson (AUS), wird häufig zitiert mit dem de-zentralisierenden Slogan „Der Jazz wurde nicht 'erfunden' und dann exportiert: Er wurde erfunden, während er sich verbreitet“ (mehr über die diasporic jazz studies demnächst auf den Buchrezensionsseiten von JC).
Man würde sich wünschen, dass die Erkenntnisse aus dem weltweiten Jazzdiskurs wie Manna auf die Kanzeln dieser Art Jazzverkündigung fielen.
Dass zumindest aber bei einer solchen Gelegenheit Vertreter der deutschen Jazzausbildung dem absurden Verdacht des „racism in the jazz-classroom“ entgegenträten. Mit Eva Klesse als „Künstlerin des Jahres“ war eine Vertreterin der Jazzausbildung an 18 deutschen Musikhochschulen präsent - ohne die, neben ihren Eltern, viele der Prämierten ganz gewiß nicht dort stünden.
Deutscher Jazzpreis   Fischer Bruning   1Kurz vor Schluß der dreistündigen Show fiel das spotlight auf eine der in einem neuen reader dargestellten Diasporas, die DDR.
Es stand an die Ehrung in einer Kategorie, die sinnvollerweise nicht debattenwürdig zu sein hat: der Ehrenpreis für ein Lebenswerk, hier für die Sängerin Uschi Brüning, 78.
Vor drei Jahren nahm sie an dieser Stelle bereits den Preis für ihren Ehemann Ernst-Ludwig Petrowsky (1933-2023) entgehen, jetzt wurde sie selbst zum Subjekt einer Laudatio, durch den Pianisten/Komponisten Günther Fischer, 81. Der nahm sich viel Zeit darzulegen, wann er Brüning kennengelernt habe und was sie auszeichne.
Es war für den Zuschauer ein angenehmer Positionseffekt. Fischer zeichnete das Bild einer anderen Zeit, er musste nicht "Gaza, Sudan and now LA" dazu bemühen.

PS: Deutscher Jazzpreis 2025, die PreisträgerInnen
Fotos: Robert Winter
erstellt: 13.06.25
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