That´s Jazz? - That´s Feuilleton! (50)

Ginge es um ein Stück Jazz, man würde die bange Frage stellen: kann das Thema halten, was dieses Intro verspricht?
Störenfriede: Jazz, Protest + Revolution“.
Unter keinem geringeren Motto feierte die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig den Erwerb des Archivs der Jazzwerkstatt Peitz, eine mehr als tausend Medien umfassende Sammlung aus Plakaten, Programmzetteln, Fotos, Korrespondenzen und Audiomaterial des auch als „Woodstock am Karpfenteich“ apostrophierten Festivals, 1982 nach knapp zehn Jahren von der SED verboten, ab 2011 wieder aufgenommen.
Laut FAZ (27.09.24) wirft das Konvolut „nicht nur ein besonderes Licht auf die Vorgeschichte der Friedlichen Revolution von 1989, es zeigt auch paradigmatisch, welche kulturellen Praktiken in autokratischen Systemen möglich sind“.
Auch Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, ließ seine bekannte Jazz-Affinität in Richtung bringen, um gen Leipzig „in einer ausführlichen Video-Grußbotschaft (…) die Freiheitsidee im Jazz stark zu machen.“
„Gerade in Zeiten fortschreitender Demokratiegefährdung gehe es darum, das freiheitlich-demokratische Lebensgefühl, wie es dem Jazz innewohnt, zu reaktivieren“.
Das ist noch Intro, ebenso die für seine Verhältnisse sanfte Forderung des Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk in einem der "hoch-karätig" besetzen Panels, „ein historisch akkurates Bild des Festivals in den vielen subtilen grauen Schattierungen zu malen“.*
Noch ist das Thema ja gar nicht intoniert, noch hat die in solchen Fällen übliche „kritische Forschung“ die Archivalien gar nicht in Augenschein genommen.
Ob sie dabei wohl auch die wohlfeile Revolutionsmetapher wird unterfüttern können?
Wer bei Rüdiger Ritter von den extrem divergierenden Vorstellungen von „Freiheit“ liest, noch dazu dass in keinem einzigen der zahlreichen Aufstände in den Ostblockstaaten Anhänger des Jazz-Milieus auftauchten („wenigstens nicht in zentraler Stellung“), der dürfte das kommende Thema in kaum mehr als „in a mellow tone“ erwarten.
Gleichwohl war man schon trunken in Leipzig. So wurde in dem begleitenden Konzert die „Neudeutung“ von John Coltranes „Ascension“ durch Wolfgang Schmidtke (an der es auch aus der Ferne sicher nichts zu bekritteln gab) von der FAZ als „musiksoziologisches Statement“ gefeiert.
Mögen den künftigen Erforschern des Archivs der Jazzwerkstatt Peitz solche Kategorienvelwechsrungen nicht unterlaufen.

erstellt: 27.09.24
©Michael Rüsenberg, 2024. Alle Rechte vorbehalten

*(PS, 30.09.24) Kowalczuks Panel-Präsenz in Leipzig verwundert, als er noch vor wenigen Monaten, als Vorwürfe auftauchten, einer der beiden Peitz-Gründer sei Stasi-IM gewesen, gegenüber der taz (15.06.24) resignativ sich empörte: „Aber jetzt glaube ich Blobel gar nichts mehr.“
Dabei hält er ihn keineswegs für einen bedeutenden Täter, („Das ist keine Akte eines IM, der unentwegt moralisch zu verurteilende Arbeit geleistet hat“, denn “klar mussten solche Sachen wie in Peitz auf allen Ebenen abgesichert werden.“)
„Free Jazz liebte ich in der DDR, weil er der perfekte Ruf nach Freiheit, der ideale Ausdruck von Freiheit in der Diktatur war. Und nun das!“
Klingt als habe der Historiker Kowalczuk damit sich selbst einen Forschungsauftrag erteilt.