Es ist durchaus nicht so, dass wir nicht auch im deutschen Sprachraum über profilierte Sprachkritiker verfügten.
Erinnert sei, aus jüngerer Zeit, an den hochmütigen Wolf Schneider (1925-2022). Bastian Sick (geb. 1965) füllt Hallen, und gerade erst ist der filigransten einer von uns gegangen: Hermann Unterstöger (1942-2025), bekannt durch tausende „Streiflicht“-Glossen für die SZ, zuletzt für das Blatt in einem selbstkritischen „Sprachlabor“ tätig, „die letzte Instanz in Fragen der geschriebenen Sprache“ (Kurt Kister).
Unterstöger war, mehr intern, auch beliebt als „ein begabter Posaunist“. Es ist nicht bekannt, wieviel Spielluft er für den Jazz erübrigt oder ob er seine Sprachlupe auf die Publizistik des Genres gerichtet hat - wahrscheinlich zu unser aller Glück.Die Amerikaner haben John McWhorter, 59.
Der Linguist an der Columbia University untersucht einmal in der Woche in der New York Times, „wie Ethnie und Sprache unsere Politik und Kultur prägen.“
Das hat denn doch, inhaltlich und medienlogistisch, eine andere Dimension.
In seinem letzten Buch („Die Erwählten. Wie der neue Antirassimus die Gesellschaft spaltet“, 2022) beschreibt er seinen Status unschamhaft korrekt:
„Wäre dieses Buch von einer weißen Autorin oder einem weißen Autor geschrieben, würde es ungeniert als rassistisch verurteilt.“
In einer seiner letzten NYT-Kolumnen verliert er kein einziges Wort über Jazz.
Aber er räumt auf mit einem Begriff, den viele (und darunter wiederum viele, die es nicht besser wissen) für ein Synonym des Gattungsnamens halten.
„It’s Time to Let Go of ‘African American’“, schreibt McWhorter, „es ist an der Zeit, den Begriff ´Afroamerikaner´ loszulassen.
Den Anlaß für sein Plädoyer bot Zohran Mamdani, 33.
Der Kandidat der Demokratischen Partei für die nächste Bürgermeisterwahl in New York City hatte in einer College-Bewerbung seine Abstammung als „Black or African American“ angekreuzt.Mamdani ist in Kampala geboren, seine Eltern stammen aus Indien.
„Als Mann südasiatischer Abstammung, der den ersten Teil seines Lebens in Uganda verbracht hat, war es sein gutes Recht, sich als Afroamerikaner zu bezeichnen“, findet McWhorter.
Viele Schwarze, so betont er, hätten den Begriff allerdings nie gemocht, „und es werden immer mehr“.
In den 80ern habe er in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden, promoviert vor allem durch den Rev. Jesse Jackson, 83.
1980 hätten in den USA 200.000 Menschen gelebt, die in Afrika geboren wurden, inzwischen seien es 2,3 Millionen (2023).
„Heute werden also Menschen, die in Afrika geboren wurden, ihre Kinder, die hierher gezogen sind, und Schwarze, deren letzte afrikanische Vorfahren vor Jahrhunderten gelebt haben, mit dem Begriff Afroamerikaner so behandelt, als ob sie alle in dieselbe Kategorie fallen würden, und so in eine einzige Bezeichnung für eine verwirrend unterschiedliche Gruppe von Menschen gezwängt“ (McWhorter).
Und nun folgt eine völlig unspektakuläre Beobachtung, die insbesondere das europäische Verständnis des Begriffes richtig durchschüttelt: es leben nämlich auch Afrikaner in Amerika - die keine Schwarzen sind.
„Auch Weiße, die beispielsweise aus Südafrika oder Tansania stammen, können sich zu Recht als Afroamerikaner bezeichnen“, unterspült McWhorter unsere liebgewonnene Vorstellung. Vulgo:
„Ein Begriff, der beschreibend sein soll, sich aber auf Cedric the Entertainer, Trevor Noah, Elon Musk und Zohran Mamdani beziehen kann, ist ein wenig albern.“
Kurzum: „In dem Maße, in dem ´Afroamerikaner´ die Wahrnehmung dessen, was ´Schwarz´ bedeutet, verändern sollte, hat nicht funktioniert“ (möglicherweise hat McWhorter zu wenig in das Columbia-Jazzdepartment hineingehorcht).
Kaum vorstellbar für ihn, dass viele schwarze Amerikaner sich einfach als „Afrikaner“ bezeichnen wollten - analog zu den italienisch-stämmigen Amerikanern, die sich kurz „Italian“ oder den asiatischen, die sich „Asian“ nennen.
Mamdami und „Menschen aller Schattierungen, die in Afrika geboren wurden“ (Musk führt er nicht auf, aber er ist implizit gemeint) sollen sich gerne Afroamerikaner nennen dürfen.
„Aber)… - und jetzt folgt die Volte - „…hier sind die Nachkommen afrikanischer Sklaven im Laufe der Jahrhunderte zu etwas anderem geworden - und ich hoffe, dass sie stolz darauf sind. Im amerikanischen Sprachgebrauch sind wir schwarz. Und stolz. Und (Sie wussten, dass es kommen würde) wir sagen es laut.“
Wohlgemerkt, John McWhorter äußert sich zu Praktiken der Alltagssprache, er sagt nichts zu Jazz, überhaupt gar nichts zu Musik.
Wir ahnen, nähme er nun den thematischen twist vor, wohin er nicht ginge. Er ginge gewiss nicht in die Region, worüber jazzideologische Hinterbänkler wie Nicholas Payton oder Orrin Evans das Banner Black American Music gespannt haben.
Er wüsste sich vor der Gleichsetzung von Hautfarbe mit Musikfarbe zu hüten.
Und wir hätten dazu auch eine Begründung von Philip Tagg (1944-2024) parat:
„Sehr selten werden musikalische Belege angeführt für die spezifische Hautfarbe oder den kontinentalen Ursprung der Musik, um die es geht; und wenn Belege angeführt werden, erscheinen sie mir aus musikwissenschaftlicher Sicht meist ziemlich fadenscheinig.“
(in: Open Letter about ‘Black Music’, ‘Afro-American Music’ and ‘European Music’, 1989)
Foto: Mandami © Dmitryshein - CC BY 4.0
erstellt: 28.07.25
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