Cologne Jazzweek 2023 (2)

Die cologne jazzweek funktioniert, zum Leidwesen aller Neugierigen, nach dem „North Sea“-Prinzip: vieles läuft parallel zueinander. Sich für ein Konzert zu entscheiden, heisst häufig, auf wenigstens ein anderes zu verzichten. Und es heißt noch häufiger, z.B. für Rezensenten, das eine zu verlassen, um bei einem anderen noch die zweite Hälfte zu erwischen.
Der vierte Festivaltag, der Dienstag, war auf der Festivalroute der Jazzpolizei für Altsaxophonisten reserviert. Unter diesem künstlerischen bias begann er schon am späten Montagabend, mit dem ersten Auftritt des wohl spektakulärsten, auf jeden Fall des jüngsten aus dreien, mit Fabian Dudek.

CJW 23 Dudek Carnival
Am Dienstag gab der 28jährige im Stadtgarten das allfällige Konzert anlässlich der diesjährigen Verleihung des Jazzpreises der Stadt Köln an ihn, tags zuvor präsentierte er auf derselben Bühne wiederum eine Premiere für dieses Festival, Dudek carnival.
Der junge Mann kommt zwar aus dem Hessischen, hat aber in Köln studiert, und, ja, Dudek carnival, das klingt nach Köln, das mag auch kölsche Assoziation wachrufen.
Doch letztere führen in die Irre; das Projekt basiert zwar auf Inspirationen aus Köln, aus dem Museum Ludwig, aus einer Ausstellung der Malerin Ursula Schultze-Bluhm (1921-1999), beigesetzt auf Melatenfriedhof in Köln.
Nun aber sind Inspirationen geistige Konstrukte und selten Formübertragungen (zumal aus anderen Kunstgattungen). Und wer sich auf der Museumswebseite umschaut, wird sich schwertun, neben der wolkigen Analogie „Farbreichtum“ übersetzbare Eigenschaften zur Musik dieses Quintetts zu entdecken.
Die besticht nämlich zuallererst durch eine Abkehr von den rhythmischen Modellen des Post FreeJazz seines bestens eingespielten Quartetts.
Die Rhythmusgruppe ist eine andere; mit der vom zweiten Festivaltag aus einem völlig anderen Kontext bekannten Lesley Mok am Schlagzeug und dem irischen Baßgitarristen Simon Jermyn. Felix Hauptmann ist wieder dabei, das alter ego des Bandleaders, mit sehr eigener Note an Piano und Keyboards. Und, wie Mok aus New York City, Sasha Berliner, vib, Kuratorin des SWR New Jazz Meetings 2021.
Die Reise geht in Richtung (fast seatbelts, sensible Seelen) … Jazzrock.
Fern zumindest liegen frei-metrische Verläufe und broken swing, auch funk-feeling im engeren Sinne. Prägend sind ostinate Verläufe, ohne ständige Brüche; besonders schön ein 8-Ton-Motiv, aufgeteilt in 5 + 3.
Dazu, selbstverständlich, bestechende Soli: Berliner, Hauptmann, der Bandleader auch mit Zirkularatmung auf dem Altsaxophon.
Die noch eher scheue Assoziation „Jazzrock“ bekräftigt sich als Positionseffekt am Folgetag. Fabian Dudek erneut mit anderem Konzept - und noch einmal entfernt von dem im Oktober erscheinenden Album „Protecting a Picture that´s fading“.
Für das Preisträgerkonzert im randvollen Stadtgarten hat er das Stück „Day by Day“ geschrieben: eine, sagen wir mal so: eine Suite.
Und mit Blick auf die Bühne muss man sich doch sehr wundern, dass das online Programmheft dazu in die Allzuständigkeitsideologie des Jazz verfällt und allen Ernstes raunt:
„Seine Musik ist ein Spiegelbild der momentanen Zeit und Umstände".
Der Blick auf die Bühne gibt das Instrumentarium eines Doppeltrios frei, wie weiland bei Ornette Coleman & Prime Time (1975-1995).
Nur dass nun hier nicht zwei Gitarristen sitzen, sondern zwei Keyboard-SpielerInnen: Kirke Karja aus Estland sowie erneut Felix Hauptmann. Die Baßgitarren werden bedient von zwei Kölner Kräften, die man sonst überwiegend am Kontrabaß lobt: Roger Kintopf und David Helm. Und von den beiden Schlagzeugern Alexander Parzhuber und Leif Berger, hat man letzteren noch nie so rockig erlebt.
Vieles ist komponiert bei „Day by Day“, aber weitaus weniger als sonst bei Fabian Dudek. Mitunter hebt er die Hand, um aus den expressiven Freiflächen, zum Beispiel der beiden Schlagzeuger, wieder in die Ordnung der Partitur zu führen.
Die beiden Bassisten beginnen; und Freude kommt auf durch die Mikro-Abweichungen zweier parallel geführter Stimmen - in einem langen ostinato, das es so bei Ornette Coleman nicht gibt.
Auch die Assoziation „Miles Davis Bitches Brew“ trägt nicht lange.
Viel mehr wollten sich beim Sound des Bandleaders Anflüge von Arthur Blythe (1940-2017) einstellen, an dessen „singenden“ Ton auf dem Altsaxophon. Im Gegensatz zu jenem spielt Dudek aber auch Flöte und, einen kurzen Moment nur, Melodica.
An dieser Stelle, so schien es, hätte er sich mehr gönnen, vielleicht auch mehr planen können. Hier ließ die Premiere eines wuchtigen Ensembles noch Luft nach oben.

CJW 23 van Gelder   1

Die Jazzpolizei - siehe oben - musste das Konzert vor Schluss verlassen und mit dem Rad durch die Stadt segeln, nach St. Kunibert, eine der 12 romanischen Kirchen in Köln.
Zum niederländische Altsaxophonisten Ben van Gelder mit einer Live-Performance seines jüngsten Albums „Manifold“.
Konzert- und Studioraum sind vom gleichen Typus, die Besetzung fast identisch; mithin von den Voraussetzungen her das erwartbarste Konzert bisher - und doch so überwältigend.
Es ist eben das eine, die sauber gestaffelten Stimmen in einer Aufnahme aus einer Amsterdamer Kirche (inzwischen zum Tonstudio umfunktioniert) zu hören. Und etwas ganz anderes, die gleichen Stimmen eher doch miteinander verschwimmend zu hören & zu sehen.
Kit Downes, der frühere Orgelschüler an St. Peter Mancroft in Norwich/UK, ist dafür erste Wahl. Vor zwei Jahren war er auf diesem Festival schon einmal in dieser Rolle, damals in St. Agnes mit Hayden Chisholm und serbischen Sängerinnen.
Damals freilich spielte er entrückt auf der Empore. Diesmal sieht man ihn wirklich bei der Arbeit: zwei Hände für drei Manuale, eine greift häufig seitwärts hoch und zieht die Register. Der rechte Fuß ruht auf dem Volumenpedal, der linke drückt tiefe Pfundnoten, die Orgelpunkte.
Und als einmal die Hände nicht reichen, schnellt das linke Bein nach oben und tritt einen Zugriegel rein - so schnell, dass die Jazzpolizei sich beim Fotografen vergewissern muß, ob sie das auch wirklich so gesehen hat.
Kit Downes obliegt nun wirklich die tragende Rolle, allein schon mit seinen - im wahrsten Sinne des traditionellen Begriffes - Kadenzen.
Der Bandleader weiß, was er an ihm hat, so wie umgekehrt die Mitwirkenden an ihm, an seiner hymnischen Musik für diese Räume. Er hat die Stimmen weit ausgesetzt, ohne das, was man „Gefühligkeit“ nennen müsste; und sie werden aufs Beste ausgeführt.
Frappierend Tatiana Nova, ihre Mikrofondisziplin, wie sie ihren wortlosen Gesang nuanciert in die Bläserlinien bettet. Es war ihre Premiere in diesem Nonett. Darin -  wie immer - ein Genuß, die Baßklarinette von Joris Roelofs.

CJW 23 van Gelder   1

 
CJW 23 Slavin   1Letzter Programmpunkt des Abends, von St. Kunibert ins Jaki im Stadtgarten, quasi vom Erhabenen ins Profane. Ja, das ist übertrieben, das ist ungerecht.
Aber auch wenn man den Positionseffekt zu vermeiden sucht, blieb doch der Einruck: viel vertrautes Gelände bei „libelle“, dem jüngsten Projekt des Berliner Altsaxophonisten Wanja Slavin, wiederum eine Premiere.
Zwei Tage vor dem gig, moderiert er (und er würdigt damit eine erstaunliche Leistung), habe er entschieden, neben Altsax. und keyboards nicht auch noch Piano zu spielen und deshalb Rainer Böhm die Noten geschickt.
Was der daraus macht (auf einem für diese Aufgabe unzuträglichen Klavier) und wiederum auch in Solo-Kadenzen, ist in der Tat bravourös. Es sind auch gute Soli zu hören (von Percy Pursglove, tp, flh, und Shannon Barnett, tb).
Aber die gestalterische Kraft, die von James Maddren, dr, und seinen wie immer staunenswerten beat displacements ausgeht, sie hat das neue Sextett denn noch zu wenig erfasst.

Fotos:
Dörthe Boxberg/Stadt Köln (2.v.o.), Gerhard Richter (3)
erstellt: 16.08.23
©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten