That was the week that was: cologne jazzweek, die dritte von allen: 59 Konzerte in 7 Tagen an 17 Orten, mit 8.500 Besuchern besser besucht als je zuvor (8.500, das ist nicht Theaterstatistik; darin würde ein Festivalticketkäufer mit 7 multipliziert eingehen).
59 Konzerte, das heißt: außer dem Künstlerischen Geschäftsführer, Posaunist Janning Trumann, der geradezu ubiquitär auftauchte, konnten sich die Besucher über ihre Eindrücke nur sehr komplementär austauschen.
Ob sie sich, wie einer fragte, dem man hin & wieder begegnete, auf einen „spirit“ des Festivals würden einigen können, auf einen gemeinsamen Nenner?
Dass es fast immer knallevoll und häufig stickig war, wäre zu banal. Das Gegenteil würde die Frage wohl sogleich als müßig erscheinen lassen.
Dass es ein heiteres Festival war, eines der guten Laune, darauf werden sie sich sogleich verständigen. Dieser Eindruck lässt sich auch mit Gesichtern verbinden, ja das Festival auch damit rahmen: am Eröffnungstag waren es Shannon Barnett mit ihrem Quartett und der Amerikanerin Aurora Nealand open air am Stadtgarten und am Schlusstag, nun im Stadtgarten drinnen, ohne Zweifel Joey Baron, im Dave Douglas New Quintet.
Wer ihn in seiner Band hat (und das hatten allein im Stadtgarten zahllose Bandleader), der hat mehr als die halbe Miete. Der hat nicht nur struktuell einen Impulsgeber sondergleichen, sondern zugleich eine Person, die die vielzitierte „Spielfreude“ wie keine zweite auch mimisch zum Ausdruck bringt.
Das dürfte als Einführung in den Jazz für Novizen gleich hinter den berühmten Alben, die man gehört haben muss, rangieren.
Der Mann ist kürzlich 68 (!) geworden, er verfügt musikalisch und außermusikalisch über ein stupendes Temperament. Kaum jemand tut es ihm gleich in der Visualisierung eines Schlagzeugsolos, das bei ihm melodisch strukturiert ist und schon allein seiner Ökonomie wegen nicht mit Show verwechselt werden kann.
Wenn der Bandleader mehrfach bewegt betont, in diesem Raum spiele er seit mehr als 30 Jahren, so gilt das in noch größerer Dichte für seinen Schlagzeuger.
Das Quintett ist excellent besetzt, mit James Brandon Lewis, ts, und der polnischen, in Amsterdam lebenden Pianistin Marta Warelis. Am Kontrabass der auf diesem Sektor neue Star bereits zweier cologne jazzweeks, der in Berlin lebende Amerikaner Nick Dunston.
Für Dave Douglas konnte er quasi auf der Bühne bleiben, nachdem er dortselbst den Abend mit Hans Lüdemann, p, und Luciano Biondindi, acc, eröffnet hatte.
Dunston war in Köln als einer der „feature artists“ des Festivals für vier Konzerte gebucht. Und als man hört, er habe am Vorabend mit dem Douglas Quintet in Oslo gespielt, fragt man sich, wie das sein konnte - und entdeckt doch tatsächlich 4 Köln-freie Tage im tour schedule dieses sehr interaktiven Musikers.
Die ganz anders begabte, nämlich vorwiegend Baßgitarre spielende Kollegin Ruth Goller, gleichfalls feature artist, bei Wanja Slavin eher im Hintergrund, fand mit Training weitaus mehr eigenen Raum.
Training bei Bumann & Sohn, als Kind hätte man sich dort nicht hingetraut, der morbide Charme der ehemaligen Werkstätte schreckt heute nicht mal die Jazzpolizei ab. Im Gegenteil, er führt geradewegs auf die Punk-Ästhetik hin, die das deutsche Duo mit seiner Gastmusikerin, in Ermangelung eines besseren Stil-Begriffes, doch kennzeichnet.
Goller, aus Südtirol, seit langem in London lebend, wechselte aus gegebenen Anlaß zum Plektrum, mit dem sie die vier Saiten ihres Instrumentes schlägt. Es lässt sich gut mit delays vervielfachen und in ein elektro-akustisches Netzwerk fließen, das Johannes Schleiermacher, ts, fl, und Max Andrzejewski, dr, g, auch mit zusätzlichen digitalen devices knüpfen.
Wer sich die Zeit nahm, durfte den dreien auf einem weitgehend improvisierten Parcours folgen, der seine Referenzen eher in Songs sucht als in der bei solchen Gelegenheiten oft dominierenden „freien Idiomatik“.
Diese war bei dieser cologne jazzweek auch im Loft konzentriert; z.B. in Form einer Schnittmenge aus Kölner MusikerInnen und solchen aus dem Umrkeis des dänischen ILK Labels.
Für das Lotte Anker Quartet galt eine Variante des Joey Baron-Effektes: wer Etienne Nillesen mit seiner extended snare drum neben sich weiß und dazu Marlies Debacker mit ihren Piano-Präparationen, der/die kann sich auf eine Architektur aus Klangpunkten und -flächen stützen, die das Ein- und Ausfädeln eigener Beiträge ungeheuer erleichtet.
Das gelang der Bandleaderin sehr behutsam mit Sopran- und Tenorsax. Und als man bei Carl Ludwig Hübsch Probleme des Ansatzes an Mundstück und Rohr zu erkennen meinte…sah man ihn im nächsten Moment mit einer Luftzufuhr, die in keinem Lehrbuch steht: eine Art Luftballon, irjenswie ins Gewinde geführt, der Klang moduliert mit zwei Reisstäbchen. Höchst subtil.
Die Jazzpolizei konnte in der Pause auf den leeren Platz eines Besuchers vorrücken, dem die Dekodierung dieser Geräuschwelt - wir nennen sie Klangwelt - in Musik offenbar nicht gelungen war. Und sie wurde dann Zeuge im zweiten set, wie sich das viel-beschworene hohe Risiko, das die Vertreter der Frei-Improvisierten Musik für sich reklamieren (und dessen erfolgreiche Überwindung in diesem Narrativ unausgesprochen unterstellt wird) deutlich zur Seite des Nichtgelinges neigte.
Dabei war eine der besten Kölner Rhythmusgruppen am Start: David Helm, b, und Fabian Arends, dr. Zumindest letzterer verweigerte überwiegend das, was sein großes Renomee begründet hat: drumset spielen.
Stattdessen Kleckse & Klackern aus einem vintage Modular-Synthesizer, auf dem jeder Klang, und sei er auch noch so banal, wortwörtlich mit Kabeln gesteckt werden muss. Das mag handwerklich reizvoll sein, formal-ästhetisch aber reizarm. Eine Stimme von vieren, von denen keine struktur-bildende Impulse zu setzen vermochte.
Die beiden eröffneten dann den nächsten Abend am selben Ort - in der Hauptsache, als eine der besten Rhythmusgruppen in Köln. Und es war wiederum Lotte Anker, der mit diesem Fundament ein gewichtiger Gegenpart zuwuchs.
Die Jazzpolizei musste danach sogleich weiter, ins CBE, den Club Bahnhof Ehrenfeld - sonst hätte sie den lautesten gig des Festivals verpasst.
Økse ist das dänische Wort für „Axt“. Als Bandname dürfte es unter Musikhörern aller Sprachen auf den gleichen Begriff zulaufen und ganz bestimmt nicht auf die „universelle Lebensenergie“ aus der Yoruba-Religion, wie es sich aus der dänischen Aussprache des Wortes „Ashé“ ergebe, so das Programmheft.
Das gesuchte Wort dürfte so verschieden sein wie die Sprachen, seine Bedeutung hingegen einsilbig klar: laut.
Es war so laut und so tief-frequent an einer Stelle, als Petter Eldh auch der Frequenzbereich seines Kontrabasses nicht mehr reicht und er einen Akkord auf dem keyboard herauspeitscht, dass man den Luftzug zu verspüren meinte. Der Tontechniker bestätigt die Vermutung: es muss um die 30 Hertz tief gewesen sein.
Zugegeben, Musik, die einen dermaßen durchschüttelt, hat was. Sie hat etwas Unwiderstehliches.
Und sie wurde auch nicht von tumben Klangschmieden ins Werk gesetzt, sondern von exzellenten HandwerkInnen. Der schon erwähnte Eldh, seine vorjährige Partnerin am Schlagzeug, Savannah Harris; die Dänin Mette Rasmussen, die über diesen brutalo-vamps auf dem Altsaxofon auch multiphonics sauber durchphrasiert. Und last not least Val Jeanty, geboren auf Haiti, derzeit Professorin am Berklee College of Music.
Wikipedia ordnet ihre perkussive Handarbeit beim scratchen und auf drumpads „Voodoo-Electro“ zu, einem Subgenre von „Afro-Electronica“. Als die Jazzpolizei den Konzerttunnel betritt, legt sie gerade ein 6/8 pattern über das Gedonner.
Es war ein Spektakel. Und nach Saalfelden 2022 sowie dem All Ears Festival Oslo 2023 kann man verstehen, dass die cologne jazzweek es sich nicht entgehen lassen wollte.
Aber welchen Wert es hat, welche Formen der Interaktion in diesem decibel-Schwall maskiert waren - erst eine „transparent“ gemischte Mehrspuraufnahme wird es verraten.
Fotos:
Gerhard Richter (Training, Økse)
erstellt: 19.08.23
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