In der Woche zwier, frei nach Martin Luther („…schadet weder ihm noch ihr“) oder auch, frei nach Wilfried Scharnagl vom Bayernkurier, „man glaubt ja gar nicht, wieviel Kontemplation der Mensch ertragen kann“…
Die Woche in Köln schließt mit zwei Konzerten dieser Art; nach Note für Note festgelegter Musik von John Cage im Loft das schiere Gegenteil, Frei Improvisierte Musik in der Kölner Zentrale für Raumklang, in der Kunststation St. Peter, „Kirche der Jesuiten“.
T.ON nahm wieder dort Aufstellung. Mit diesem Trio als Gast (zwischen einem Konzert mit Neuer Musik in Belgien und einem Gig mit ihrem neuen Duo-Partner Alexander Hawkins hatte sie einen day off) die äthiopisch-schwedische Vokalistin Sofia Jernberg.
Ähnlich wie vor einem Jahr in der Orangerie, mit Dell/Lillinger/Westergaard, platzierte sie sich ein wenig abseits des Ensembles. Oft mit geschlossenen Augen, gelegentlich die Arme im Gewand vergraben, konnte man sie diesmal, soziologisch betrachtet, zunächst für eine teilnehmende Beobachterin halten.
Diese begriffliche Krücke hielt sie sich nicht lange, sie ist viel zu visuell konnotiert; denn wenn Jernberg mitmischt, wenn sie nicht pausiert, ist sie so präsent, wie es einer teilnehmenden Beobachterin keinesfalls anstünde.
Gleichwohl besticht die Beiläufigkeit, in der sie dieses unglaubliche Panorama an vocal sounds herausbringt. Andere in dieser Disziplin winden sich, unterstreichen mit Mimik & Gestik das Entstehen der Klänge (ein Berliner Kollege hantiert so mit den Händen, dass man gar nicht lange hinsehen mag) - nichts, aber auch gar nichts dergleichen bei Sofia Jernberg.
Sie kann sich aber auch auf ein eingespieltes Team verlassen. T.ON hat nun wirklich einen Ton.
Matthias Muche (derzeit auch in Heiner Goebbels´ Tanz-Aufführung von „Surrogate Cities“ in Düsseldorf) spielt an diesem Abend eine elegante Posaune, mit weniger Geräuschbeimischung als sonst. Etienne Nillesen, as usual, betört mit seinen Reibesounds an zwei snares. Das minimale Kreiseln mit seinen in einer Art Gummiball endenden sticks schafft wieder einen im Raum „stehenden“ drone, wie man ihn sonst nur aus der Elektronik kennt.
An einer Stelle schlägt er dann doch tatsächlich beats! Sie nehmen sogar, weil er entsprechende Teile aufs Fell gelegt hat, einen leicht metallischen Charakter an. Muche steigt ein, Constantin Herzog auch. Auch er hat einen stick a la Nillesen zur Hand, und er zeigt: auch der Korpus des Kontrabass´ kann eine bass-drum sein.
Eine Art Groove ist Werden, eine Schichtung von Klangpunkten. Und jetzt, bei der Niederschrift drängt sich unwillkürlich das Bild einer vertikalen Entwicklung auf, wohingegen sonst die Punkte auf Flächen hüpfen.
Die Musik schwebt. Und etliche Zuhörer schweben mit, indem sie die Augen schließen, obwohl das Ambiente der kargen spät-gotischen Kirche ja nun wirklich visuell nicht abweist.
Nach einer großen Klanggeste von 60 Minuten entlassen die Zuhörer die vier nur kurz in die Sakristei. Ihr Applaus ist fordernd. Die vier kommen zurück; eine kurze Verbeugung hätte nun wirklich gereicht. Aber nein, sie nehmen Platz, sie greifen wieder zu den Instrumenten.
Das ist nun wirklich riskant, wie an eine solche Magie anschließen?
Sofia Jernberg beginnt mit einem vokalen Einfall. Und es dauert keine fünf Minuten, da hängt ein weitere Vokalphrase von ihr im Raum. Die andern stoppen, wo sie sind. Jenberg erfasst aus den Augenwinkeln den Bandleader, Muche signalisiert ebenso unmerklich: that´s it!
Die Zuschauer sind verblüfft: über die Schlüssigkeit dieses kurzen Parcous´. Insbesondere über den Form vollendenden Schluss, der nicht geplant war.
Sondern ausschließlich durch Zuhören (& Reagieren) sich ergeben hat.
Aller vier Erfahrung lehrt: es gibt Phrasen, denen eine Semantik des Abschliessens innewohnt.
erstellt: 18.05.24
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