Eine Bilanz der Monheim Triennale II - The Prequel fällt nicht leicht. Sie muss den Zusatz „The Prequel“ einkalkulieren, die Funktion dieses Festivals als „Vorläufer“ in der Hauptsache, zu Monheim Triennale II - The Festival 2025.
Beide müssen also als Einheit gewertet werden.
Der Abschluss des Zyklus II wird noch einmal auf dem Rheinschiff stattfinden.
Sein lange angestrebter Ort, die im Umbau befindliche Kulturraffinerie K714, ist erst 2026 spielfertig.
Der größte Unterstützer seitens der Stadt, ihr Bürgermeister Daniel Zimmermann, 42, wird sie als einfacher Zuschauer erleben: nach 16 Jahren im Amt tritt er zur Kommunalwahl 2025 nicht mehr an.
Was das für den Fortgang des Festivals, die Monheim Triennale III, bedeutet, bleibt abzuwarten (die CDU als Teil der örtlichen Opposition hält wenig davon, sie stimmte formal gegen die Finanzierung und Unterbringung des Kyiv Symphony Orchestra, weil sie dafür woanders einsparen will. Und man ahnt, wo).
Im Prinzip haben sich nun also 15 signiture artists unter dem Vorzeichen Improvisation kennengelernt, im kommenden Jahr sollen sie mit eigenen Bands, eigenen Projekten anrücken. Darunter werden sich, so ist zu erfahren, „etliche Projekte“ befinden, die aus dem Austausch 2024 resultieren.
Denkbar also auch, dass jene, die unter dem diesjährigen Vorzeichen lediglich dem Namen nach eine Signatur hinterlassen haben, im kommenden Jahr mit aufregenden Konzepten aufwarten.
Daniel Zimmermann erklärt Heiner Goebbels den Monheimer Geysir, eine Skulptur von Thomas Stricker
Da bliebe etwa für den Schlagzeuger Ludwig Wandinger aus Berlin Luft nach oben, möglicherweise auf dem Gebiet der Elektronik. Oder für die Sängerin Julia Úlehla aus Vancouver, die vermutlich daheim mit dem „Avant-Folk-Ensemble Dálava“ eindrücklichere Konturen zeigt denn hier als Improvisatorin.
Apropos Folk; Brìghde Chaimbeul, sicher der Darling des Festivals, in den Improv-Kontexten schon instrumental immer ein wenig querständig, ließ in ihrem Solokonzert am zweiten Spielort, der Marienkapelle, anklingen, womit sie demnächst auch das Boot rocken könnte: mit Philip Glass sowie mit einem Tanzstück, einem Reel, aus ihrer schottischen Heimat.
Peter Evans Electronic Quartet: Rojin Sharafi, Peter Evans, Muquata´a, Ludwig Wandinger
Über Heiner Goebbels als Konzeptionalist 2025 muss man sich keine Gedanken machen, ebensowenig über Peter Evans.
In seinem spontan gebildeten Electronic Quartet, gleich am ersten Festivaltag, vermied er den Kardinalfehler vieler Instrumentalkollegen, über einen brodelnden Soundteppich lange Bögen zu ziehen. Evans´ stupendes Trompeten-Handwerk, darunter Zirkularatmung, erlaubt ein betörendes Arsenal an scharfkantigen Interventionen. Sie sind eng in die Struktur verwebt, sie schweben nicht oben drüber.
Für das Horns Trio (Shannon Barnett, tb, voc, Darius Jones, as) brachte Evans zum ersten und einzigen Mal Notenständer auf die Bühne des Festivals, darauf Material von vier kurzzeitig einstudierten Kompositionen (darunter ein Standard). Ein faszinierendes Ensemble dreier großer Stimmen.
Ähnlich Evans´ubiquitär einsetzbar, und wie auch er mit einer stupenden Solo-Performance in der Marienkapelle: yuniya edi kwon aus New York City.
Ihr Hintergrund in rituellen und mythologischen Praktiken ist offenkundig, aber sie stellt sie thematisch nicht heraus.
Ob darin tatsächlich „eine ausdrucksstarke Befreiung und Wiedergewinnung der spirituellen Spuren des Kolonialismus“ zu erkennen ist, wie es die Triennale-Webseite vorschlägt?
kwon bleibt angenehm unprätentiös in der Hauptsache. Was sie wohl ausstellt, sind die Qualitiäten einer großen Performerin und - Violinistin.
Die Imaginäre Folklore, einst von Musikern um Louis Sclavis aus Lyon begifflich geprägt, sie scheint hier wieder mit anderem Inhalt Gestalt anzunehmen, quasi in einer Kontinentaldrift nach Fernost. Die, in einem historischen Längsschnitt, auch die Anmutung einer Bach-Partita nicht vergisst.
Folgt man Jessica Hallock, einer der Triennale-Kuratorinnen, dann muss die der Improvisation abgewandte Seite von Selendis S.A. Johnson eine beträchtliche sein. Zum Beispiel in Form einer Big Band, von der Hallock dermaßen schwärmt, dass die Jazzpolizei gar nicht anders kann, als sie sich für The Festival im nächsten Jahr zu wünschen.
Selendis ist noch jung, erst 24, sie erwies sich als die wohl quirligste Akteurin auf der MS RheinFantasie. Mitunter griff sie nur für einen Ton, für einen Klang zu ihren Instrumenten Posaune & Vibraphon, um die Arme freizuhaben für ausladende Gesten eines fiktiven Dirigates.
Vielleicht wird ihr eine prominente Rolle in der filmischen Dokumentation des Festivals durch Mika Kaurismäki zukommen, ganz sicher aber Shazad Ismaily.
Der finnische Regisseur war fünf Tage in Monheim. Tonnen von Musikmitschnitten muss er nun sichten, dazu die Aufnahmen seines eigenen Teams, das Stimmungen eingefangen hat, u.a. die Arbeit Ismailys, aber auch von Peter Evans mit Schülern, abseits des Festivals.
Die Doku wird gegen Ende des Jahres auf arte erwartet.
Einer, pardon: eine aus dem Kreis der 16 signiture artists wird darin fehlen: Terre Thaemlitz, inzwischen auch schon 56 Jahre alt. Die einzige Künsterlin, die in der Rolle des notorischen Solitärs den Austausch verweigert, und in Selbstergriffenheit zuverlässig den Trigger auslöste, den das Festival geradezu in Noblesse ignoriert hatte.
In einem Info-Flyer, in dem u.a. von Catering, Shuttle-Service, free bicycles und Wi-fi Access die Rede ist, taucht er zum Schluss unter „Feelgood/Awarness“ auf.
Da formulieren der Intendant und sein Team ein Willkommensadresse an die Besucher jedweder Herkunft, unter Ausschluss von fast einem Dutzend aktuell debattierter Diskriminierungsgründe.
Hätte nicht ein Hinweis gereicht, auch an Bord der MS RheinFantasie bewege man sich im Schutz des Grundgesetzes?
Eine reine Vorsichtsmaßnahme, so hört man; es solle sich ein Vorfall, wie jüngst ein paar Kilometer stromabwärts in Düsseldorf, nicht wiederholen.
Terre Thaemlitz, bekannt für seine düsteren Monologe vor dem ersten Ton, greift diesen „code of conduct“ auf, als gelte er auschließlich ihm. Und obwohl er doch „alle Menschen liebt“, gehören offenbar Reiner Michalke und Daniel Zimmermann nicht dazu.
Er nuschelt, es herrscht ein absolutes Film- und Fotografierverbot, man kann nichts mehr nachverfolgen; die Gründe - sollten sie denn überhaupt als solche zu qualifizieren sein - bleiben im Dunkeln. Es ist ein Mäkeln, ein rollentypisches Selbstgefallen.
Von den Zuhörern wird dabei eine Rezeptionshaltung verlangt, die an die der Piano-Andachten eines Keith Jarrett erinnert.
Was dann aber auf just diesem Instrument erklingt…die Jazzpolizei will freundlich sein und den verstorbenen NDR-Jazzredakteur und Pianisten Michael Naura vorschieben. Der hätte kurz die Tür des Salons am Heck geöffnet und gefragt: „Wer ist denn dieser Pianör?“
Vielleicht hätte er identifiziert, was hier sozusagen im Teebeutel-Aufguss serviert wurde: "Peace Piece" von Bill Evans.
Thaemlitz war in Monheim sozusagen noch dank eines Einladungs-Überhangmandates aus der Triennale I, weil er der Covid-Reisebeschränkungen wegen nicht anreisen konnte.
Sein „Electroacoustic Ambient Set“, tags zuvor, soll dem Vernehmen nach, „ganz okay“ gewesen sein.
Die Jazzpolizei konnte, wie übrigens alle anderen auch, in Monheim nicht in jedem Moment zur Stelle sein.
Fotos: Niclas Weber (kwon), Vanessa Stratmann (Selendis)
erstellt: 08.07.24
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