David Sanborn, 1945-2024

Pardon, dass dieser Nachruf mit einer Andekdote beginnt.
Zunächst aber zur Schreibbegleitung einen track aufgelegt: aus der Vielzahl an Möglichkeiten ein Stück aus „Songs from the Night before“, 1996, nicht mal eines seiner bedeutenden Alben.
Der track „D.S.P.“, ein ungemein groovender slow Shuffle, in dem der Altsaxophonist ganz auf lament, auf Wehklagen gestimmt ist, gedämpft, nicht als shouter.
„D.S.P.“ enthält sound-gimmicks des Tages (er war immer auch Kind seiner Zeit), Plattenrauschen, kurze Einwürfe von Orchestersamples. Das Stück startet mit Orgelfauchen, dann ein snare drum-Vorschlag und zwischendrin immer mal wieder fill ins, in der Ausblende schließlich zwei Triolen auf der snare, wie sie in dieser trockenen Eindringlichkeit überhaupt nur einer schlagen kann: Steve Jordan.

Steve Jordan bei David Sanborn, das bringt in Fahrt; als nächstes aufgelegt ihre funky Fassung von Ornette Colemans „Ramblin´“, aus „upfront“, 1992.
Die Anekdote. Sie spielt beim „Saxophondoktor“ Peter Neff (1937-2014) in Köln, in seiner Ladenwerkstatt unweit Groß St. Martin. Der Inhaber, urgemütlich, beliebt, ist gleichwohl genervt und deutet gegenüber einem Besucher auf die schalldichte Kabine in seinem Laden: „da übt jemand Sanborn-licks ohne Ende!“
Neff und der berichtende Besucher, seinerseits ein nicht unbekannter Saxophonist, schauen schließlich nach - es ist der Urheber, der, physiognomisch zunächst unerkannt, seine eigenen Muster an einem neuen Instrument übt.
david sanbornLicks like Sanborn, näselnd im Ton, häufig mit starker Blues-Inflektion, fast immer perfekt durchphrasiert, in Verwandtschft zu Hank Crawford (1934-2009), eine akustische Ikone:
"the most influential saxophonist on pop, R&B, and crossover players of the past 20 years“, wie ihn 2011 sein späterer Biograph Scott Yanow charakterisiert. Ein dieser Tage häufig bemühtes Zitat, in dem der Smooth Jazz fehlt (dem er mitunter auch verfallen ist), aber auch der „richtige“ Jazz.
Möglicherweise ist all dies aber auch in crossover player versteckt, denn mehr crossover dürfte nicht mal Michael Brecker (1949-2007) sich bewegt haben. In den frühen 70ern standen beide side by side bei den Brecker Brothers. Wobei Sanborn nach eigenem Bekunden nur einmal den Fehler beging, nach Brecker ans Solistenmikrophon zu treten, die Bühne sei danach „wie napalmisiert“ gewesen.
(Für Pianisten lautet der gleiche Positionseffekt, eher fiktiv, „nach Keith Jarrett spielen).
Er war ein Woodstock-Veteran (mit der Butterfield Blues Band am 18.08.1969), fast zu schweigen vom Monterey Pop Festival 1967 (ebenfalls mit Butterfield).
Seine kaum zu zählende recording list umfasst die Rolling Stones, Elton John, James Brown, Steely Dan, Gil Evans, Django Bates (jawoll, eine Fassung von „Life on Mars“ (David Bowie) auf „You live and learn…(apparently)“, 2003), nicht zu vergessen Ian Hunter in dem hypnotischen „All American Alien Boy“, 1976, mit Jaco Pastorius.
Sanborn ist für Mediziner insofern interessant, als die Empfehlung, ein Blasinstrument zu lernen, Teil einer Polio-Therapie war (Stärkung der Brustmuskulatur).
Noch interessanter dürfte er für die Verirrten der Kulturellen Aneignung sein:
Gebürtig in Florida ist er in St. Louis aufgewachsen, und zwar unter lauter - wie man heute weiß - namhaften POCs, wie sie heute zu sagen pflegen.
Er war mit Lester Bowie und dessen Ehefrau Fontella Bass privat. Er soll kurzzeitig das dritte Alt in einer Band mit Julius Hemphill und Oliver Lake gespielt haben. Sein größter Freund und Konversionspartner war Phillip Wilson (1941-1992). Mit dem schwarzen Drummer Wilson war der weiße Saxophonist Sanborn eine Zeitlang in der weißen Butterfield Blues Band.
Sein erstes eigenes Album erscheint 1975 „Takin´off“. Im Gegensatz zu dem gleichnamigen von Herbie Hancock, 1962, kann man jenem und auch den Nachfolgern in den 70er und 89ern kaum genre-prägende Wirkungen attestieren. Der New Yorker Funk-Adel, den er jeweils um sich scharen konnte, stellt hier sein doch sehr aseptisches Handwerk aus.
Sanborn war ein Instrumental-Stilist, kein Konzeptionalist.
Ein Wende stellte sich ein, als Marcus Miller als Produzent 1992 („upfront“) und 1994 („hearsay“) die Funk-Zügel straff zieht. Seine eindrücklichsten Grooves finden sich hier. Die Version von Ornette Colemans „Ramblin´“ ist ein spätes Echo auf die listening sessions in der Wohnung von Lester Bowie, Jahrzehnte zuvor in St. Louis.
Obwohl 2018 Prostatakrebs bei ihm diagnostiziert wurde, soll er bis zuletzt „his normal schedule of concerts“ beibehalten haben, u.a. für ein Konzert auf dem Festival von Till Brönner in Kampen auf Sylt. Der ikonische Charakter seines Altsaxophons erschien zunehmend als ein historischer.
David William Sanborn, geboren am 30. Juli 1945 in Tampa/FL, aufgewachsen in Kirkwood/MS, starb am 12. Mai 2024 in Tarrytown/NY an Prostatakrebs. Er wurde 78 Jahre alt

erstellt: 13.05.24
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