Gratismut im Ländle


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 Ob die Stuttgart Jazz Open „in der Champion League der europäischen Jazzfestivals bleibt“, wie es der Lokalstolz einer Lokalzeitung befiehlt, das wird man außerhalb des Postleitzahlbereiches „7“ vermutlich weniger emphatisch unterstützen.
Und sich doch eher wundern, dass ein Festival, das zu seinem 30. Geburtstag mit Herbert Grönemeyer, Lenny Kravitz, Sam Smith und Sting protzt, überhaupt noch den Minderheiten-Gattungsnamen im Titel führt.
Doch, es gibt auch Jazz, und es hat auch Jazz gegeben in Stuttgart, z.B. bei der Premiere 1994 Ornette Coleman, Pat Metheny und auch John Scofield. Dee Dee Bridgeewater und Dianne Reeves waren je ein halbes Dutzend mal dort.
Und es ist ja auch nichts einzuwenden gegen ein Festival, das hinter den großen Pop-Acts Jazz so mitführt. 40.000 von 50.000 Tickets für den Juli 2024 sind bereits jetzt verkauft. Das sind Dimensionen, die keine einem strengeren Jazzbegriff verpflichtete Veranstaltung je erreichen könnte.
Ob Stuttgart Jazz Open jedoch Mut für sich beanspruchen darf, abgeleitet aus den vorgeblichen Standard-Jazztugenden wie „Freiheit, Mut und Toleranz“, das darf jetzt klar verneint werden.
Vielleicht aus Übermut hat die Festivalleitung sich zu einer Aktion hinreißen lassen, die nichts anderes offenbart als Gratismut, gespeist aus einer großen Portion Naivität.
Die Frage nach dem Erfolg der Aktion, wieviele der Gemeinten ihre Tickets zurückgegeben hätten, bleibt - selbstverständlich - unbeantwortet. Dafür wogt in den (a)sozialen Medien ein noch mal naiveres Pro & Contra, von dem ein Großteil wieder gelöscht werden musste.
Wer sich derart auf Glatteis begibt, der muss dann auch noch Hohn ertragen: ein Vertreter der entsprechenden Landtagsfraktion belustigt sich laut Stuttgarter Zeitung über die Vorstellung,
„dass AfD-Anhänger freiwillig einem feisten Bekenntnis-Gröler wie Herbert Grönemeyer lauschen werden“.
„In der Champion League der europäischen Jazzfestivals“ wird eine so wenig durchdachte Aktion hoffentlich eine einmalige Episode bleiben.

*PS (30.01.) Jazz Open antwortet per email: "Uns ist nicht bekannt, dass bisher jemand sein Ticket zurückgegeben hätte."
Und: "´Champions League der Jazz-Festivals´ – da sind wir selbst erschrocken. Würden wir nie behaupten. Was wir – ernsthaft – behaupten ist: Wir gehören zu den europäischen Top-3-Festivals für Jazz and Beyond."
Last not least: "Bin ein bisschen durch Ihre Website gesurft. Hab mich köstlich amüsiert. Schön, dass es sowas gibt" (Rainer Schloz, Pressesprecher Stuttgart Jazz Open).

erstellt: 26.01.24
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