BRAD MEHLDAU Ride into the Sun *****
01. Better Be Quiet Now (Elliott Smith), 02. Everything Means Nothing to Me, 03. Tomorrow Tomorrow, 04. Sweet Adeline, 05. Sweet Adeline Fantasy (Brad Mehldau), 06. Between the Bars (Elliott Smith), 07. The White Lady Loves You More, 08. Ride into the Sun: Part I (Brad Mehldau), 09. Thirteen (Christopher Bell, Alexander Chilton), 10. Everybody Cares, Everybody Understands (Brad Mehldau), 11. Somebody Cares, Somebody Understands, 12. Southern Belle (Elliott Smith), 13. Satellite, 14. Colorbars (feat. Chris Thile), 15. Sunday (Nick Drake), 16. Ride into the Sun: Conclusion (Brad Mehldau)
Brad Mehldau - p, Daniel Rossen - g (10,12), voc (3,12), Chris Thile - mand, voc (14), John Davis - bg, b, Felix Moseholm - b, Matt Chamberlain - dr, perc
Orchestra
Dan Coleman - cond
rec. 24.-28.01.2025
Nonesuch 75597 89620 6
Das Solokonzert von Brad Mehldau in der Philharmonie Essen, es stellt sich bei Eintreffen dieses Albums wie ein Vorecho für dieses Tributalbum dar.
Zwei Songs kündigt er damals an von Elliott Smith (1969-2003). Und auf die Frage, ob jemand diesen amerikanischen Singer/Songwriter kenne, jauchzen zwei oder drei aus der Tiefe des Saales.
„Brad Mehldau zeichnet sie aus mit dem Blick des Kenners“.
Einer dieser beiden Songs dürfte das folk-bluesige „Sweet Adeline“ (1998) gewesen sein.
Damals ein absolut passender Baustein in der stilistischen Architektur des Abends. Die ersten drei (von vier Takten) des Stückes mit ihrer - jazzmäßig gesprochen - abwärts laufenden walkin´bass-Figur sind eine Steilvorlage für ein Genie des Ausschmückens wie Brad Mehldau. Er hält sie auch immer wieder vor, während die rechte Spielhand die vergleichsweise simple Vorlage transzendiert.
In der hier nachfolgenden „Sweet Adeline Fantasy“ gibt der Bach-erfahrene Pianist nun noch eins drauf, indem er sich weit vom Ursprung entfernt und auch die Tonart wechselt. Ein Genuß.Davor aber hat Mehldau die tracks 1 & 2 gesetzt - vor das Vergnügen die Enttäuschung.
Manche würden, nach Abhören von track 15, noch verschärfend hinzufügen: das Entsetzen. Über den Einsatz eines Kammerorchesters unter der Leitung von Dan Coleman, wie schon zuvor auf dem Album „Highway Rider“ (2009).
Jon Turney artikuliert in UK Jazz News seine Kritik an den 7 Stücken mit Orchester-Begleitung (von 15) auf dem neuen Album mit britischer Noblesse:
„Die Orchesterpassagen werden durch den Song eingeschränkt, anstatt sich darüber hinaus zu entwickeln“.
Das ist eine supercoole funktionale Beschreibung (mit den lyrics von Smith geht er eindeutiger um, „…nur von mittelmäßiger Qualität“).
Man könnte aber auch mit einem ordentlichen Nachschlag von Wertung unverhohlen von Kitsch sprechen. Und im Falle eines erneuten Nick Drake-covers, „Sunday“ aus „Bryter Later“ (1970), fast schon von einer Kopie: lediglich ein Hintergrund-Piano setzt er 55 Jahre später hinzu, ansonsten alles wie gehabt.
Die intellektuelle Fallhöhe zwischen dem vierseitigen booklet-Essay, in dem Brad Mehldau seine Vorliebe für Elliott Smith darlegt (mit Seitenblicken zu Schubert & Brahms) und seinen biederen instrumentalen Ausführungen dazu, sie erscheint unerklärlich.
Turney hat recht: „Es ist weniger wichtig, wo ein Künstler seine Inspiration findet, als vielmehr, was er daraus macht.“
Denn da, wo Mehldau mit kleinem Besteck arbeitet (solo, im Duo oder in kleinen Combo-Besetzungen), und nicht (wie in den tracks 11 und 16) Simples aufbrezelt, wirkt er weitaus überzeugender. Weil er mit (s)einer eigenen Sprache das Fremde sich anverwandelt. Da passt auch seine Solo-Adaption der Rockhymne „Thirteen“ von Big Star (1971/74) bestens in den Rahmen.
An seinem Orchesterschwulst wird niemand Brad Mehldau erkennen.
erstellt: 27.08.25
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