Eine der markanten Persönlichkeiten des europäischen FreeJazz (oder der Frei Improvisierten Musik) kam aus Neu-England, aus dem US-Bundesstaat Vermont.
Im Alter von neun Jahren begann er sein Instrument zu spielen, das Cello; und er studierte es u.a. dort, wo der Vater von Frank Zappa seinen filius auch gern in guten Händen gesehen hätte, am Peabody Konservatorium in Baltimore.
1969 verschlug es ihn, um dem Militärdienst zu entkommen, nach Montreal.
Dort kommt ihm ein beinhartes Produkt einer Musikwelt zu Ohren; mit der Folge, dass er sich 1974 in Amsterdam mitten in diese stürzt: der Auslöser „The Topography of the Lungs“ (1970), mit Derek Bailey, Evan Parker und Han Bennink.
Einen ultimativeren Abschied von der Klassik für einen davon Frustrierten kann man sich nicht vorstellen.
Ende der 70er lebte er in Florenz, dann wieder einige Jahre in Berlin. Dort wurde er u.a. Mitglied der Ensembles, mit denen Cecil Taylor die Hauptstadt aufwühlte.
Er hat in all den Jahren einen Riesenkatalog eingespielt.
Dauerhaft aber blieb über Jahrzehnte Amsterdam, und das heißt, das ICP Orkest.
Niemand verkörperte - durchaus im Wortsinne - dessen schräge Dialektik aus Ernst & Scherz so wie er. Das große Hilfswort, das seine überaschenden Bühneneinlagen einfangen soll, lautet „Dada“.
Es war zum Schreien komisch, aber blitzschnell auch in Mitleid umschlagend, in der Tat ein „great harlequin of improvised music“, wie ihn der Blogger Martin Schray nennt.
Es ging ihm nicht gut in den letzten Jahren. Die ICP-Managerin spricht von einer ernsthaften mentalen Erkrankung, „aber wie ein Phönix hat er sich wieder gefangen“.
Sie hat ihn im Oktober 2022 zum letzten Mal gesehen, und danach: „Tristan war überall und nigends, die letzten Monate war er in New York, Berlin und Triest“.
Noch im Februar wurde dort für ihn zu Spenden aufgerufen, für Medikamente, es drohte Obachlosigkeit. Wenig später dann der warme Regen durch den von einem anonymen Mäzen gestifteten „Instant Award In Improvised Music“, dotiert mit satten 50.000 Dollar.
Er fand ein Appartement, war in Erwartung einer permanenten Aufenthaltsgenehmigung für Italien. Am 7. April spielt er mit dem Pianisten Schuichi Chino in der Buchhandlung Knulp in Triest.
Der Auftritt mit (s)einem Sextett am 23.07.23 bei den Nickelsdorfer Konfrontationen dürfte seine letzte Live-Performance gewesen sein.
Tristan Honsinger, geboren am 23. Oktober 1949 in Burlington/Vt, stab am 5. August 2023 in Triest. Er wurde 73 Jahre alt.
erstellt: 07.08.23, ergänzt 10.08.23
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