JOHN SCOFIELD TRIO EnRoute ********
1. Wee (Denzil Best), 2. Toogs (Scofield), 3. Name that Tune (Swallow), 4. Hammock Soliloquy (Scofield), 5. Bag, 6.It is written, 7. Alfie (Bacharach, Hal David), 8. Travel John (Scofield), 9. Over Big Top
John Scofield - g, Steve Swallow - bg, Bill Stewart - dr
rec 12/2003
Verve/Universal 06024 9861357 3; LC-Nr 00383
Die Zusammenarbeit von John Scofield mit Steve Swallow währt schon so lange, dass man geneigt ist, sie als den Anfang von Sco´s Schallplattenkarriere zu datieren. Pustekuchen.
Die Bassisten vor Swallow waren George Mraz, Clint Houston, Stafford James, ja auch Anthony Jackson - bevor dann erstmals der Herr Swallow dazutrat. Das war 1980 ("Bartalk") in einem Trio mit Adam Nussbaum, welches drei Alben veröffentlicht hat ("Out like a Light" und "Shinola", je 1981) und heute nicht zu unrecht als Blaupause für "EnRoute“ gehandelt wird.
Nur ist heute, ja schon lange nicht mehr Adam Nussbaum dabei. An seine Stelle trat vor 15 Jahren - und so lange spielt dieses Trio immer mal wieder zusammen - Bill Stewart, von Scofield "einfach einer der besten Schlagzeuger der gesamten Jazzgeschichte" apostrophiert. Den Diskurs darüber, ob diese Wertung berechtigt ist, brechen wir nach Nennung der Überschrift sogleich wieder ab, er führt in die Irre.
Fakt ist, dass S & S, Swallow & Stewart, wiewohl auf kleinen Bühnen in diesem Trio also seit 15 Jahren unterwegs, im Studio erstmals 1993 zusammentrafen, für "I can see your House from here", mit Scofield & Metheny; dann 1996 wieder für das Scofield-Album "Quiet". Im Dezember 2003 also legitimiert sich dieses Trio im Blue Note zu New York City vor der Jazzgeschichte (die mit Hörensagen noch nie soviel anfangen konnte) in Form eines Live-Mitschnitts auf Tonträger.
Die Begeisterung, zurecht, schlägt hoch; vor allem bei der Weltwoche in Zürich, die das utopische Potential mit "Heute von gestern für morgen" denn doch wohl zu üppig veranschlagt. Was hier offengelegt wird ist quasi das stilistische Rückgrat all dessen, was John Scofield in immer variierenden Projekten jeweils neu ausformuliert oder betont, ein back to basics, als da sind: Bebop, Blues, riff-Themen, der Einfluss von Wes Montgomery (dessen Oktavtechnik), Funk mit New Orleans Backbeat, Standards.
Demnach eröffnet das Album geradezu programmatisch: mit "Wee“ von Denzil Best, einem Bebop-Standard, dem Bill Stewart "einen fantastischen Beat verpasst hat" (Scofield). Eben darin liegt die Bedeutung dieses Stückes, ja des ganzen Projektes: die metrischen Modulationen, vulgo: die rhythmischen Umdeutungen, die von Stewart ausgehen und die ganze Gruppen-Interaktion infizieren. Hat Pat Metheny diesen Mann einst als Schlagzeuger geheuert, so erlaubt ihm John Scofield, Bill Stewart zu sein, einer der auf- und anregendsten seines Faches.
Der rhythmische Witz von "EnRoute" startet bei track 1 und hält 73 1/2 Minuten an. Mit track 2 folgt eine Variante, die es bei Scofield noch nie gegeben hat: ein Walzer im 5/4 Takt! Ein "richtiger“ Walzer erklingt dann in "Hammock Soliloquy“ - freilich nur in den double time-Passagen (eigentlich ist es eher ein hyper-eleganter 6/8), die spöter wunderbar flüssige Soli von Scofield und Swallow transportieren. Der Themenrhythmus ist ein schwerer 4/4 New Orleans back beat, der hernach als riff noch einmal heruntergeschraubt wird, wenn Stewart ein Solo dagegenhält und mit ein paar Shuffle-Takten wieder herausführt. Wahnsinn! Ja, das analytische Ohr kriegt hier ordentlich Futter.
Was haben wir noch? uptempo swing in "Travel John" und "Name that Tune". Letzteres wiederum wie auch das Schlussstück "Over Big Top" folgen dem schönen Brauch, über die Harmonien einer bekannten Kompositionen neue Themen zu legen. "Name that Tune" basiert auf "Perdido", Scofield setzt "Over Big Top“ auf sein eigenes "Big Top" aus "Groove Elation" (1995). Der Schlagzeuger damals war eigentümlicherweise nicht Stewart sondern Idris Muhammad. Dafür glänzt Stewart auch hier wieder mit seinen Markenzeichen, namentlich den speziellen snare rolls (klanglich gewissermassen "Wisch-Bewegungen"), mit deren Hilfe man ihn immer heraushören kann.
Man kann es auch so sagen: mit einem grossen Hallo schliesst eine Unternehmung, die vor Ort sicherlich noch mehr Vergnügen bereitet hat als dieser Tonträger das je wiederzugeben vermag.
©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten